Wollust. So heißt die Episode #5 vom Podcast »Toxic Church« die mit diesen Worten angekündigt wird: „In dieser Folge geht es um Sex. Es geht um die sogenannte Purity Culture, die in pfingst-evangelikalen Gemeinden wie Hillsong praktiziert wird. Sex vor der Ehe? Um Gottes Willen! Doch was macht es mit Menschen, wenn man ihnen ihre sexuelle Selbstbestimmung nimmt?“ In meiner Reflexion orientiere ich mich weiter am eigenen Anspruch des Podcasts, nämlich den Fokus auf die Arbeit von Hillsong Germany zu legen.
- Was nehme ich wahr?
- Was kann ich nachvollziehen?
- Was macht mich nachdenklich am Podcast?
- Anfragen aus dem Podcast, die ich mir stelle:
- Was schlussfolgere ich daraus?
Was nehme ich wahr?
Es ist persönlich
Die Geschichten, die erzählt werden, sind persönlich. Sehr persönlich. Die Podcasterin fragt immer wieder nach, wie sich die Personen gefühlt haben.
Heuchelei!
Was wird gepredigt und erwartet? Was wird gelebt? Hohe Erwartungen von den Leitern. Aber leben sie das selbst? Wenn Glauben und Leben nicht zusammenpasst, ist das der Super-Gau. Die internationalen Skandale strahlen aus. Wie ist das: Hillsong Global – Hillsong Germany?
Gerade an diesem Punkt ist die Frage, wie man Hillsong Germany im Verhältnis zu Hillsong Global verstehen muss, erneut wichtig! Wie eng ist die Verbindung? Wie frei und eigenständig sind Ortsgemeinden tatsächlich in aller Welt? Auch in Deutschland? In den USA haben sich Hillsong Kirchen von der internationalen Struktur im Zuge der Skandale gelöst und sind eigenständig geworden. Fragen, die ich mit in das Gespräch mit dem Lead Pastor Germany, Freimut Haverkamp nehme.
Beziehungs- u. Sexualethik
Im Zentrum der Episode steht dann auch die Frage nach der Beziehungs- und Sexualethik, auf die die O-Tön von Sandra, Michael und Max, aber auch die Einschätzungen der beiden Experten Pickel und Pöhlmann eingehen.
Es ist von der Purity Culture die Rede, die aber insgesamt sehr unterschiedlich in Freikirchen gehandhabt wird, was die Podcaster auch herausstellen! Die Bandbreite ist in der Tat sehr groß! Heute ist in vielen Freikirchen eine Diskussion im Gange, wie die Sicht auf nicht heteronormativen Cis-Menschen sein kann.
Wichtige Anfragen
Episode #5 stellt wieder richtig wichtige Anfragen an die freikirchliche Gemeindeszene. Und damit ist auch diese Episode ein guter Anstoß für mich, meine Arbeit in der Viva und sicher auch für andere Leitende in Freikirchen!
Was kann ich nachvollziehen?
Sandra
Sandra berichtet davon, wie sie in einem Club beim Feiern einen netten jungen Mann kennenlernt, sich verliebt, ihn dated und damit in einen tiefen inneren Konflikt gerät. Die Werte, die sie durch Hillsong im Blick auf Beziehungen aufgenommen hat, stehen im Widerspruch zu ihren Gefühlen, ihrem Herzen. Sie beschreibt sich als innerlich zerrissen und trifft schließlich eine Entscheidung „gegen das eigene Herz, die eigene Intuition und gegen alles, indem sie auf ihren Kopf hört.“
Sie entscheidet sich also gegen die Beziehung. Die Leute bei Hillsong – nicht die Leiter, sagt sie – gratulieren ihr und feiern sie für diesen Schritt. Sie selbst verliert – ausgehend von dieser Entscheidung – nicht nur den Bezug zu Hillsong, sondern schließlich ihren Glauben an Gott, berichtet sie.
Das kann ich total nachvollziehen. Viele tausende junger Frauen und Männer, die in Freikirchen, Gemeinschaften, „intensiv evangelischen“ und katholischen Kirchen beheimatet waren, wissen genau, was Sandra durchlebt. Vielen ist es ähnlich ergangen. Tim Keller meint, dass die Frage nach der Beziehungsethik einer der Hauptgründe ist, warum Menschen in der westlichen Kultur sich schließlich vom Glauben abwenden. Oder erst gar nicht den Schritt in den Glauben wagen.
Michael
Er besucht Hillsong Zürich. Dort lernt dort seine Freundin kennen. In New York City trifft Kyra Funk ihn in der Schlange, bevor der Hillsong Gottesdienst startet. Er ist angetan von Hillsong, obwohl er zum Teil andere Ansichten vertritt. Bis heute besucht er die Church in Zürich. Doch er findet, dass die Church ihre Ethik in Beziehungsfragen unbedingt überdenken sollte.
Michael lässt sich von den Normen, die Hillsong vertritt, nicht davon abhalten, mit seiner Freundin in die Ferien zu fahren. Kyra Funk fragt Michael, (22:29) wie Hillsong dann mit ihnen umgegangen ist? Hier der O-Ton:
„Beziehungen zu den Menschen, das macht Hillsong richtig gut.“ Die Podcasterin: „Ihr habt euch nicht verurteilt gefühlt?“ (22:50) „Nein. Von den Menschen nicht.“ Kyra Funk: „Von der Institution schon?“ „Haben wir eine andere Meinung, Haben wir eine andere Meinung, über das, was gut ist, was christlich ist, was Jesus machen würde, Haben wir eine andere Meinung, das ist richtig, aber von den Menschen, äh, das sind die Beziehungen, dass ist ja auch dank Hillsong entstanden, diese Beziehungen, und die halten, und die bleiben, und die sind gut.“
Auch diese Erfahrung ist vielen jungen Christen unterschiedlicher Freikirchen vertraut. In den Kirchen, in denen ich die letzten 40 Jahre aktiv war, könnte das auch so gelaufen sein.
Sein Ausflug in die Patchworkfamilie von Jesus, als Begründung für das eigene Verhalten, habe ich so noch nie gehört. Vielleicht nur so viel: Die jüdische Verlobung stellt ein rechtsverbindliches Eheversprechen dar. Die eheliche Gemeinschaft wird erst nach der Heimholung der Braut durch den Bräutigam aufgenommen. Josef hatte Maria zu sich geholt. Sie waren nun verheiratet im Stall zu Bethlehem …
Max
Max berichtet davon, dass er in seiner Zeit in Konstanz in einer WG mit drei Frauen, die auch studierten, lebt und zu 100% zu „Kein Sex vor der Ehe“ steht. Und dann fährt er fort, dass er ein Foto aus der Küche mit den drei Mitbewohnerinnen auf Instagram postet, um damit die coole WG zu feiern. Kurz darauf schickt Jan Kohler, der damalige Campus-Pastor in Konstanz, ihm eine SMS:
„Lösche bitte den Instagram Post, weil, das ist nicht repräsentativ für einen Leiter aus unserer Kirche, dass er ein Foto postet wo er sagt, dass er es gut findet, mit drei Frauen zusammen zu wohnen.“
Die Podcaster bitten auch Jan Kohler um eine Stellungnahme dazu, die aber nicht kommt. Dass das so passiert ist, kann ich gut nachvollziehen. Viele – besonders jüngere – Freikirchen sind darauf bedacht, ein stimmiges und sehr positives Bild über sich zu vermitteln.
EXKURS: Ein Blick in Instagram an einem beliebigen Montag zeigt es: alle sind gut drauf, haben einen sensationellen Gottesdienst erlebt, eine unfassbar gute Predigt gehört, wunderbare, hübsche und junge Leute getroffen, ein tolles Event gehabt und Jesus gefeiert. Hillsong hat hier mit seinem ausgefeilten Auftritt in den sozialen Medien die Latte hochgelegt. Das muss man einfach so einräumen …
Purity Culture, Sex vor der Ehe, Sex außerhalb der Ehe, Homosexualität
Wir sind beim Kernpunkt der »Episode #5: Wollust« angekommen. Hier vermisse ich O-Töne aus Predigten, Vorträgen oder Seminaren von Hillsong Germany. Dennoch: alles nachvollziehbar. Es ist dabei zu bedenken, dass das kein spezifisches Thema von Hillsong ist! Kyra Funk greift das folgerichtig auf und erzählt, dass sie das auch in ihrer Freikirche, in der sie aufgewachsen ist (die Mennoniten in Bielefeld), so war. Und dass das in vielen Freikirchen so wäre. Allerdings recht unterschiedlich ausgeprägt. Da stimme ich den Podcastern zu.
