Es streamt auf allen Kanälen. Unaufhörlich. Seit Wochen. Anfangs war das o.k. Nötig. Sinnvoll. Diese Sondersendungen. Berichterstattungen. Pressekonferenzen. Es hilft. Warum? So kann das Unbegreifliche erfasst, gedacht und verarbeitet werden. Das war gut. Tat gut. Auch mir. Aber dann kippt es. Zumindest bei mir. Die Dosis ist zu hoch. Zu viele Worte. Bilder. Videos. Auch aus der kirchlichen Szene. Ich brauch ne Pause. Kirchen brauchen ne Pause. Weniger ist mehr. Oder?
Segen und Fluch!
Segen: Wir Kirchen haben einen großartigen Schritt in wenigen Tagen geschafft. Viele von uns haben sich zu Church Online gewandelt. Sind jetzt Digitale Kirche. Genial. Super. Wer hätte das gedacht?! Und nun sind wir öffentlich digital. Aber nicht nur. Auch intern. Und sogar interne Angebote sind öffentlich verfügbar. In den sozialen Medien. Auf allen Kanälen. Man kann uns nicht entfliehen: Morgens. Mittags. Abends. Impulse. Videos. Worte. Bilder. Neue Worte. Und nochmal Worte. Zoom. Facetime. Houseparty. Livestreams. On Demand. WhatsApp, Insta, Facebook … Genial, oder? Ich find es gut. Grundsätzlich. Doch ein anderes Gefühl beschleicht mich. Seit Tagen. Am Anfang ganz schwach, aber es wird stärker. Ich denke an den Schweizer Arzt und Philosophen Paracelsus:
„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“
Fluch: Wenn die Dosis nicht stimmt. Viel hilft nicht immer viel. Es wird mir zu viel. Beginnt dieses Gefühl in euch auch aufzusteigen? Wer braucht das, frage ich mich? Die Kirche? Die Leute? Oder am Ende ich selbst? Also der Pastor, Leiter? Um meine Existenzberechtigung nachzuweisen? Jetzt online?
Ich frage mich kritisch: Kommen die Leute, die wir bislang als Kirche erreichten nicht klar, wenn sie nicht jeden Tag von uns „beschallt“ werden? Wir machen das sonst auch nicht so! Bis auf wenige Ausnahmen! Führt dieses „zu viel“ am Ende zu einer Immunisierung? Bewirkt es das Gegenteil von dem, was wir wollten? Sind Christen so unterversorgt?
Fragen schießen mir durch den Kopf …
Braucht es wirklich täglich die geballten Weisheiten aus dem Wohnzimmer, Gemeindebüro oder Studio? Und sollten Christen, wenn sie eine Zeit mit Gott am Start sind, nicht Selbstversorger im „überschaubaren Verbund“ werden? Reife genannt? Führt die digitale Kirche am Ende zur Unreife? Fördert sie am Ende gar eine Unselbstständigkeit? Eine erlernte Hilflosigkeit? Ich denke an einen Text aus dem Hebräerbrief. Hier ein Auszug aus der Passage, die mir im Sinn ist:
»Eigentlich müsstet ihr längst in der Lage sein, andere zu unterrichten; stattdessen braucht ihr selbst wieder jemand, der euch die grundlegenden Wahrheiten der Botschaft Gottes lehrt.«
Also ich brauch ’ne Pause.
Mein Kanal ist zunehmend voll. Habe meine Geräte zur Seite gelegt. Die Pausetaste gedrückt. Meine Gedanken auf andere Dinge gelenkt. Ein Buch in die Hand genommen. In eine andere Welt abgetaucht. Aus dem Fenster geschaut. Geschwiegen. Das tut gut! Richtig gut.
Kirche im Brauhaus?
Klar, jetzt steht die Frage im Raum, wie wir das als Kirche im Brauhaus machen, digitale Kirche zu sein, ohne das „zu viel“? Als Team reflektieren wir den Punkt. Immer neu. Aktueller Stand: Wir bleiben bei der Struktur des Gemeindelebens, wie wir das seit 5 Jahren tun. Warum sollten wir es ändern? Und jetzt, in der Ausnahmesituation, sollte sie gerade robust und leistungsfähig genug sein. Oder müssen wir etwas verändern? Also, was machen wir jetzt?
