»Fellwechsel« – Die neue Normalität!

These: Das Leben als Kirche, wie wir es kannten, ist unwiederbringlich vorbei.

Aber es ist noch nicht so, wie es in Zukunft sein wird.

Eine neue Normalität bahnt sich gerade ihren Weg. Das zu erkennen, zu verstehen und zu bejahen, ist ein entscheidender Punkt für Führungskräfte! Auch für Leiter in der Kirche. Was kennzeichnet diese neue Realität? Einige Thesen: 

Ausgangspunkt: Es geht nicht schnell vorbei!

Mancher hofft ja, dass der Spuk schnell vorbei ist. Im Mai oder Juni kehren wir zu dem Leben zurück, wie wir es schon immer kannten. Auch in unseren Kirchen. Das wird wohl nicht passieren! Die Gründe dafür sind vielschichtig. Konsequenz: Ein Langstreckenlauf der Veränderung liegt vor uns. Noch ist nicht alles zu erkennen. Das könnte dazu führen, dass man die kommenden Veränderungen unterschätzt.

Es ist nicht mehr so, wie es bislang gewesen ist! Aber es ist auch noch nicht so, wie es in Zukunft sein wird. Wir befinden uns in einer Zwischenzeit. „Wie müssen Kirchen sich verändern, um für die neue Normalität gerüstet zu sein?“

Wo geht die Reise hin?

1. Von analog zu digital

Das braucht keine Erklärung. Hunderte von Kirchen haben den Schritt in Windeseile geschafft. Was sonst Jahre in Anspruch genommen hätte, ist in wenigen Tagen eine neue Realität geworden. Die These: es ist dauerhafter, als zunächst angenommen! Das Angebot der Online-Gottesdienste wird sich entwickeln. Und verändern! Der Start war super. In vielen Kirchen. Aber es muss weitergehen. Wie? Da experimentieren sogar die Schwergewichte auf dem Markt, wie z.B. ICF Zürich! Am 21. Mai bieten sie einen Schulungstag an. Es geht weiter. Es bleibt spannend. Und es wird uns fordern. Nicht nur im Blick auf Online-Gottesdienste. Sondern auf das (digitale) Leben der Kirche.

2. Von privat zu öffentlich 

Solange wir nicht online waren, waren wir irgendwie unter uns. Nicht alle Aussagen und Formen des Gottesdienstes mussten für Leute, ohne Bezug zur Kirche, verständlich sein. Jetzt schaut man uns über die Schulter. Potentiell kann jeder Arbeitskollege, Nachbar, Verwandte … sich anschauen, was wir für Typen sind. Was wir da sonntags genau machen. Worum es geht. Und wie wir drauf sind.

Wir werden öffentlicher! Werden wir auch verständlicher? Bieten wir für Interessenten genügend Anknüpfungspunkte? Oder bleiben wir – öffentlich – unter uns? Und wie geht es langjährigen Christen damit, die schon gute Grundlagen haben und erwarten, dass sie durch den Gottesdienst vorankommen und wachsen?

3. Vom Konsumenten zum Gestalter

Der zweite Punkt steht mit dieser Frage in Verbindung: Wie wachsen Christen eigentlich? Indem sie konsumieren? Gottesdienste? Vorträge? Bücher? … Kirchen vermitteln mit ihren Programmen und Angeboten Inhalte. Das ist sehr wichtig und gut. Ein unverzichtbarer Nährboden. Doch wie wächst ein Christ geistlich?

Das digitale Medium macht den Teilnehmenden oft zum Zuschauenden. Zum puren Konsumenten! Noch mehr, als das bei unserer bisherigen Kirchenstruktur schon der Fall war. Jetzt könnte man sagen: Die Leute beteiligen sich, online! Das bringt uns dann zu diesen Fragen:

  • Wie viel % der Zuschauenden beteiligt sich über Kommentare …?
  • Wie viel % der Zuschauenden chatten aktiv mit?
  • Werfen sie einen Satz ein, oder mehr? Kommt es zu tieferen Dialogen?
  • Wie viel % „schaut nur zu“, lässt vielleicht ein paar emojis aufsteigen?
  • Wie viel % der Zuschauenden reagieren gar nicht?

Reicht das aus, was wir digital bieten können, um aus Konsumenten Gestalter zu machen? Wir sind herausgefordert Wege zu finden, um das auszulösen. Wenn man eine überschaubare Kirche ist, viele sich kennen, mag das einfacher sein. Wenn man eine missionale Kirche sein möchte, die viele Leute erreicht, die bislang keinen Background zum Glauben haben, bekommt diese Frage schon eine andere Bedeutung!

Welche Werkzeuge und Ressourcen helfen uns in Zukunft, um Einzelne aktiv auf dem Weg zum engagierten Nachfolger von Jesus zu begleiten? Die alten Werkzeuge? Oder was ist in der neuen Normalität wirksam?