Was macht mich nachdenklich am Podcast?
Die Podcaster sprechen über die Beziehungsethik von Hillsong, die sehr viele Christen rund um den Globus teilen und dafür auch gute Gründe aus den Humanwissenschaften anführen könnten.
Aus der Perspektive der Podcaster und ihrer Weltsicht, stößt das auf. Das verstehe ich. Sie reflektieren mit ihrem Wertesystem und ihrer Lebensvorstellung, die von einer breiten Mehrheit unseres Kulturraumes geteilt wird. Das ist ihr Maßstab. Und da fällt Hillsong Germany durch. Wir müssen hier ehrlich sein. Auch die anderen Freikirchen, die inhaltlich in der Frage so ticken, wie das Hillsong tut, fallen auch durch.
Rund um den Globus ist diese Sicht unseres Kulturraums aber nicht die einzige Sicht, was gute Werte ausmacht und welche Lebensstile erstrebenswert sind. Unzählige Menschen in anderen Kulturräumen würden andere Werte, andere Lebensstile als richtig für sich sehen. Unsere westliche Auffassungen zur Norm zu erheben und mit ihnen andere Systeme zu beurteilen, ist auch in weiteren Fragen des Lebens nicht ganz unproblematisch. Unsere europäische Geschichte hat sich da nicht mit Ruhm bekleckert.
Praktisch kann man das aktuell in der weltweiten Anglikanische Kirche beobachten. Sie hat wahrlich wenig mit Hillsong oder den deutschen Freikirchen zu tun. In ihr sind große Spannung an der Frage der Segnung homosexueller Paare aufgebrochen. Der globale Süden hat Mühe mit den theologischen und ethischen Entwicklungen des Nordens. Erst kürzlich (April 2023) stellten sich 85 % ihrer weltweiten Bischöfe, wegen dieser Frage, gegen den Erzbischof von Canterbury.
Die Kritik der Podcaster an der Ethik von Hillsong …
… ist eine Kritik, die also auf viele unserer Freikirchen zutrifft. Die Podcaster, die O-Töne und die Experten lehnen die Ethik von Hillsong ab. Sie werten sie „als aus der Zeit gefallen“, und datieren diese Sicht auf den „Stand der 1950er Jahre.“ Vielleicht ist das zutreffend?! Aber ist das berechtigt? Dieses Urteil wird ja auf Grundlage der eigenen Weltanschauung, der eigenen Werte, gefällt. Das ist nicht neu in der Geschichte der Kirche, sagt N.T. Wright, emeritierter Professor für Neues Testament und frühe Christenheit. Seit dem 1. Jahrhundert sei sie damit konfrontiert.
Wright ist einer der führenden neutestamentlichen Theologen und Leben-Jesu-Forscher im englischen Sprachraum. Ein ausgewiesener Fachmann zur Frage, wie das Verständnis der Sexualität zur Zeit Jesu und der jungen Kirche in der Gesellschaft war. Wie verhielten sich die Lehraussagen des Neuen Testamentes dazu? Hier kommen einige kurze Zitate aus einem Beitrag von ihm, den ich vor 10 Jahren auf dem Blog brachte:
„Das Problem besteht natürlich darin, dass die moderne Welt, genau wie ein Großteil der antiken Welt, zu dem Schluss gekommen ist, dass das, was manchmal »ein aktives Sexualleben« genannt wird, nicht nur die Norm ist, sondern dass niemand, der richtig bei Trost ist, darauf verzichtet. Die einzige Frage ist: Welche konkreten Formen sexueller Aktivität empfindest du als aufregend, erfüllend oder den Lebenswert steigernd?
Die frühe und die normative christliche Tradition hebt sich an dieser Stelle gemeinsam mit der großen jüdischen Tradition und an dieser Stelle sogar mit der späteren islamischen Tradition vom normalen Ansatz des Heidentums in seinen alten und modernen Formen mit einem strengen »Nein« ab.
Während der gesamten ersten christlichen Jahrhunderte, als jede Art von Sexualpraktik, die in der Menschheit jemals bekannt war, in der antiken griechischen und römischen Gesellschaft weit verbreitet war, bestanden Christen wie Juden darauf, dass die ausgelebte Sexualität auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau zu beschränken sei. Heute wie damals denkt der Rest der Welt, das sei verrückt. Der Unterschied besteht leider darin, dass heute auch die halbe Kirche dasselbe denkt.“
Auszug aus den Seiten 229 – 231: Tom Wright, Warum Christ sein Sinn macht © 2009 Johannis bei SCM Hänssler
Die Podcaster, und auch die O-Töne machen klar, dass diese christliche Sicht auf die Sexualethik für sie nicht in Frage kommt. So wie es auch für viele Menschen in der griechisch-römischen Welt nicht in Frage kam. Die christliche Position war eine klare Provokation. Damals wie heute. Ich respektiere die Kritik. Aus dieser Weltsicht, diesen Werten … ist das für sie absolut stimmig. Für mich teile ich sie aber nicht.
Man kann durchaus der Ansicht sein, dass ein One-Night-Stand, der Konsum von Pornografie, wechselnde Partner usw. einem gut tun. Und das jeder es so machen soll, wie er oder sie es mag. Und man kann auch der Überzeugung sein, dass das der selbstbestimmte Lebensentwurf ist, den jeder leben können sollte, solange man damit niemandem schadet. Ob das so ist, steht auf einem anderen Blatt. Diese Einschätzung überlasse ich den Humanwissenschaftlern. Aber: Wenn man diesen Lebensentwurf nicht teilt, ist man nicht gleich in den 1950er Jahren steckengeblieben, oder aus der Zeit gefallen.
Wo liegt dann das Problem?
Dort, wo Hillsong Germany ihre Weltsicht Menschen gegen ihren Willen „aufzwingt“. Wenn Menschen aus „Angst, verurteilt zu werden.“ (33:58), wenn also ein Mensch nicht offen und ehrlich sein kann bei Hillsong.
Max berichtet, wie er einen Freund, auf dessen Bitte hin und auf dessen Kosten er ihn zu einem Kurs begleitet. Es ist ein Kurs für Männer, die ihre Sexualität reflektieren wollen und dabei von der eigenen sexuellen Vergangenheit berichten. Der Freund berichtet, dass er sexuelle Beziehungen mit Männern hatte. Max ist schockiert. Nicht über die homosexuellen Beziehungen des Freundes, sondern, dass ihm sein Freund das nicht gesagt hat. Ist das die Folge eines Hillsong Systems, das Druck aufbaut, Angst erzeugt und in Schweigen führt? Oder …?
Das eigentliche Problem von Hillsong kommt jetzt:
Das „No Go!“
Max sagt:
„Die Leiter der Kurse haben das den Pastoren weitergesagt was dazu führte, dass man in der Church limitiert war. Z.B. kein Team mehr leiten …“
War das in Australien oder in Konstanz? Das ist mir gerade nicht klar. Einzelfall oder System? Ausnahme oder Plan? Vom Hillsong College wissen wir, dass es so ein System gab (oder gibt), das persönliche Infos an Verantwortliche weitergegeben werden, ohne das Wissen und die Zustimmung der Betroffenen. Das geht einfach gar nicht! Darüber muss man reden. Er fährt fort zu berichten …
Max sagt dass er, der bereits Sex vor der Ehe hatte. Das disqualifizierte ihn aber nicht bei Hillsong! „Aber es wurde erwartet und kontrolliert, das so nicht mehr zu leben. Man wurde regelmäßig indirekt gefragt von den Pastoren oder den Teamleitern …“ berichtet er.
Erwartet und kontrolliert!
Das Christen leben, was sie predigen, ist eine legitime Erwartung. Carl Lentz tat das nicht, Brian Houston auch nicht. Wenn christliche Leiter das, was sie „predigen“, nicht selbst leben, geht viel Vertrauen verloren. Ganz schnell. Diese Erwartung ist also berechtigt. Das gilt auch im Berufsleben, Vereinsleben, im Freundeskreis … Das ist nicht der schwierige Punkt.