Unsere digitale Strategie
Wir bleiben bei unserer bisherigen Strategie! Wir feiern Gottesdienste, treffen uns in Kleingruppen und bilden Teams, in denen wir gemeinsam aktiv sind. Alles nicht leiter- oder pastorenzentriert. Wir stellen keine einzelnen Personen übermäßig in den Vordergrund, obwohl wir die unterschiedlichen Rollen und Berufungen wertschätzen und ehren. Es geht bei uns auch sonst nicht so stark um einzelne Personen oder eine gezielte Markenbildung, um der Marke willen. Wir haben uns nur – aus der aktuellen Logik – von KIRCHE IM BRAUHAUS zur KIRCHE ZU HAUSE gewandelt. Für eine Zeit. Um in der Öffentlichkeit verständlich zu bleiben. Wir treffen uns ja nicht mehr im stadtbekannten Brauhaus in Gifhorn. Also, diesen Grundansätzen bleiben wir auch jetzt treu. Und zwar so:
Wir feiern Gottesdienste – eben digital! 1x die Woche. Sonntag ist unser Spieltag. Wir versuchen das mit Exzellenz. So wie immer. Mit unseren bescheidenen Mittel, so gut wie wir es können. Wir stehen nicht in Konkurrenz zu anderen Kirchen. Müssen uns nicht vergleichen. Warum? Weil wir unsere Freunde, Kollegen, Bekannten, Familie … im Sinn haben. Nicht den Christen in der Nachbargemeinde, oder in „Oberammergau“. Der muss uns nicht gut finden. Obwohl das echt eine „Anfechtung“ ist. Sich zu vergleichen. Da ermahnen wir uns gegenseitig und fokussieren uns: Wenn Nachbarn … bei uns digital reinschauen, feiern wir das. Hier unser Kanal.
Wir beten zusammen – eben digital! 1x die Woche. Das Brauhausgebet. Jeden Mittwoch von 18.45 – 19.15 Uhr. Mittwoch ist unser Trainingstag. Wir nehmen das Gebet als schlichtes Video mit einem iPhone auf. Auf YouTube wird es als nicht gelistetes Video von 18.45 – 19.15 Uhr freigeschaltet und geht dann wieder offline.
Wir treffen uns in unseren Kleingruppen – eben digital! Nicht öffentlich. Wie sonst auch! Dazu nutzen wir unterschiedliche Tools. Zoom ist in die Diskussion geraten. Also schauen wir genau hin. Bislang treffen sich unsere Gruppen alle 14 Tage. Viele stellen gerade auf wöchentlich um. Als Leiter haben wir das nicht angestoßen. Es kommt aus den Gruppen selbst. Das empfinden wir als richtig, richtig gut. Reife ist ja ein Ziel, das wir verfolgen.
Wir arbeiten als Teams zusammen – eben digital! Nicht öffentlich. Wie sonst auch! Nicht alle Teams sind aktuell aktiv. Aber ganz viele. Sie denken, arbeiten und träumen auch schon für die „Zeit danach“. Und sie sorgen dafür, dass Kirche digital funktioniert. Jetzt.
Family Meeting – Gemeindeforum – auch digital! 1x im Monat ist es normalerweise. Am 1. Mittwoch. Gestern haben wir es produziert. Etwas anders wie sonst. Aber mit hohem Wiedererkennungswert. Hat Spaß gemacht: Worship. Abendmahl. Familynews. Perspektiven.
Und sonst?
Wie immer. Wir rufen uns an, schreiben uns Mails und Kurznachrichten. Helfen uns gegenseitig, klinken uns in die Aktionen der Stadt Gifhorn ein, die zur Bewältigung der Krise vom Bürgermeister … gestartet werden. Kaufen Gutscheine. Ermutigen Nachbarn. Dienen, wo wir können. Alles nicht so organisiert, mehr organisch. So wie das Leben fließt.
Wir leben Kirche. So wie immer!
Unser Leben als Kirche, den Weg der Erneuerung usw. haben wir hier beschrieben.
Das machen wir kaum oder nicht:
- Impulse, Ansprachen, Andachten, Wohnzimmerbotschaften … von den Pastoren am Morgen, Mittag, Abend? – Danke nein!
- Gebetszeiten über das Brauhausgebet organisiert von der Church? – Danke nein!
- Nationale Initiativen …, die Christen aus allen Konfessionen zusammenbringen wie z.B. Fasten- u. Gebetszeiten – Empfehlen wir gerne, ohne Programme daraus für alle zu machen! Unsere Erfahrung: wir können nicht zu viele Dinge gleichzeitig tun. Wir wählen aus den guten Angeboten aus, wie wir das immer tun.
Ja, insgesamt ist es zu viel. Mir fällt das Wort ein, das mir in den Sitzungen meines Berufsalltags stets gegenwärtig war: Es ist alles gesagt, nur nicht von mir!
Deshalb gibt’s nur eine mündige Antwort darauf: ich entscheide, was ich will. Und ich will, was ich brauche.
In diesem Sinn, Gott befohlen Horst
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