N.T. Wright on Leadership

Der bekannte englische Professor sieht die Frage nach „Führung“ und „Leitung“ etwas kritisch, distanziert und nachdenklich. Er beginnt so manchen Vortrag mit der Bemerkung, dass er eigentlich nicht wirklich an „Leiterschaft“ glaube oder dass er nicht der Meinung sei, dass Führung die wichtigste Kategorie sei – jedenfalls auf keinen Fall auf die Weise, auf die heute oft davon gesprochen wird.

Das ist ein Ball, den ich als LEITERBLOG’ger gerne aufnehme und seine Beobachtungen und Gedanken hier zur Diskussion stelle. Die deutsche Übersetzung von Wright’s Gedanken verwendet für den Begriff „Leadership“ das Wort „Leiterschaft“! Da bin ich nicht ganz glücklich. Vor allem im christlichen Bereich findet der Begriff Verwendung, weder in der Fachliteratur noch im Duden konnte sich diese Vokabel bislang durchsetzen. Nun beiße ich in den sauren Apfel und bringe hier die verwendete deutsche Übersetzung, mit der Vokabel „Leiterschaft“ 🙈:

1. Petrus 5,1-7: Demütige Hirten

1 Als Mitältester und Zeuge der Leiden des Messias und als einer, der an der Herrlichkeit Anteil haben wird, auf deren Offenbarwerden wir warten, richte ich mich also an die Ältesten unter euch: 2 Erfüllt eure Aufgabe als Hirten gut, wenn ihr euch um Gottes Herde kümmert, die euch anvertraut wurde; nicht unter Zwang, sondern froh, wie in der Gegenwart Gottes; nicht für schändlichen Gewinn, sondern mit Eifer. 3 Ihr solltet euch nicht als Herren über die aufspielen, für die ihr verantwortlich seid, sondern vielmehr der Herde als Vorbild dienen. 4 Wenn der oberste Hirte erscheinen wird, werdet ihr die Krone der Herrlichkeit empfangen, die nicht verwelken wird. 5 Ebenso sollt auch ihr jüngeren Männer euch den Ältesten unterordnen. Ihr alle bekleidet euch mit Demut gegenüber dem anderen. Schaut: „Gott widersteht dem Stolzen, Gnade gibt er aber dem Niedrigen.“ 6 Also demütigt euch selbst unter Gottes starke Hand, damit er euch zur richtigen Zeit erhöhen kann. 7 Werft all eure Sorgen auf ihn, weil er für euch sorgt!

Von Zeit zu Zeit bekommen wir im Fernsehen oder in einer Zeitung mitgeteilt, dass wir in einer „Führungskrise“ stecken. Das bedeutet dann oft, dass vor allem das entsprechende Medium bzw. der Journalist mit der konkret vorhandenen politischen Führung nicht einverstanden sind. Doch auch ohne diese ziemlich zynische Beobachtung sehe ich Diskussionen über „Führung“ oder „Leiterschaft“ mit einer gewissen Sorge an, wenn sie in einem Vakuum stattfinden. Wenn ich in der Vergangenheit gebeten wurde, über dieses Thema zu sprechen, habe ich den Vortrag manchmal mit der Bemerkung begonnen, dass ich eigentlich nicht wirklich an „Leiterschaft“ glaube oder dass ich nicht der Meinung bin, dass es die wichtigste Kategorie ist – jedenfalls auf keinen Fall auf die Weise, auf die heute oft davon gesprochen wird.

Ich stelle Folgendes fest: Alles Mögliche, das den Namen „Leiterschaft“ verdient, geschieht oft, ohne dass groß über das Konzept nachgedacht wird. Irgendjemand widmet sich einfach mit voller Energie und Produktivität irgendeiner Sache, sei es Musik machen, eine Firma leiten, einen Marktstand organisieren, ein Ministerium führen. Diese Leute übertragen dann ihre Energie und Produktivität, ihren Enthusiasmus und ihre Wirkungskraft auf die Menschen in ihrem Umfeld. Mit anderen Worten: Leiterschaft ist ein wenig wie Freundschaft: Es ist etwas, das am besten funktioniert, wenn man nicht über Leiterschaft (oder eben Freundschaft) nachdenkt, sondern wenn man über das nachdenkt, was man tatsächlich zusammen macht.

Ich stelle Folgendes fest: Alles Mögliche, das den Namen „Leiterschaft“ verdient, geschieht oft, ohne dass groß über das Konzept nachgedacht wird.