Der schwierige Punkt ist: Kontrolle. Direkt, oder indirekt. Durch Teamleiter, Pastoren, andere Mitarbeiter … In diesem Zusammenhang hören wir auch einen O-Ton zur Anforderung an Mitarbeitende bei den Kinderangeboten von Hillsong Konstanz:
Sandra berichtet davon (45:15) dass da sehr persönliche Angaben erforderlich waren, die der Fragebogen von Hillsong Germany abgefragt, wenn man bei den Kids mitwirken will. Sie ist sich dann aber nicht ganz sicher, doch sie meint sich daran zu erinnern, dass da auch nach Homosexualität gefragt wurde, und ob man im letzten halben Jahr einen Porno geschaut hat.
Auch hier muss geklärt werden, was genau Fakt ist. Sandra räumt nämlich sehr fairerweise ein, dass sie sich nicht mehr zu 100 % erinnert. Aber wie ist das bei Hillsong: die Frage nach dem Kinderschutz spielt – berechtigt! – eine sehr große Rolle in unserer Kultur.
Da muss man als Kirche genau sein, wenn man Kinder in die Obhut von Erwachsenen gibt. Wenn Familie ihre Kinder ehrenamtlichen Mitarbeitern anvertrauen, dann haben sie zu Recht eine hohe Erwartung an uns in den Kirchen!
Aber der Respekt vor der Privatsphäre des Individuums ist auch ein hohes Gut! Wie bringt man das verantwortlich zusammen? Wie hat das Hillsong gemacht? Oder ist das alles ein verdecktes Werkzeug der Macht, der Manipulation und Kontrolle?
Heuchelei
Der Freund von Max offenbart sich in diesem Kurs für Männer. Wir greifen diesen Bericht noch einmal auf. Sie sind eng, aber dass der Freund homosexuelle Beziehungen hatte, wußte er nicht. Max ist erschrocken. Die Frage, die dabei direkt auf dem Tisch liegt ist, ob das dem System Hillsong geschuldet ist? Ist da ein Druck im System, das Menschen in die Heuchelei abdrängt? Aus Angst vor den Konsequenzen?
Im frommen Umfeld gedeiht Heuchelei besonders gut!
Jesus begegnet der Heuchelei gerade im frommen Kontext und hat klare Worte für die frommen Heuchler seiner Zeit. Hier ein Beispiel:
15 Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land und Meer durchzieht, damit ihr einen Proselyten gewinnt; und wenn er’s geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, doppelt so schlimm wie ihr. | Matthäus 23,15
Und auch die erste bekannte Kirchenordnung (80 – 100 n. Chr.), die Didache, ist da eindeutig: „Hasse jegliche Heuchelei …“ (4.12)
Carl Lentz, Brian Houston … Heuchler? Sie sind Beispiele im Podcast. Aber es geht ja um Hillsong Germany. Da fallen keine Namen, kein Vorwurf an die Lead Pastoren Germany. Aber spricht das das System Hillsong frei? Und welchen Einfluss hat das System Hillsong Global in Hillsong Germany?
Fragen, die wir uns stellen müssen!
An diesem Punkt müssen wir kurz innehalten. Der Blick muss nach innen gehen, zu uns selbst. Sicher, jeder Mensch muss sich das fragen. Wo heuchle ich? In der Clique, der Familie, im Job, beim Chef oder den Kollegen? Da ist ein großes Potential in uns allen, oder?! Aber in der Kirche, wo der Anspruch so hoch ist, da tut es besonders weh!!!
Was kann mich vor Heuchelei bewahren?
Diese Frage treibt mich um, wenn ich über die Passagen im Podcast nachdenke und mich selbst dabei reflektiere!
- Wie ist da bei mir persönlich?
- Wo predige ich „Wasser“, trinke aber selbst „Wein“?
- Welche Fragen, welche Verbindlichkeiten helfen mir, nicht zum Heuchler zu werden, obschon ich sicher hier und dann nicht ganz stimmig bin, lebe … Oh man …
Homosexualität
Und schließlich wirft der Podcast auch dieses Thema in die Runde. Ein Thema mit einer schwierigen Geschichte. Bis 1969 war die Polizei aufgrund § 175 aktiv. Dann wurde Homosexualität als psychische Krankheit eingestuft. 1990 strich die WHO das von ihrer Liste. 1994 fiel § 175 im Zuge der Rechtsangleichung mit der DDR weg. Heute sprechen wir in der westlichen Welt von der Homosexuellen Identität. Ein Konzept aus unserem Kulturraum, meint Wikipedia.
Wie sehen Kirchen das Thema? Was sagt die Bibel zur Homosexualität und wie sind die Texte heute zu verstehen? Bis in die jüngste Geschichte war sich die christliche Gemeinschaft im Wesentlichen einig darüber, sagen die Professoren Fortson und Grams in ihrem 400 Seiten Buch Unchanging Witness: The Consistent Christian Teaching on Homosexuality in Scripture and Tradition Sie sind der Frage durch die Jahrhunderte der Kirchengeschichte nachgegangen.
Das hat sich grundlegend in den letzten 15 + Jahren gewandelt. Alle Kirchen ringen mit dieser Frage. Die anglikanische Kirche erlebt, wie oben erwähnt, gerade eine tiefe Spannung über diese Frage!
Wir müssen festhalten, dass die Einschätzung zur Frage der Homosexualität und der Umgang mit Menschen, die ihre Homosexualität ausleben und Jesus nachfolgen wollen, nicht nur für Hillsong eine Herausforderung ist. Viele Freikirchen stehen in der Gefahr, die Frage zu einem unwichtigen Nebenthema zu erklären, was aber nicht gelingt. Weder bei Hillsong, noch in den anderen Freikirchen.
„Bibel, Homosexualität und Evangelische Theologie.“ Unter dieser Überschrift hat Dr. Gerrit Hohage, Pfarrer der Badischen Landeskirche (Evangelisch), schon 2015 eine Übersicht zu den unterschiedlichen Positionen, die Christen einnehmen, zusammengestellt. Darin hat er auch die Vor- und Nachteile einer jeden Position eingeschätzt. Ein echt hilfreicher Einblick zu den unterschiedlichen Auffassungen, die auch aktuell in der Szene der Freikirchen bestehen. Hier ist Hohages Arbeit als Download verfügbar.
Noch etwas: Ohne weiteren Beleg (das Hillsong so etwas anbietet, fordert und empfiehlt) fällt das Stichwort „Konversionstherapie“. Sorry, das ist so ein heftiges Wort, mit einer sogar juristischen Dimension. Da hätte ich jetzt echt gerne einen O-Ton von den Lead Pastoren gehört, oder ein Zitat mit Quelle aus einem offiziellen, einsehbaren Dokument gesehen.
Anfragen aus dem Podcast, die ich mir stelle:
Lothar, der Heuchler?
- Sind meine Ideale zu hoch, und führen sie bei mir selbst, bei uns in der Viva, deshalb zur Heuchelei?
- Predige ich ausgewogen, im gesunden Verhältnis von Anspruch und Zuspruch?
- Bin ich ein Ermutiger? Blühen Menschen in meinem Umfeld auf, oder entsteht ein Klima von Angst, Schein, der Selbstdarstellung, der Unwahrheit über einen selbst fördert?
- Kann man bei uns offen über das eigene Versagen sprechen, um Hilfe bitten, zusammen beten, ohne dass das zum Nachteil wird?
- Ist bei uns das Verhältnis von Liebe zu Wahrheit und Konsequenz gesund? Die Frau aus dem Ehebruch erfährt Liebe, sie wird nicht verurteilt. Doch Jesus trägt ihr auf, nicht mehr zu sündigen!
- Sünde – ein Begriff, den die Podcaster in der Episode nicht positiv sehen. Wenn man sich inhaltlich aber mit ihm beschäftigt, entdeckt man die Relevanz! Wo Sünde dominiert, wird das Wertvollste in unserem Leben zerstört: unsere Beziehungen. Haben wir diese Perspektive, wenn wir über Schuld, Sünde … in der Viva sprechen?
- Wie kann ich so darüber sprechen, dass nicht die Moral und der Zeigefinger regiert, sondern die Liebe, Fürsorge und Wachstum zur Reife? Es ist Gottes gute Absicht mit seinen Regeln, uns vor Schaden zu bewahren! Sie müssen aber zu eigenen Überzeugungen im Herzen reifen, wenn sie helfen und leiten sollen.
- Bin ich als Leitender offen im Umgang mit meinen Sünden, Schwächen, Fehlern und meinem Versagen? Oder zeige ich in der Kirche (m)eine „Hochglanzversion“, die aber den Alltagstest nicht besteht?