4. Von Versammeln zum Verbinden

Christen treffen sich in ihren Veranstaltungen. Versammlungen nannte man das in vergangenen Zeiten. Heute sprechen wir von Programmen. Events. Die westliche Kirche, so meinen namhafte Gemeindeforscher, baut viel auf Persönlichkeiten und Programme auf. Ein charismatischer Leiter zieht die Massen an. Programme, geniale große Events, schaffen den Rahmen für außergewöhnliche Erfahrungen. Der graue Alltag verschwindet.

In unserer Kultur ist das gesucht: Konzerte, Sportevents, Shows … bieten das. Und moderne christliche Gottesdienste knüpfen an diesem Bedürfnis an. Tolle, auch geistliche Erfahrungen, passieren. Dennoch. Versammeln reicht nicht mehr. Es braucht mehr. Nicht nur, weil es gerade nicht geht. Sondern auch deshalb, weil geistliches Leben mehr braucht als Events! Was? Es braucht Prozesse, im Kontext von Beziehungen! Tiefe, persönliche Begegnungen.

»Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« | Martin Buber

Begegnungen. Freundschaften. Gemeinschaft
Die neue Normalität deckt diesen Punkt noch mehr auf. In der Masse verschwinden oder berauscht werden? Fehlanzeige. Events und Erfahrungen sind super. Schon im Alten Testament wird das in den Festen, die Gott seinen Leuten verordnet hat, deutlich. Sie sind aber nicht der Alltag in Israel. Sondern Festtag. Wir brauchen jetzt – mehr denn je – Alltagsbegegnungen. Wir haben Gemeinschaft nötig. Wollen miteinander unterwegs sein.

#Zusammenstehen ist ein Hashtag. Und ein Song von SEBEL, der es als Corona Virus Lied geschrieben hat. Über 2 Mio mal wurde es schon geklickt. Warum? Weil wir in Zeiten wie diesen merken, dass wir es nur gemeinsam schaffen. So hat der Schöpfer uns konstruiert. Aber wie viele Leute brauchen wir, „verkraften“ wir, wenn es nah werden soll? Was ist unser (frommer) Wunsch? Was die lebbare Wirklichkeit? Darüber habe ich vor Jahren in dieser Serie schon einmal geschrieben.

5. Von global zu lokal

Die Globalisierung hatte auch die Kirche erfasst. Welche Reisen wurden unternommen, um Konferenzen in aller Welt zu besuchen? Welche Gelder wurden ausgegeben, um einen „Missionseinsatz“ in Afrika, Asien, Südamerika … für 1 Woche oder 10 Tage zu erleben? Vielleicht werden wir in Zukunft diese Gelder strategischer einsetzen?!

Jetzt geht das so nicht mehr! Die Kirche kommt durch die Krise sozusagen wieder im direkten Umfeld an. Kraft und Geld für Nachbarn, Kinder, soziale Einrichtungen …, anstatt für Konferenzreise in die USA, Australien, Neuseeland? Und großzügige Missionsspenden für Einheimische in den Ländern! Für Menschen, die ihrer Familie, Freunde, Bekannten direkt vor Ort, in ihrer Sprache und mit ihrer „Kultur in den Knochen“ erreichen können. Eigentlich schlau, oder?

6. Weniger Spenden – mehr Großzügigkeit

Wir Kirchen werden zum Teil weniger Geld zur Verfügung haben. Erste Kirchen haben mit Kurzarbeit begonnen. Wir brauchen neue Lösungen! Kreativität, Ehrenamt und Zusammenarbeit sind gefragt. Nicht alle Kirchen müssen alles machen. Großzügiger die eigenen Ressourcen mit anderen Kirchen zu teilen, ist das Gebot der Stunde. Und umgekehrt. Sich auch beschenken lassen …

Mein Freund Dave Ferguson hat gerade Leiter in Kirchen, die erfolgreich die digitale Hürde genommen haben aufgefordert, ihre Fähigkeiten weiterzugeben. An Kirchen, die das bisher nicht geschafft haben. Weil sie nicht die Leute, die Technik oder das Wissen hatten. Wir sind ja eine Großfamilie. Deshalb sollen wir gemeinsam an einem Strang ziehen, mit der Haltung der Großzügigkeit. So verstehe ich Johannes 17. Auf die Art werden wir „Game Changers!“

7. Von Komplexität zur Einfachheit

Die neue Normalität erfordert, das wir unser Programmangebot überdenken. Forscher sagen uns schon länger, dass die meisten Angebote, die wir als Kirchen anbieten, das Ziel nicht so gut treffen. Also nicht entscheidend dazu beitragen, dass Menschen zum Glauben finden und Christen in der Nachfolge von Jesus vorankommen. Die neue Normalität ist eine Chance für uns jetzt auszumisten und Angebote zu schaffen, die dieses Ziel wirksam im Fokus halten. Analog oder digital? Zweitrangig! Die Folge: unnötige Komplexität verschwindet zugunsten einer wirksamen Einfachheit.