Genau genommen fällt auch „Glück“ in diese Kategorie. Wenn Sie den Tag mit der Frage beginnen: „Was wird mich heute glücklich machen?“, werden Sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit Glück erleben, als wenn Sie denken: „Je früher ich beginnen kann, ein Bild zu malen, einen Spaziergang zu machen, mit den Enkeln zu spielen, umso besser.“ Ich würde lieber zu einer Gruppe oder Gemeinschaft gehören, deren „Leiter“ keine Ahnung von „Leiterschaft“ hat, aber sich Gott und dem Evangelium völlig verpflichtet weiß, als einer Gruppe, deren federführende Person drei oder vier Kurse über „Leiterschaft“ absolviert hat, doch deswegen wenig Zeit mit Bibelstudium oder Gebet verbracht hat.

Ich weiß natürlich, dass es bei diesem Thema um mehr als das geht.

Alle „Leiterschaftsexperten“ werden mich zweifellos kopfschüttelnd als einen weiteren hoffnungslosen Fall ansehen, der es einfach nicht begreift. Ich muss allerdings sagen: In der Kirche und in der Gesellschaft brauchen wir heute dringend Menschen, die zutiefst um den Zustand ihrer Glaubensgemeinschaft und der weiter gefassten Gesellschaft besorgt sind; Menschen, welche die relevanten Themen mit professioneller Aufmerksamkeit studiert haben; Menschen, die zuhören, was alle möglichen anderen Menschen zu sagen haben; und Menschen, die die Vision artikulieren und vermitteln können, die sie entwickelt haben, um anderen zu helfen, ebenfalls daran Anteil zu nehmen. Natürlich werden die „Experten“ jetzt sagen: „Aber genau das verstehen wir doch unter ,Leiterschaft‘.“ Wenn dem so ist, schön und gut. Aber lassen Sie uns die Sache an sich studieren und praktizieren, nicht irgendeine abstrakte Kategorie weit weg von der Wirklichkeit.

Petrus beschreibt hier keine „Leiter“, sondern Hirten. Der entscheidende Gedanke dabei lautet: Die besten „Hirten“ überlegen nicht: „Wie kann ich ein Hirte sein?“, sondern: „Wie kann ich mich am besten um diese Schafe kümmern?“ Der Fokus des guten Hirten liegt nicht nur auf seinen oder ihren eigenen Fähigkeiten, sondern auf den Bedürfnissen derjenigen, um die sie sich kümmern, und den potenziellen Gefahren für sie. Das ist natürlich der erste Hauptpunkt, den Petrus hier macht (Vers 2): Denkt nicht an euren eigenen Vorteil, sondern an die Bedürfnisse der Herde. Petrus ruft dazu selber als „Ältester“ auf – das Wort bezieht sich sowohl auf Menschen, die Ansehen in der Gemeinschaft genießen, als auch auf Menschen in höherem Alter, und beides hängt oft natürlich zusammen. Als Ältester hat Petrus Verantwortung, zu der auch der Hirtendienst gehört, also weiß er, wovon er spricht.

Insbesondere hat Petrus direkt von Jesus den zentralen Aspekt der Aufgabe gelernt, ein Hirte unter Gott zu sein: Behandle andere nicht herablassend, sondern sei ein Vorbild (Vers 3). Ich besuchte neulich ein großes College, in dem Berufssoldaten ausgebildet werden. Zu meiner Überraschung und Freude stieß ich überall auf das College Motto: „Dienende Führung“. Das ist kein leerer Slogan. Sie nehmen das ernst, leben es vor und vermitteln es im Unterricht. Wenn ein Offizier den Soldaten seiner Einheit nicht dient – sie also als Menschen betrachtet; sie kennenlernt, um zu wissen wer sie sind, wovor sie Angst haben und was sie anspornt, ihr Bestes zu geben; wenn er sich also nicht auf diese und alle möglichen anderen Weisen um sie kümmert –, wird ein Offizier nicht in der Lage sein, sie in irgendwelchen schwierigen oder gefährlichen Situationen zu führen. Ob wir also von den „jüngeren Männern“ reden (Vers 5) oder von den „Ältesten“ – alle sollen sich mit Demut „bekleiden“. In den frühchristlichen Schriften hören wir so viel von Demut, dass man leicht vergessen kann, dass bis zu dieser seltsamen Bewegung von Jesus und seinen Nachfolgern niemand außerhalb eines engen jüdischen Traditionsstrangs Demut als eine Tugend angesehen hatte. Es war etwas passiert, das eine ganz neue Sicht- und Handelsweise hervorgebracht hatte.