- Wer bin ich, wenn mich niemand sieht?
- Predige ich Dinge, die wir als ganze Gemeinschaft aber nicht leben oder stillschweigend tolerieren, ohne darüber zu reflektieren?
- Beispiel: Wir predigen – KEIN SEX VOR DER EHE – die jungen (und nicht mehr so jungen Paare) leben es anders. Alles ahnen oder wissen es. Keiner spricht es an! Hm?!
- Aber nicht nur die Frage der Beziehungen gilt es zu bedenken, auch andere ethische Fragen wie Schwarzarbeit, Süchte, ungeklärte Konflikte, Neid, Missgunst, Gier, Streit, Umgang mit Schwachen, Bedürftigen, Geflüchteten, andere Nationalitäten …
Was schlussfolgere ich daraus?
Nachdem Christen eine sehr lange Zeit die Werte in einer Gesellschaft bestimmt haben, ist diese Zeit vorbei. Andere Weltanschauungen, Überzeugungen, Werte, Lebenskonzepte, Lebensideen bestimmen unsere Kultur. Irgendwie sind wir auf Anfang zurückgesetzt. Und aus dieser Perspektive werden wir sehr schräg wahrgenommen, oder wie es N.T. Wright formulierte: „Heute wie damals denkt der Rest der Welt, das sei verrückt.“
Die Kritik an Hillsong Germany in Episode 5 müssen wir ausweiten. Sie betrifft uns in den Freikirchen, sofern wir an den historischen Überlieferungen noch festhalten, was aber nicht mehr in allen Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften der Fall ist. Der Podcast trifft die christliche Gemeinschaft an einem Punkt, an dem bei uns zu diesen Fragen so viel „im Fluss“ ist, wie selten zuvor.
Wir müssen uns fragen, welche Kultur wir in unseren Kirchen bauen? Und: welche Systeme wir anwenden! Gibt es bei uns Freiheit, offene Gespräche, und Raum für ehrliche Rückmeldungen? Offene Ohren und Herzen von uns Leitenden? Der Podcast legt mit seinen O-Tönen den Finger in die Wunde.
Wir fragen uns:
- Finden bei uns Menschen einen Raum, in dem sie reifen können, eigene Herzensüberzeugungen ausbilden und deshalb Werte leben, die Menschen mit anderen Lebensperspektiven absurd erscheinen?
- Oder bauen wir Systeme von Angst, Kontrolle und sozialem Druck, im Namen des Glaubens, nur damit alles geordnet wie bisher weiter geht?
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Die aktuelle Stellungnahme von Freimut ist so gut und erhellend:
Vor allem ab Minute 4: „Unserer Ansicht nach war die Autorin gar nicht an einer fairen und objektiven Berichterstattung interessiert, sondern wollte eher Skandal- und Sensationsjournalismus betreiben.“ Genau der Eindruck entsteht beim Hören an so vielen Stellen. Und dass es insgesamt nur dreimal Kontakt gab – und davon nur einmal (!) mit konkreten Anfragen, wenige Tage vor Veröffentlichung… Ich finde es da extrem billig zu behaupte, Hillsong hätte die Stellungnahme verweigert.
Hab selbst ne Journalismusausbildung und musste da leider immer wieder erleben, dass in Redaktionen im Kampf für die eigene Agenda, grundlegende journalistische Prinzipien über Bord geworfen werden. Wer sich auch das Gespräch mit Kyra Funk bei Hossa Talk anhört, der merkt sofort: Ihr ist diese ganze christliche Welt suspekt und die Werte, die da gelebt werden, lehnt sie ab. Es ehrt sie, dass sie das so offen zugibt. Aber leider hat sie es nicht geschafft, persönliche Sicht und Story sauber zu trennen. Sie wollte offensichtlich eine „Toxic Church“ finden – und viele Christen fallen drauf rein und kaufen ihr die Geschichte ab. So viele (zum Teil) unbelegte Verdächtigungen… Irgendwas muss da doch dran sein…
Ganz sicher wurden Fehler gemacht. Auf globaler Ebene sogar ganz schreckliche! Aber in diesem Podcast wird auch an so vielen Stellen deutlich, dass Hillsong Germany – zumindest auf Basis der gelieferten „Fakten“ – sicher nicht die „Vergiftete Gemeinde“ ist, als die die Podcastmacher sie darstellen. Die Doppelstandards sind riesengroß: Spenden, Ehrenamt, charismatische Ansprachen wird alles als schlimm und verdächtig dargestellt. Bei Fridays for Future wäre das alles kein Skandal. Das Problem sind ganz offensichtlich die Werte für die Hillsong steht (und die die Gemeinde selbst mal besser und mal schlechter lebt – es bleibt ein Kampf auch für uns Christen: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht. Und das Böse, das ich nicht will, das tue ich…“, wie Paulus es in Römer 7 sagt.)
Leider sind genau solche Podcasts der Grund, warum viele Christen eine tiefe Skepsis gegenüber journalistischer Berichterstattung haben. Ich kann es verstehen, dass viele kein Vertrauen haben, dass ihre Position fair dargestellt wird. Wer meint, Statements von Hillsong hätten es wirklich besser gemacht, der ist denke ich zu optimistisch.
Das Hossa-Talk Gespräch gibt’s übrigens hier:
https://hossa-talk.de/213-vergiftete-gemeinden-m-kyra-funk/
@Matthias
Wenn du das Gespräch bei HossaTalk mit der von dir von Kyra geforderten journalistischen ‚Objektivität‘ gehört hättest, hättest du sicher nicht die verleumderische Behauptung in den Raum gestellt, dass Kyra OFFENSICHTLICH eine „Toxic Church“ finden WOLLTE (a propos : wie war das mit unbelegten Verdächtigungen? Du machst hier einfach genau das, was du ihr vorwirfst!). Sie erzählt dort nämlich, wie sie dazu kam, diesen Podcast zu machen (Kapitel „Kyra Funk ubdToxic Church“). Sie wurde angefragt. Und sie kannte Hillsong vorher überhaupt nicht. Aus dem Interview bei HossaTalk geht auch hervor, dass sie HossaTalk (mE das wesentliche deutschsprachige post-& exevangelikale Sprachrohr und Sammelbecken für oft zutiefst verletzte und frustrierte evangelikal sozialisierte Menschen) nicht kannte bzw erst zufällig im Zuge ihrer Recherchen darauf gestoßen ist – wie auch auf den Verein Fundamental Frei. Sie hatte also mit der postevangelikalen Szene keine Berührungspunkte und hatte schon lange mit der christlichen Welt „abgeschlossen“ und für sich einen anderen spirituellen Weg gefunden. Keinerlei Rachegelüste oder Ähnliches.
Und sie sagt auch, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass ihr Podcast eine solche Reichweite hat und so viele (zustimmende und dankbare) Rückmeldungen ausgelöst hat.
Also dafür dass du eine journalistische Ausbildung hast, ist deine Pro-Hillsong-Agenda hier ganz schön deutlich in den Vordergrund getreten und du arbeitest nur mit Vorwürfen und unbelegten Verdächtigungen.
Ich stelle nochmal die Frage, die ich auch Freimut unter dem Video gestellt habe:
Aber warum wurde nicht die Chance genutzt, nach Veröffentlichung darüber zu reden. „Folge 9: Das sagt Hillsong Germany selbst zu den Vorwürfen!“
Klar, die Gefahr besteht, dass etwas aus dem Kontext gerissen wird und anders zusammengeschnitten wird. Aber so hört man halt überhaupt nicht eure Sicht der Dinge. Es wird nicht (auch jetzt nicht) miteinander geredet, sondern nur übereinander. Gab es nach Veröffentlichung von eurer Seite Versuche, sich mit den Autor:innen des Podcasts zu treffen? Oder habt ihr es einfach laufen lassen und sendet jetzt euren Standpunkt im Monolog?
Ich stelle hier noch einmal die Frage, die ich auch Freimut schon unter dem Video gestellt habe:
Aber warum wurde nicht die Chance genutzt, nach Veröffentlichung darüber zu reden. „Folge 9: Das sagt Hillsong Germany selbst zu den Vorwürfen!“
Klar, die Gefahr besteht, dass etwas aus dem Kontext gerissen wird und anders zusammengeschnitten wird. Aber so hört man halt überhaupt nicht eure Sicht der Dinge. Es wird nicht (auch jetzt nicht) miteinander geredet, sondern nur übereinander. Gab es nach Veröffentlichung von eurer Seite Versuche, sich mit den Autor:innen des Podcasts zu treffen? Oder habt ihr es einfach laufen lassen und sendet jetzt euren Standpunkt im Monolog?
