GEMEINDEERNEUERUNG? GEHT DAS WIRKLICH?

Können alte Kirchen erneuert werden? Kann es echt einen Aufbruch geben? Oder ist es doch nur ein Traum? Hunderte, tausende Kirchengemeinden der Landes- und Freikirchen stehen vor dieser Frage. Auch in meiner Kirche, dem BFP, drängt diese Herausforderung. Wenn ja, wie kann das passieren? Ein Erfahrungsbericht.

HEILIGABEND 2018

Seit fast vier Jahren befinden wir uns als FCG Gifhorn auf einem Weg der Erneuerung. Wieder und wieder werden wir überrascht, beschenkt und sind oft sprachlos. So ist es uns auch am Heiligabend 2018 ergangen. Vier identische Gottesdienste hatten wir für den 23. u. 24. Dezember geplant. Warum vier? Die Entwicklung der letzten Jahre, die vielen Freunde, die nun die FCG besuchten, die »Einladefreudigkeit« der FCG’ler …, führte uns zu dieser Planung.

Wir waren aufgeregt.
Würde das klappen? Würden Menschen kommen? Würden wir das als Team schaffen?  Über 800 Leute aus der Stadt und Region kamen schließlich. 3000,- € wurden für Kinder der Stadt gesammelt, die in sozial herausfordernden Umständen leben. Wieder waren wir alle sprachlos. Gott hat mit uns mehr vor, als wir es uns selbst erhofften, dachten.

Wie ist das gekommen?
Uli Eggers und Michael Diener fragten im letzten Jahr, ob wir unsere Geschichte aufschreiben und als Beitrag zum Buch »Mission Zukunft« beisteuern könnten. Am letzten Donnerstag ist es erschienen. Das Inhaltsverzeichnis zu diesem faszinierenden Kompendium ist hier einzusehen. Einen Auszug unserer Geschichte könnt ihr jetzt hier lesen:

AUFBRUCH! Nur ein Traum?

„Ich habe erstmals überhaupt eine Predigt verstanden“, sagen uns Gäste nach einem normalen Gottesdienst am Sonntag. „Wieso muss man weinen, wenn hier gesungen wird?“, fragen uns Besucher. „Gott redet zu mir!“ Krass! „Noch nie bin ich so aufgenommen worden, ihr seid so freundlich, so interessiert an euren Gästen.“

Und dann erleben wir, wie unsere Gäste unsere Freunde werden! Und wie sie anfangen, bei ihren Freunden für die Freie Christengemeinde Gifhorn (FCG) zu werben und sie mitzubringen, während sie noch selbst auf dem Weg sind. Man redet von uns in Gifhorn, einer Kleinstadt mit 40 000 Einwohnern zwischen Hannover und Wolfsburg.

Wir erleben, wie mit der Zeit unsere Freunde Jesus begegnen und etliche beginnen, ihm nachzufolgen. Immer häufiger. Das war nicht immer so bei uns, doch wenige Jahre nach einem inneren und äußeren Neustart hat sich vieles verändert. Heute erreicht die FCG 350 bis 400 Leute, zu besonderen Veranstaltungen auch 600. Die Menschen kommen aus unserer Stadt und Region. Wir sind irritiert. Damit haben wir nicht gerechnet!

Wie alles begann

2014 gab es nur noch wenig Perspektive für die FCG. Nach vielen guten Zeiten stagnierte die Gemeinde. Die Gottesdienste waren nicht gut besucht. Es herrschte eine bedrückte Atmosphäre. Etliche engagierte Leute hatten die Gemeinde verlassen. Jahre hatten sie ausgeharrt, aber irgendwann hatten sie die Hoffnung auf Veränderung verloren. Wer kann es ihnen verdenken? Ein anderer Teil betete treu weiter und hoffte, dass Gott der FCG doch noch ein neues Kapitel schenken würde.

Einige Leiter der FCG Gifhorn waren sich nicht sicher, ob die Gemeinde, die es schon fast 60 Jahre gab, überhaupt überleben würde. Gerade waren sie durch eine schwere Krise gegangen. Doch Gott hatte einen Aufbruch geplant.

Während ich diese Zeilen schreibe, stehen wir als Gemeinde mitten in diesem Aufbruch. Mein ganzes hauptberufliches Leben als Pastor habe ich davon geträumt. Ich hatte wohl gesehen, wie in anderen Regionen der Welt Kirchen so einen Aufbruch erlebten. Aber in Deutschland? Mit einer durchschnittlichen Gemeinde? Im kleinstädtischen Umfeld?

Meine Frau und ich hatten nicht vor, in eine Kleinstadt zu ziehen, ohne Hochschulen, urbanes Leben und eine ausgeprägte kreative Szene. Aber weil eine Freundin, die die FCG in der Krise begleitet hatte, uns darum bat, machten wir uns im April 2014 auf den Weg. An diesem Samstag sprach Gott zu uns. Nicht hörbar, aber doch sehr eindrücklich. „Zieht nach Gifhorn, ich habe hier Großes vor“, meinte ich zu verstehen, als wir an einer Kreuzung der Umgehungsstraße standen. Mein Herz schlug heftig und der Glaube, dass Gott handeln wird, begann zu wachsen.