Die Vermutung, was wohl „passiert war“, ist recht offensichtlich: Jesus „war passiert“, er hatte Gottes Reich verkündigt, war gestorben, auferweckt und inthronisiert worden. Er ist der „oberste Hirte“ (Vers 4), der erneut erscheinen wird, wenn Himmel und Erde letztendlich zusammengebracht werden. Er wird das Modell sein, der Maßstab, anhand dessen alle anderen „Hirten“ beurteilt werden. Jesus selber bezog sich stark auf die biblischen Traditionen über Gottes Sehnsucht, „Hirte“ seines Volkes Israel zu sein. In einer ländlich geprägten Wirtschaft ist es kaum überraschend, dass dies eines der Standardbilder für die Art und Weise ist, auf die sich entweder Gott selber oder sein gesalbter König um die „Schafe“ kümmert, um sicherzustellen, dass sie gefüttert werden und um sie vor Raubtieren zu schützen. Ein flüchtiger Blick auf Psalm 23 oder Hesekiel 34 wird zeigen, wo ein Teil dieser Vorstellungen herkommt. Ein weiterer flüchtiger Blick auf Lukas 15,3-7 und Johannes 10,1-16 lässt erkennen, was Jesus selbst daraus gemacht hat. Und ein weiterer flüchtiger Blick auf Johannes 21,15-19 zeigt uns sehr klar, wie Petrus selber nach dem Desaster seiner früheren Verleugnungen als „Hirte“ der Nachfolger Jesu neu beauftragt wird.

Die normale „weltliche“ Art von „Leiterschaft“ besteht natürlich darin, Leute herumzukommandieren und zu nörgeln, sie zu bedrohen und zu bestrafen. Auf diese Weise mögen Sie es zwar schaffen, dass die Schafe tun, was Sie sagen, doch sie werden weder glücklich noch gesund sein. So ein Ansatz mag „stark“ erscheinen, aber er ist tatsächlich schwach. Die Berufung, ein demütiger Hirte zu sein, ist die Berufung zu wahrer Stärke. In dieser Stärke muss man nicht herumschreien oder andere drangsalieren, weil die Arbeit des demütigen Dienens ein derart starkes Band zwischen Hirte und Schafen geknüpft hat, dass der Hirte nur auf die Weide zugehen muss, und die Schafe werden ihm folgen.

Natürlich scheint das oft nicht so einfach zu sein wie gerade angedeutet. Die Aufgabe eines Hirten bleibt herausfordernd. Vielleicht beendet Petrus diese Aufforderung aus diesem Grund mit der bemerkenswerten Einladung, all unsere Sorgen auf Gott zu werfen. Das Verb ist ein kräftiges: Heb alles auf, was dir Sorgen macht, alles, was dich niederdrückt, und lad es Gott auf den Rücken. Er wird alles tragen, und zwar mit Freuden. Schließlich liebt er dich!

Der Text ist ein Auszug aus Wright’s Kommentar: „Jakobus, Petrus, Johannes und Judas für heute“, der im Brunnen Verlag Gießen erschienen ist. Ich danke dem Verlag für die freundliche Erlaubnis den gesamten Text auf den Blog übernehmen zu können! Die ganze Reihe ist hier zu einem sehr guten Sonderpreis verfügbar.
Foto N.T. Wright: https://www.ntwrightonline.org

Über Lothar Krauss

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2 Antworten zu N.T. Wright on Leadership

  1. Matthias Czepl schreibt:

    Lieber Lothar, danke für diesen Artikel. Ich habe zu diesem Thema erst vor kurzem das Buch von Stefan Kiechle „Achtsam und wirksam – Führen aus dem Geist der Jesuiten“ gelesen, dass mir in vielen Bereichen weitergeholfen bzw. die Augen geöffnet hat. Kann ich nur wärmstens empfehlen. Liebe Grüße, Matthias

  2. Christian Borchert schreibt:

    Sehr zentrale biblisch-fundierte Gedanken zu „Servant Leadership“.
    Dieses Thema sollte bei der Pastoren-Ausbildung ein großes Gewicht bekommen!

    Schon vor Jahren hatte es mich im gemeindlichen Rahmen sehr beschäftigt und meine Dienstgruppen(DG)-Aufgaben geprägt.
    Dieser Text ist mir persönlich ein neuer Ansporn, im neuen gemeindlichen Umfeld es auszuleben – oder auch WWJD !

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