In welcher Hinsicht war die Stellungnahme von Freimut denn erhellend? Es wurde 12 Minuten lang um den heißen Brei geredet und auf konkrete Anschuldigungen wurde wenig bis garnicht eingegangen. Belege für die eigenen Aussagen gab es auch nicht. Sollte dir doch als ausgebildeter Journalist auch aufgefallen sein?!
Grundsätzlich hast du recht, dass der Podcast eine Agenda hatte, die auch durchgehend zwischen den Zeilen rauszuhören war. Jedoch gibt es mittlerweile hunderte von Menschen, die einen ähnlichen Sachverhalt schildern und sich jetzt auch kritisch über die Hillsong Gemeinde äußern. Ich war selbst für eine längere Zeit in einer Hillsong Gemeinde und viele Kritikpunkte decken sich mit meinen Erfahrungswerten.
Ich bin ganz stark der Meinung, dass die Aufbauorganisation und das gelebte System der Hillsong Gemeinde toxisch sind und keine Daseinsberechtigung mehr haben sollte. Ich würde viele andere Kirche (z.B. Kirche im Pott, ICF etc.) mit einschließen, da dort ähnliche Strukturen und auch Probleme vorherrschen. Diese Art von Strukturen sind selbst in modernen Unternehmen nicht mehr gängig und münden bei fast allen Kirchen in den gleichen Problemstellungen. Christen tendieren leider häufig dazu, Kritiker und Korrektive als etwas „böses“ darzustellen. Meiner Meinung nach braucht es viel mehr kritischen Druck von außen, da sich sonst wahrscheinlich nie etwas ändern wird. Gerne auch von unabhängigen Journalisten. Gerne auch noch objektiver und mit stärkeren Belgen. Kritische Akademiker sind in diesen Kirchen nähmlich schon lange nicht mehr zu finden.
Ich war sehr gespannt was du aus dieser Folge in die Reflexion aufnehmen wirst und bin ehrlich gesagt überrascht über den Satz „Das kann ich total nachvollziehen“, denn tatsächlich habe ich damals (auch und vor allem aus dem familiären Umfeld) eher Dinge gehört wie „also wenn DAS schon reicht um den Glauben zu verlieren, dann warst du wohl doch noch nicht so weit mit Gott“. Ich finde es außerdem gut, dass in dieser Reflexion nicht alle Worte und Formulierungen auf links gedreht und analysiert werden, so bleibt meiner Meinung nach mehr Raum für den Inhalt.
Am Beispiel von Michael und mir sieht man ganz gut, dass es durchaus eine gefestigte Persönlichkeit braucht, um sich gegen die Normen einer Gemeinschaft, die man als wichtig erachtet, durchzusetzen und anders zu handeln: Michael, 25 und nach dem Master-Studium, schafft das und lebt seine Beziehung, wie er es vor Gott für richtig hält. Ich mit Anfang 20 habe das nicht geschafft, denn für mich war der Druck von außen (durch mein Umfeld, in dem die Thematik von allen anders gelebt wurde – sind die dann bessere Christen als ich, weil ich das nicht schaffe?) und von innen (ich will doch auch eine gute Christin sein, und wenn Gott das möchte, dann beuge ich mich dem) einfach zu groß. Damit soll auch gesagt sein: Es braucht nicht immer und nicht für alle Gemeindemitglieder die Pastoren, die gewisse Regeln ständig von der Kanzel predigen, manchmal reicht auch das Umfeld, in dem alle offensichtlich „besser“ oder „heiliger“ leben, um sich der sozialen Norm vollständig zu beugen. Dabei denkt man dann auch noch, dass man ja vollkommen frei entscheiden würde, was es psychologisch schwieriger macht, den Anteil der Fremdbestimmung an dieser Entscheidung zu identifizieren.
Der Vollständigkeit halber muss man natürlich sagen, dass solche Dynamiken auch außerhalb von Kirche auftreten können, im beliebten Beispiel vom Sportverein oder in der Firma oder auch in der Familie. Aber der Faktor „Gott“ hat eben im Leben von Gläubigen einen unfassbar hohen (wenn nicht den höchsten) Stellenwert, kein Christ möchte Gott willentlich enttäuschen oder vom Weg mit ihm abkommen – das geht bis zur elementaren Angst, auf die „schiefe Bahn“ zu geraten und in die Hölle zu kommen und da frage ich mich schon, ob der Sportverein in der Lage ist, diese Dimensionen an Einfluss im Leben von Menschen zu erzielen. Und insbesondere Leiter, die ja laut dem Weltbild auch von Gott in die Position der Leiterschaft erhoben wurden, erlangen dann eben sehr viel Macht, ob sie das so wollen oder nicht – man geht ja davon aus, dass sie einen besonderen Draht zu Gott haben und berufen sind, sein Wort weiterzugeben, also glaubt man das, was sie über Gott sagen auch eher und auch dann, wenn es die eigenen Überzeugungen und Weltanschauungen erstmal angreift. Ich denke, über dieses Machtverhältnis sollten sich Leiter sehr bewusst werden und sich immer wieder reflektieren (vor allem auch über die Stimmen ihrer Gemeindemitglieder, die vielleicht nicht gerade in derselben Vorstandsebene sind, sondern einige Ebenen darunter).
Hi Sandra, vielen Dank für deinen Kommentar. Schon im Podcast sind mir deine sehr reflektierten und wertvollen Beiträge aufgefallen. Du schreibst, dass es durchaus eine gefestigte Persönlichkeit braucht, um sich durchzusetzen zu können. Interessanterweise habe ich in letzter Zeit einige Gespräche mit Menschen gehabt, die im christlichen Kontext widrige Erfahrungen gemacht haben, die mit Manipulation durch Leiter zu tun hatten. Viele von ihnen fragen sich im Nachgang: „Warum habe ich da überhaupt mitgemacht und mich nicht gewehrt?“ Sich selbst im Nachgang zu reflektieren und zu schauen warum man die Entscheidungen getroffen hat, die man getroffen hat empfinde ich als ungemein wertvoll und ein wichtiger Teil des Aufarbeitungsprozesses. Danke, dass du es hier ansprichst.
Danke, Sandra, für deine Wortmeldungen hier!
Ich hatte in Podcast verstanden, Michael sei 45 Jahre alt…kann mich aber auch verhört haben.
Zum Thema „gefestigte Persönlichkeit“: Lothar Krauss teilte ja in seinem Beitrag zum Podcast 3.2 die Ansicht von Írisz Sipos, „dysfunktionale Systeme bauen sich meistens auch von unten. Von Menschen,die nicht erwachsen werden wollen“ (!!!). Sie sagt ausdrücklich „wollen“. Das an sich ist schon heftig, diese Unterstellung.
Aber gerade in frommen Systemen, in denen Gehorsam, Gebote, „Treue“ etc so hohe Stellenwerte haben, wo vorgegeben ist, was richtig und falsch ist und was zu glauben ist. Und in so hierarchischen wie zB bei Hillsong, stellt sich mir vielmehr die Frage: KÖNNEN Menschen da überhaupt erwachsen werden? Mündig? In ihrer Persönlichkeit und in ihrem Glauben?
Im Podcast wird ja bspw die Hillsong-Theologie auch mit Babynahrung verglichen und eine Ehemalige berichtet, dass diejenigen, die sich im Glauben weiterentwickeln wollen, irgendwann Hillsong verlassen haben.
Das wäre auch ein Thema zum Reflektieren.