8. Von Zahlen zu Menschen

Früher haben wir die Teilnehmer an den Gottesdiensten gezählt. Jeder zählt! Stimmt. Zumindest das Wortspiel. Mit der Coronapandemie stellten viele von uns auf Online um. Jetzt zählten wir Zuschauer. Mit welchem Faktor ist eigentlich jedes Gerät zu multiplizieren? 2 Personen im Schnitt, 1,5 oder doch 3 Leute? Dann haben wir es für uns konkretisiert und gesagt, dass die Zahlen nicht entscheidend sind, sondern wir fragen, wer zuschaut. Mehr dazu hier. Das ist immer noch sehr wichtig. Gerade deshalb, weil wir die gute Nachricht von Jesus an viele Menschen weitergeben wollen.

Dennoch: Was am Ende des Tages wirklich zählt ist, ob wir Menschen, die zuschauen, in eine Gemeinschaft begleiten können? Ob wir zu Lotsen werden die dabei helfen, dass Suchende ihren nächsten Schritt mit Gott gehen? Und es zählt darüber hinaus die Frage, ob wir alle durch das, was wir jetzt tun, zu „4-G-Christen“* werden.

Meine Thesen. Thats it.

*4-G-Christen

Matthäus 4,4 | Matthäus 28,19 | Apostelgeschichte 2,42 | Titus 3,8

  • Gottes Wort – Matthäus 4,4. Täglich damit leben.
  • Gebet – Ein- und ausatmen. Immer online.
  • Gemeinschaft – verbindlich mit anderen! Kennen und bekannt sein!
  • Gutes tun – es geht nicht um mich. Ein Herz für andere. Wie Jesus.

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
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3 Antworten zu »Fellwechsel« – Die neue Normalität!

  1. Elke schreibt:

    Danke. Das spricht mir aus dem Herzen. Im Grunde sind das die Fragen, die sich bereits seit einigen Jahren aufdrängen, aber durch die derzeitige Entwicklung noch mehr in den Focus rücken. Wie trägt die Gemeinde (sowohl Orts- als auch insgesamt) durch ihre Struktur und die angebotenen Inhalte zum Wachstum der Einzelnen bei. Was unterstützt persönliche Jüngerschaft. Die vier Gs sind und bleiben aktuell und müssen wieder neu gefüllt werden. Andere in der Entwicklung zu unterstützen und hierfür Wege zu bahnen ist die Grundlage aller Leiterverantwortung. Ich wünsche uns allen die Weiheit das auch weiterhin immer wieder neu zu denken. Dann kann und wird Kirche einen Unterschied machen können und Menschen den Weg zu und mit Jesus zeigen.

  2. dubbelchen schreibt:

    Danke für diese guten Gedanken! ICh knabbere auch zur Zeit gerade an deinem Punkt 3. ICh bemerke, dass wir Menschen gerade mit unseren (traditionellen?) Konzept von Gottesdienst eventuell auf ein Verständnis von Nachfolge gelotst haben, dass nicht trägt. Wer von einem Gottesdienst erwartet, hier – evtl. durch eine charismatisch gute Predigt – die größten und tiefsten geistliche Schritte zu gehen und den Rest der Woche nicht viel mit Jesus unterwegs ist, der „verpasst“ das Wichtigste. Ist hier der Gottesdient mit einer falschen Erwartung überladen (die wir als Leitende in den Gemeinden vielleicht auch noch gefördert haben!)?
    Müssen wir als Kirche wieder ein anderes Bewusstsein des Gottesdienstes lernen? Vielleicht als Austausch, Berichts- und Dankfeier für das Erleben der Woche mit Jesus.
    Wie stellen wir den Menschen in guter Form Begleitung zur Verfügung damit die 4Gs gerade im Alltag relevant sind?
    Ich sehe viele gute Ansätze (Kleingruppenkonzept GROW, Glaube am Montag etc.). Aber an die „heilige Kuh“ der falschen Erwartungen an den Gottesdienst traut man sich nicht so richtig ran.
    Vielleicht wiederholt sich auch Geschichte und wir erleben in der Corona-Krise ähnliche Gedanken aus alten Zeiten wie das Aufflammen des Pietismus, wenn auch in anderer Form.
    Ich bin gespannt und freue mich jedes Mal über deine Artikel, die mir weiter Denkstoff geben.
    Sei gesegnet!

  3. Pingback: Wie wird die Kirche von Morgen aussehen? | Herausforderungen und Chancen | Landeskirchliche Gemeinschaft Pfuhl

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