Würde sich die Gemeinde erneuern lassen und zu einem Ort werden, an dem „der Himmel die Erde berührt“? Kirche als ein Ort, an dem Menschen Gott begegnen und eine Gemeinschaft finden, die den Glauben ansteckend lebt?

Wie oft habe ich mir diese Frage gestellt. Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, zu so einer Kirche zu gehören! Schon als junger Mann träumte ich davon. Später wurde es tatsächlich ein Teil meiner Berufung, Gemeinden auf so einen Weg zu bringen. Eine tolle Aufgabe! In den letzten 30 Jahren konnte ich fünf Gemeinden selbst begleiten, anderen durch Beratung helfen. Wir haben erlebt, dass Gott Erneuerung schenkt! Es begeistert mich, auch noch Jahrzehnte später. Das ist meine Leidenschaft, für die ich alles gebe.

Was wir aber in den letzten vier Jahren in Gifhorn miterleben, stellt alle bisherigen Erfahrungen in den Schatten. Wer – außer Gott –  hätte sich so etwas ausdenken können?

Was ist passiert?

Der Start: Entzündet werden

Im Januar 2015 starteten wir als FCG einen „Gemeindeprozess“. Bibelarbeiten eröffneten den Weg. Wir wollten uns an der Frage orientieren, was Gottes Auftrag für seine Kirche ist. An diesem Auftrag wollten wir die FCG ausrichten. Er sollte unsere Prioritäten bestimmen. Und da bemerkten wir, wie der Heilige Geist in uns zu arbeiten begann. Wir beschäftigten uns in den Gottesdiensten mit dem Zustand unserer Herzen und begannen, regelmäßig und intensiv als Gemeinschaft zu beten. Gott wirkte zuerst in uns, bevor er durch uns zu wirken begann. Augustinus erinnert uns: „In dir muss brennen, was du in anderen anzünden willst.“ So wahr. Die missionarische Leidenschaft muss zuerst in jedem einzelnen Menschen entzündet werden, bevor sie zu einem Flächenbrand in der Kirche wird.

Das Feuer breitet sich aus

Ab Ostern 2015 wurden erste Auswirkungen sichtbarer: Die Gottesdienste füllten sich. Noch-Nicht-Christen saßen in unseren Reihen. Es setzte eine Dynamik ein, die ich so aus erster Hand nicht kannte. Die FCG erlebte ein „Momentum“, das uns oft den Atem nahm und immer noch nimmt. Viele „alte Hasen“ wurden von einer neuen Begeisterung für Jesus gepackt. Sie luden Freunde zur Gemeinde ein. Und die kamen – wir staunten! Immer mehr von ihnen, immer häufiger. Man kann sich vorstellen, welche Freude das in uns auslöste. Warum kamen sie? Wollten sie ihren Freunden einen Gefallen tun? Jedenfalls gefiel es ihnen in der FCG! Die Ausrichtung am Auftrag, den wir für unseren Kontext übersetzen wollten, war jetzt an allen Ecken und Kanten in der Kirche zu sehen und zu hören, im Gebäude, der Bühnengestaltung, der Musik, der Predigt, den Angeboten unter der Woche.

Die entscheidende Veränderung

Die stärkste Veränderung fand aber in uns statt und das hatte die größte Auswirkung. Wir bekamen eine neue beziehungsweise erneuerte Haltung Gott gegenüber, ein besseres Verständnis für seinen Auftrag an uns und eine neue Einstellung gegenüber den Menschen unserer Region, die Gott noch nicht kennen.

Unsere Gäste erlebten also in erster Linie uns anders! Und weil sich in uns Dinge veränderten, veränderten sich auch die Dinge um uns herum. Der äußere Rahmen des Gebäudes, die Farben, die Deko, der Stil, das Bühnenbild verwandelte sich. Aber auch die Gastfreundschaft, die schon immer eine Stärke der Gemeinde gewesen war, verstärkte sich noch einmal spürbar. Unsere Art, wie wir Menschen begegneten vom Parkplatz bis zum Kaffeeteamverwunderte die Besucher und sie sprachen uns darauf an.

Unsere Gäste waren gern da, sie fühlten sich wohl. Und wir selbst waren auch wieder richtig gern in der FCG! Alle merkten das! Der Himmel begann die Erde zu berühren!

Weitere notwendige Veränderungen

Natürlich sind die Fragen nach dem Musikstil, der Sprache, der Kleidung auf der Bühne und so weiter nicht unwichtig. Aber es ist ein Fehler, zu denken, dass Veränderung in diesen Punkten eine Gemeinde verwandelt. Diese Themen ändern sich als Folge von Überzeugungen! Unsere Überzeugungen gewannen wir aus dem Studium der Bibel und wir bewegten sie im Gebet. Ohne Überzeugungen bleiben wir zu sehr an den Äußerlichkeiten hängen, die nicht unwichtig sind, aber eben auch nicht entscheidend.