Einige Jahre lang war ich selbst Teil einer sogenannten „Systemkirche“. Dort habe ich folgende Beobachtungen gemacht: Die Kirche von der ich Teil war, war stark Output getrieben. Der Hauptfokus lag darauf, dass die Programme laufen und man Sonntags den Besuchern etwas bieten konnte. Die Antworten auf komplexe Lebensfragen waren oft erstaunlich simpel und leider auch wenig gehaltvoll. Ich konnte in dieser Kirche nie ganz ankommen bzw. mich darauf einlassen, da mir viele Dinge sehr komisch vorkamen. Damit Menschen im Glauben und in ihrer Persönlichkeit mündig und reif werden braucht es meiner Meinung nach die Auseinandersetzung mit ihnen im 1:1. Es bedeutet sie persönlich zu begleiten, in sie zu investieren und mit ihnen um Antworten auf komplexe Lebensfragen zu ringen anstatt sie mit simplen Floskeln zu beschwichtigen. Dafür gab es in dieser Systemkirche leider keinen Raum, da die Begleitung von Menschen zeit- und energieintensiv ist und keine direkt sichtbaren / messbaren Ergebnisse hervorbringt. Den Output der Mitarbeiter abzugreifen war wichtiger als sie auf dem Weg zu mündigen Persönlichkeiten zu begleiten. Darum würde ich dir zustimmen: In so einer Kirche erwachsen zu werden ist fast nicht möglich. Wer wirklich erwachsen werden WILL verlässt sie meist und sucht woanders.
Danke für die Antwort. Das kann ich nachvollziehen.
Das ist ein spannendes Thema im Hinblick auf die Vision von Brian Houston für seine Kirche, in der das Wachstum an oberster Stelle steht. In der Zahlen eine zentrale Rolle spielen.
Da wäre aus meiner Sicht zu fragen, ob das wirklich die Vision von Kirche sein soll. Zu welchem Preis diese Wachstumsfokussierung passiert, schilderst und und viele andere ja gut.
Ich fände es total schön, wenn sich viele Gemeinden ausgehend von dieser Hillsong-Story fragen, was ihr Kern ist. Dass sie möglichst viele Menschen hervorbringt, die sich „Christen“ nennen, oder dass sie ein Ort ist, an dem Menschen Orientierung für ihr Leben finden, Raum für ihre Fragen, Gemeinschaft, Wertschätzung, an den sie reifen können, gemeinsam mit anderen auf dem Weg sein, Gutes bewirken für die Welt…?
Mich hat die Anekdote von Max zu den Taufen traurig gemacht: dass zwei Taufen abgesagt werden sollten, weil das „zu wenig“ sind und nichts hermachen. Statt zu sagen: Wie großartig, diesen Montag wollen zwei Menschen ganz in Gottes Liebe eintauchen! – Schaut man auf die Zahlen und die Außenwirkung und verschiebt (!) diese Segenshandlung Gottes, weil sonst das eigene Image nicht mehr stimmt…
Hallo Jessica und Katharina, danke für eure Ergänzungen zu meinem Kommentar 🙂 dass die Anekdote mit der Taufe hier im Blog überhaupt nicht thematisiert wurde, hat mich auch gewundert, ich finde es gleichermaßen erschreckend, vorrangig wegen der Begründung „das sähe nicht gut aus“. Verstanden hätte ich die Begründung, dass der Aufwand für zwei erwachsene Täuflinge mit diesem großen Taufbecken irgendwie zu groß ist, aber es wurde explizit gesagt, dass der Eindruck von „nur“ zwei Täuflingen wohl zu wenig ist. So schade, da geht es ja eigentlich um den „zweiten Geburtstag“ von Christen nach dem evangelikalen Verständnis und die wichtigste Entscheidung.
Und da wären wir auch direkt bei deinem sehr guten Einwand bezüglich Qualität oder Quantität (im Bezug auf „neue Christen“) – das sollten sich Gemeinden fragen und dazu zählt auch, in unbequemen Lebensfragen und dort, wo die „einfachen“ Antworten nicht mehr greifen, da zu bleiben und das zusammen durchzustehen. Ich beschäftige mich seit Corona und Co. ziemlich viel mit Geschichten von Personen, die aus dem evangelikalen Glaubenssystem ausgestiegen sind und sehr häufig wird genau das erwähnt: wenn das Leben mit den Schattenseiten aufwartet, und aus der Gemeinde sinnbildlich nur „bete einfach weiter“ kommt, dann ist das einfach enttäuschend.
@Sandra
Ich kann deine Gedanken und Erfahrungen nachvollziehen. Meine Erlebnisse in verschiedenen evangelikalen Gemeinden unterschiedlicher charismatischer Ausprägung und die Glaubensbiographien vieler ehemaliger Evangelikaler decken sich mit deinen Beobachtungen.
Ich sehe drei theologische Punkte kritisch:
– Oft ist es ja nicht nur ein „bete einfach weiter“, das Menschen in schwierigen Lebenssituationen aus Hilflosigkeit heraus entgegegnet wird. Gerade im erwecklich-charismatischen Bereich gibt es ja noch die Reaktionen „du betest nicht genug“, „du hast wahrscheinlich noch eine Sünde auf dir, vielleicht auch eine Familiensünde, die nicht bereinigt ist“, „du hast noch nicht genug den heiligen Geist“, „du hast einen Dämon“.
– Das zweite, was ich besonders in der charismatischen Art von Frömmigkeit kritisch sehe, um die es hier auch bei Hillsong geht, ist das Wohlstandsevangelium. Da haben Schwierigkeiten im Leben eigentlich sowieso keinen Platz, denn man wird ja gesegnet von Gott.
– Das dritte fiel mir wieder ins Auge, als ich hier den Blogeintrag zu Timothy Kellers Tod gelesen habe mit der Überschrift „Tim Keller ist am Ziel“. Denn der Hauptfokus, das Ziel des evangelikalen Lebens, liegt eben nicht auf dem Leben und dass/wie man es lebt. Sondern darauf, dass man einmal stirbt und dann möglichst in den Himmel kommt. Ich finde, evangelikale Theologie beantwortet allzu oft nicht die Fragen, die sich Menschen heute stellen und auch die Menschen der Bibel stellten: Wie können unser LEBEN hier sinnvoll füllen und gut durch Krisen kommen? Sondern sie beantwortet die Ängste und Fragen der Menschen des Mittelalters, die mit „Himmel oder Hölle“ konfrontiert waren. Und sie entfernt sich damit meiner Meinung nach auch vom Kern der Verkündigung Jesu, dass Gottes Reich JETZT schon hier ist und dass die Essenz des Wortes Gottes und seines Willens für uns ist „Was ihr wollt, das andere euch tun, das tut ihnen auch“. Unsere Lebenszeit ist also dafür da, dass wir mit uns selbst und anderen gut umgehen, dass wir in Liebe Gemeinschaft leben. Und nicht, dass wir nach dem Tod in den Himmel kommen.
Nur eine Anmerkung: wenn du die Theologie und Praxis von Tim Keller Dir anschaust wirst du sehen, dass das gerade nicht seine Botschaft ist. Es ist komplexer, ein sowohl als auch …
@Lothar Krauss
Und weshalb ist dann sein Tod hier überschrieben mit „er ist am Ziel“, wenn das gerade NICHT seine Botschaft war? Wenn er es selbst gerade NICHT so ausgedrückt hätte?
Das verwirrt mich ehrlich gesagt…
Aber, wie bereits geschrieben, diese Aussage/Formulierung deckt sich mit meinen (langjährigen) Erfahrungen mit evangelikaler Theologie und auch mit Berichten von Menschen,die die evangelikale Welt verlassen haben.
Ziel: Jesus zu sehen! (vgl. Joh. 12,21). Im Sinn eines Doppelpunktes zu verstehen. Keller verstand das Reich Gottes so, dass am Ende dieser Zeit der Himmel auf die Erde kommt (Offb. 21,2), alles Unrecht zurrechtgerückt und alles Leid beendet wird. Eine neue Zeit bricht an. Diese Sicht hat Keller zu einem umfasseden Handeln, gerade in den großen Städten der Welt, inspiriert. So wie das bei den ersten Christen im Römischen Reich der Fall war. Also, kein Rückzug ins Private, sondern ein prophetischer Aufbruch in diese Welt, die Gott so liebt, die aus den Fugen geraten ist und nun durch die Kirche Zeichen gesetzt bekommt, dass es nicht für immer so bleiben wird. Also kein Widerspruch, sondern die Zwischenetappe für einen Christen, mit einer fantastischen Aussicht.
Mehr zur Handeln in dieser Welt aus der Hoffnung, die Christen bewegt, hat Rodney Stark, ein Soziologe, herausgearbeitet, falls es interessiert.
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Der amerikanische Religionssoziologe Rodney Stark hat in den 90er Jahren ein viel beachtetes Buch über die Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten geschrieben: The Rise of Christianity. Dort geht er darauf ein, wie sich die Hoffnung auf das Leben der ersten Christen ausgewirkt. Die Jesus-Nachfolger rechneten fest damit, dass das Reich Gottes kommt. Sie erwarteten, dass die Zeit kommt, wo Gott sichtbar wird, wo seine Liebe alles bestimmt, wo es kein Unrecht mehr gibt, keine Lüge, keine Bosheit, kein Leid. Diese Zukunft, die sie erwarteten, hat ihr Verhalten in der Gegenwart transformiert. Sie fingen jetzt schon an, so zu leben, wie es der neuen Zeit entspricht. Die Hoffnung der Christen, war ein entscheidender Faktor für die Ausbreitung des neuen Glaubens.
Im Römischen Reich gab es immer wieder verheerende Epidemien. Besonders schlimm wüteten sie Mitte des zweiten und Mitte des dritten Jahrhunderts. Man schätzt, dass diesen Seuchenausbrüchen jeweils etwa ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer fiel. Während und nach solchen Epidemien ist die Zahl der Christen stark angestiegen. Und dies hatte mit ihrer Hoffnung zu tun.
Die heidnische Bevölkerung ließ bei Seuchen ihre kranken Mitbewohner häufig im Stich. Aus Angst vor einer Ansteckung flohen sie um ihr Leben. Keiner pflegte die Erkrankten, keiner beerdigte die Toten. Auch die Priester und Politiker überließen sie ihrem Schicksal und flohen aus den Städten, die von der Seuche betroffen waren.
Die frühen Christen aber machten es häufig anders. Sie pflegten die Kranken; nicht nur in der eigenen Familie und Gemeinde, sondern auch bei den heidnischen Nachbarn. Es gibt Predigten von Cyprian, in denen der Kirchenvater die Christen ausdrücklich auffordert, die von einer Seuche befallenen Kranken zu pflegen und die Verstorbenen zu bestatten, auch auf die Gefahr hin, selber angesteckt zu werden. Und viele taten es.
@Lothar Krauss
Eine interessante Theologie von Keller. Ich glaube ja, dass, wie Jesus sagte, mit ihm bereits das Reich Gottes mitten unter uns begonnen hat und nicht erst irgendwann auf die Erde kommt. Für mich ist „Jesus sehen“ iSv „sterben und in den Himmel kommen“ nicht das Ziel meines Lebens, sondern „einmal ganz bei Jesus sein können“ eine trostvolle Hoffnung. Und ich glaube auch nicht, dass ich einen „Lauf vollenden“ muss, um einmal Jesus zu sehen.
Großartig, wie sich die frühen Christen verhalten haben! Das ist ein tolles Vorbild. Und so hat Jesus es vorgemacht, er hatte keine Berührungsängste mit denen, die ausgestoßen oder nicht anerkannt waren.
Wie schade, dass im Laufe der Christentumsgeschichte, vllt beeinflusst vom weltlichen American-dream -Denken, sich in der evangelikalen Theologie, wie sie zB bei Hillsong gelehrt wird, das Wohlstandsevangelium entwickelt hat. Und man sich innerhalb der Gemeinden von denjenigen distanziert oder die ausblendet und mit frommen Floskeln abspeist, die eben nicht in diesem Verständnis „gesegnet“ sind.
Mir ging es nicht um einen „Rückzug ins Private“. Eher um einen „Rückzug ins Metaphysische/Transzendente“. Evangelikale ziehen sich ja eher nicht ins Private zurück, sondern sind sehr missionarisch und scheuen sich auch nicht davor, ihren Glauben ganz öffentlich zu zeigen. Aber meiner Erfahrung nach geht es bspw bei ihrem Missionieren nicht in allererster Linie darum, Menschen in eine liebende Gemeinschaft zu holen, mit ihnen Leben zu teilen und gemeinsam auf dem Weg zu sein, sondern sie zu Glaubenden zu machen, damit sie dereinst mal nicht in die Hölle kommen oder (bspw in Leo Biggers Theologie) bei der sogenannten „Entrückung“ auf der Erde zurückbleiben müssen. Mein Eindruck ist jedenfalls,dass man in evangelikalen Gemeinden nicht vorrangig durch die Liebe zueinander verbunden ist (s. Joh 13.34-35), sondern durch dasselbe Bekenntnis/ dieselbe Lehre (und -insbesondere bei Hillsong, ICF & co.: denselben Style und dieselbe fromme Art zu Sprechen). Zumindest berichten sehr viele Ehemalige, dass sie mit ihrem Austritt aus der Gemeinde (wegen theologischer Schwierigkeiten) auch ihre ganzen sozialen Kontakte verloren haben.
Oder, wie Sandra, dass das Hauptkriterium für eine Beziehung nicht die Liebe ist, sondern dass der Partner, die Partnerin gläubig ist.
Jesus hat beides gesagt: RG ist mitten unter uns. Und uns beten geheißen: dein Reich komme … Ich für mich denke, dass wenn man es in die eine oder andere Richtung auflösen will, man in eine Schieflage kommt. Und ja: Jesus sehen und mit ihm hier verbunden sein, für mich auch zwei Spannungspunkte, die ich nicht auflösen mag. Und Himmel, denke da müsste man inhaltlich klären, was das meint. Nun denn, ich bin kurz vor der Auszeit auf dem Blog. Noch die Videos vom Interview und dann geht’s ab in die Pause. 😎
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Das Thema Kontrolle finde ich hier gut herausgearbeitet.
Dazu eine Anmerkung zu diesem Kurs, den Max besucht hat (btw: er sagte, der Kurs kostete 60€, was darauf hindeutet, dass er in Deutschland stattgefunden hat): ich fand es erschreckend, dass dort die Teilnehmer quasi ihre sexuellen Sünden der Vergangenheit in einer größeren Runde aufzählen mussten. Das ist übergriffig und zeugt von einem gewissen Gruppendruck, der auch sonst in den Berichten im Podcast für mich spürbar wurde.
Eine Anmerkung zur Sexualethik:
Was in konservativen Argumentationen immer wieder unter den Tisch fallen gelassen wird, ist die sehr veränderte gesellschaftliche Situation im Bezug auf Ehe und Familie, Kinder, finanzielle Absicherung. Liebesheirat, die Suche nach „dem/der Richtigen“, erst Ausbildung, dann Familiengründung, gleichberechtigte Entscheidung bei der Partnerwahl, Heiraten mit Anfang 30… Das war alles in der Antike nicht so! Es wurde verheiratet, und zwar für uns heute in jugendlichem Alter, viele Frauen waren schon mit Mitte 30 verstorben nach einer ihrer vielen Geburten, Ehe war keine gleichberechtigte Angelegenheit (man braucht sich nur einmal sie biblische Terminologie rund um Ehe ansehen!), Kinder waren essenziell für die soziale Absicherung, es gab noch keine Pille und andere Verhütungsmittel, unverheiratete Frauen, die schwanger wurden, waren sozial geächtet usw usf.
Bitte, liebe Konservative: Wenn ihr schon argumentiert, dass ihr angeblich das lebt, was damals in der Christenheit gelebt wurde, dann bezieht auch alle diese Faktoren in eure Argumentation mit ein! Und vielleicht solltet ihr dann auch konsequenter das „Biblische“ leben inkl. der Verheiratung eurer Kinder, v.a. der Mädchen, Brautpreise, Mitgift, Schwagerehe, Liebe als sekundär für eine Ehe erachten, Ehe ganz paulinisch als etwas für Menschen, die ihre Triebe nicht im Zaum halten können etc.
Für mich ist das, was ihr lebt, Rosinenpickerei und Heuchelei. Und allzu oft ein großer Schaden für die Betroffenen – Sexualtherapeuten wie Veronika Schmidt können davon ein Lied singen, wie sehr das viele konservativ aufgewachsene Menschen in einer Herausbildung einer gesunden Sexualität und eines gesunden Köperverhältnisses hemmt.
Und, was mich auch sehr stört ist dieses schwarz-weiß Denken, was man hier im Beitrag gut sieht an dem Satz „Man kann durchaus der Ansicht sein, dass ein One-Night-Stand, der Konsum von Pornografie, wechselnde Partner usw. einem gut tun.“ Es gibt im frommen Denken nur einerseits das „gottgefällige“ Warten bis zur Ehe, die „Reinheit“ und auf der anderen Seite ein ausschweifendes Sexleben. Dass Menschen verantwortungsvoll ihre Sexualität und Partnerschaft leben aus sich heraus (und nicht,weil sie die göttlichen Regeln befolgen müssen) kann im Konservativen offenbar nicht gedacht werden. Und dann gibt es immer dieses Feinbild, das allzu oft ein Strohmann ist, gegen das man sich abgrenzt. Das finde ich so schade.