In der Folge renovierten wir unsere Räume gründlich und veränderten den Style der FCG. Die Leute, die wir erreichen wollten, sollten sich bei uns wohlfühlen. Auch den Gottesdienst mit seinen Angeboten im Umfeld bauten wir um. Wir wollten einen verlässlichen Rahmen schaffen, damit die FCGler „sicher“ sein konnten, wenn ihre Gäste endlich mitkamen. Jeder Gottesdienst sollte sowohl für Gäste verständlich als auch für Christen inspirierend und zur Nachfolge herausfordernd sein. Unsere „Schatzinsel“, das Angebot für Kinder, war uns dabei ebenso wichtig wie das Ordnungsteam.

Die FCG: Gewöhnlich oder außergewöhnlich?

Eigentlich ist alles sehr unspektakulär bei uns. Andere Kirchen machen das bestimmt noch viel, viel besser als wir. Man kann sogar enttäuscht sein, wenn man uns mit bekannten Adressen vergleicht. Wir haben keine superbegabten Musiker, Künstler, Videografen oder Redner am Start. Auch unsere Leiter sind keine übercharismatischen Persönlichkeiten, die alle elektrisieren. Vordergründig könnte man denken, dass die Wirkung nicht wirklich zur Ursache passt, weil hier im Wesentlichen Normalos am Werk sind.

Nichts von dem, was wir als FCG tun, ist perfekt! Auch nach vier Jahren nicht. Aber Perfektion ist für uns kein Wert an sich. Wir bemühen uns, unsere Berufung mit Exzellenz zu leben. Das bedeutet, dass jeder an der Stelle, an der er Verantwortung übernommen hat, versucht sein Besteszu geben! Mit Leidenschaft, Hingabe und als Priorität. Leidenschaft ist ansteckend, immer! Das Spektakuläre bei uns sind unsere Mitarbeiter und ihre inneren Haltungen, die Christus wirkt (Kolosser 1,27).

Und dennoch ist irgendwie alles ganz besonders. Warum? Wir vermuten, dass es an Gott liegt. Und an dem Team der FCGler, die sich auf seinen Weg mit Leidenschaft eingelassen haben. Leute, die Gottes Prioritäten zu ihren gemacht haben und sich seinem Auftrag verpflichten. Nicht nur in der Theorie, sondern wirklich. Und gemeinsam. Als einTeam, das sich mit überdurchschnittlicher Hingabe und Leidenschaft einbringt. Das ist außergewöhnlich! Und sehr ermutigend! Warum? Wenn Gott mit Normalos in Gifhorn Außergewöhnliches hinbekommt, dann kann er das im ganzen Land. Und Normalos gibt es ja überall genug.«

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Soweit der Auszug. Im Buch reflektieren wir recht konkret weiter, was wir

  • auf dem Weg bisher gelernt haben,
  • worin die Kraftquellen des Prozesses liegen,
  • welche Hürden zu nehmen sind und
  • wie der Anfang aussehen kann.

Darüber hinaus …

Darüber hinaus befinden sich in »Mission Zukunft« hervorragende praktische Beiträge und theoretische Reflexionen für alle, denen die Zukunft der Kirche als ein dynamischer Organismus am Herzen liegt. Eine Kirche, die viele Ausdrucksformen hat und doch wirksam in ihrem Kernauftrag ist. »Mission Zukunft«ist ein Denk-Katalysator für Landeskirchler, Freikirchler, ICFler, junge Leiter in der Kirche, Langstreckenläufer …

Ein breites Spektrum!

Am Buch mitgewirkt haben: Konstantin von Abendroth, Jörg Ahlbrecht, George Augustin, Steffen Beck, Bettina Becker, Heinrich Bedford-Strohm, Sandra Bils, Andreas Boppart, Christina Brudereck, Birgit Dierks, Klaus Douglass, Alexander Garth, Thies Gundlach, Christian Hennecke, Michael Herbst, Ansgar Hörsting, Steffen Kern, Patrick Knittelfelder, Lothar Krauss, Annette Kurschus, Bernhard Meuser, Hans-Hermann Pompe, Johannes Reimer, Christoph Stiba, Dominik Storm, Ekkehart Vetter, Gerold Vorländer, Markus Weimer, Elke Werner

Mission Zukunft
Michael Diener | Ulrich Eggers (Hrsg.)
SCM R.Brockhaus
352 Seiten | 19,99 € | eBook: 15,99 €

Über Lothar Krauss

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2 Antworten zu GEMEINDEERNEUERUNG? GEHT DAS WIRKLICH?

  1. Kai Flottmann schreibt:

    Grossartig! Sehr ermutigend und inspirierend zu lesen! Es funktioniert wirklich, dass dürfen wir in Oberfranken gerade auch erleben. Gott ist einfach genial!

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