Klingt mir nach einem Worthaus-Vortrag. In der Bibel finde ich ganz andere Aussagen. Zum Beispiel: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben…“ (Eph 5,25) Revolutionär für die damalige Zeit. Und auch heute noch!
Den Verwitweten sagt Paulus übrigens, sie sollen ruhig wieder heiraten, aber es soll im Herrn geschehen (also ein gläubiger Partner sein).
Dann lies bitte die Bibel ganz und befasse dich gründlich mit den antiken und biblischen Vorstellungen von Ehe, Sex, Familie, Geschlechterrollen usw.
Man kann sich natürlich, wie du es machst, das rauspicken und zurechtlegen, wie es einem gerade passt, aber das ist halt nur die halbe Wahrheit. Mir ging es hier darum, auf Einseitigkeit und Heuchelei hinzuweisen und darauf, dass die heutigen Konservativen eben in Sachen Ehe gar nicht so voll biblisch sind, wie sie immer tun, sondern zusammen mit dem modernen Zeitgeist viele Dinge abgelegt haben oder nicht mehr gutheißen,die zu biblischen Zeiten und in den Ehen der Menschen der Bibel Gang und Gäbe waren.
Liebe Katharina, Du liest die Bibel, wie sie die „Konservativen“, die ich kenne, nicht lesen würden. Du bringst Beispiele aus dem Alten Testament und sagst konsequent wäre es, das heute noch zu leben. Aber auch „Konservative“ schauen genau hin, wo Texte zeitlich und kulturell bedingt sind und was die grundlegenden Prinzipien dahinter sind. Und warum hast Du denn Epheser 5 weggelassen? Weil es zu Deinem Argument gegen Paulus nicht passt. Ich habe echt immer wieder den Eindruck, dass Leute, die so gegen das Frauen- und Ehebild im NT schießen, das große Bild gar nicht kennen. Tut mir leid, das sagen zu müssen: Der Vorwurf mit dem Stellen rauspicken fällt auf Dich selbst zurück, weil Du den Gesamtkontext nicht genug beachtest. Ich wünsche Dir, dass Du wirklich erkennen kannst, wie gut die Dinge sind, die dort geschrieben sind!
Noch ne Randnotiz: Ich kenne aus der Eheseelsorge Männer, die ihre Ehefrauen mit früheren Sexualpartnerinnen vergleichen und enttäuscht sind wie es jetzt ist… Das ist die Schattenseite des Ausprobierens, egal wie verantwortlich es gelebt wird. Und ich kenne wirklich etliche, die es nie bereut haben, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten und es mit der Einen / dem Einen zu teilen. Warum das so ein Affront für die Welt ist, ist für mich schwer zu erklären.
Lieber Matthias,
du hast mir leider nicht zugehört. Ich schrieb, dass es mir darum ging, Einseitigkeiten aufzuzeigen. Und daraus geht logischerweise hervor, dass ich die Punkte aufzeige, die Konservative unter den Tisch fallen lassen. Und nicht die, die sie eh beachten. Das gilt für die biblischen Texte und die Betrachtung der Antike wie auch für die heutige Zeit (Sexualmoral, Gestaltung der Partnerschaft). Deine Argumente sind deshalb an dieser Stelle überflüssig und nicht sinnvoll.
Dass die antike gängige Verheiratungspraxis, die Schwagerehe und Paulus‘ Ansicht mit den Trieben u.a.m. Altes Testament sein sollen, ist mir neu.
Im Übrigen hielten sowohl die Christen des NT und halten Konservative heute auch die 10 Gebote für uns noch für komplett gültig – und darin zählt die Ehefrau zum Besitz des Mannes…
Das gibt’s doch auch. Ich nenne es die „Joshua-Harris-Beziehungsethik“. Zigtausende von Jugendlichen sind aufgewachsen unter dem Eindruck, eine gottgefällige Eheanbahnung („Courtship“) sähe so aus, dass die Eltern beten und für einen den Ehepartner aussuchen!
Bezeichnend, dass Joshua Harris sich knappe 20 Jahre später selbst von seinen Ansichten, die er mit 21 hatte und in den Bestsellern „I Kissed Dating Goodbye“ sowie „Boy Meets Girl“ niederschrieb, distanziert hat. Da war der Schaden aber häufig schon angerichtet …
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Ich habe Fragen zu den Aussagen „die Frage nach dem Kinderschutz spielt – berechtigt! – eine sehr große Rolle in unserer Kultur. Da muss man als Kirche genau sein, wenn man Kinder in die Obhut von Erwachsenen gibt. Wenn Familie ihre Kinder ehrenamtlichen Mitarbeitern anvertrauen, dann haben sie zu Recht eine hohe Erwartung an uns in den Kirchen!“
Weshalb spielen dabei die Frage, ob man homosexuell ist oder im letzten halben Jahr einen Porno gesehen hat (und dabei wird ja nicht nach der Art des Pornos differenziert) eine Rolle?
Sollte man nicht lieber vorher abklären, ob die Personen pädophil sind oder körperliche Gewalt, Strafen oder Liebesentzug für legitime Erziehungsmethoden halten? Das wirkt sich doch massiv auf die Kinder aus, und nicht die sexuelle Orientierung oder ob man mal einen Pornofilm gesehen hat!
Ich kenne ein paar schwule Männer in pflegerischen und erzieherischen Berufen und ich finde, gerade sie sind dafür besonders geeignet, weil sie viel einfühlsamer und kreativer sind und irgendwie auch „mütterlicher“ als ihre heterosexuellen Artgenossen.
Das war nicht auf eine sexuelle Orientierung, Pornokonsum oder so bezogen von mir. Ich wollte kurz die grundsätzliche Spannung im Thema andeuten: Privatsphäre des Mitarbeitenden – Schutz des Kindes. Beispiel: In einer Gemeinde, die ich geleitet habe, zeigte ein Mann großes Interesse an der Mitarbeit im Kinderbereich. Er habe eine große Liebe für die Arbeit mit Kindern. Was er uns verschwieg war, dass er juristisch schon in den Fokus wegen pädophiler Aktionen geraten war. Fast hätten wir ihn zu den Kindern gelassen, da Männer immer etwas zu wenig in dem Bereich sind.
Was Hillsong in seinem Dokument abfragt, weiß ich jetzt nicht. Sandra kann sich auch nicht mit letzter Sicherheit sagen. Wir müssten so ein Dokument kennen, um es in den Kontext stellen zu können.
Wir verzichten in der Viva auf solche Fragebögen, sondern Fachpersonen aus unserer Mitte suchen das verantwortliche Gespräch. Finden wir besser, aber wir könnten dabei auch Fehler machen. Wir finden das nicht ganz einfach …
Danke für den Kontext zu diesen Aussagen.
Ja, deshalb hatte ich ja auf Pädophilie verwiesen.
Ich habe nur nun schon öfter gehört, dass Gemeinden Homosexuelle, sobald sie von deren Orientierung erfahren, von der Kinder-& Jugendarbeit ausschließen, mit der Begründung dass ihnen (den Gemeinden) das Kindeswohl am Herzen läge. Das kann ich absolut nicht nachvollziehen. Zumal ja eine heterosexuelle Orientierung von Personen mitnichten ein Garant dafür ist, dass Kinder bei ihnen gut aufgehoben und liebevoll erzogen werden…
Oha, nee, das habe ich noch nicht mitbekommen, dass Gemeinden das so handhaben. Vermutlich gibt es wohl nichts, was es nicht gibt!
Sinn würde es keinen machen, zumindest sehe ich das so. Pädophilie ist der Punkt, der die rote Linie zieht. Aber auch wenn jemand seine Emotionen gegenüber nicht im Griff hat, zu Gewalttätigkeit neigt, vermutlich auch zu verbaler Gewalt … Da würde ich „anschlagen“.
Die Kinder und Jugendlichen zu schützen ist die Priorität. Sicher könnte es dabei dazu kommen, dass sich Erwachsene nicht ganz fair behandelt erleben, zumindest subjektiv. Aber das ist ggf. dann zweitrangig, sicher immer auch im Einzelfall zu klären. Und es wird immer auch Leute geben die mir als Pastor sagen, dass ich hätte noch etwas Zeit geben müssen. Echt ein schwieriges Thema in meiner Verantwortung.
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