Die Gottesformel. So heißt die Episode #2 vom Podcast »Toxic Church« die ich mit zwei Beiträgen reflektiere. Der Podcast setzt nach eigenem Anspruch den Fokus auf die Arbeit von Hillsong Germany. Darauf beziehen sich die Reflexionen, an der wieder viele weitere Leute eines weiten Spektrums (Kirchenzugehörigkeit, Alter, Geschlecht …) mitgewirkt haben.
DIE EPISODE #2: In dieser Episode will die Journalistin Kyra Funk herausfinden, warum Hillsong so erfolgreich ist. Was ist nun die Erfolgsformel von Hillsong, die Kyra Funk »Gottesformel«, nennt. Dieser Begriff hat sich mir bis zum Schluss der Episode nicht wirklich erschlossen! Und auch andere Fragen und Beobachtungen haben mich beschäftigt. Was ich auch in #2 noch vermisse: der klare Fokus auf Hillsong Germany. Dem Selbstanspruch des Podcasts. Hier meine Reflexion:
Was nehme ich wahr?
- Zuerst: von Hillsong Germany ist (noch) nicht viel die Rede. Das hat mich etwas überrascht und enttäuscht. Ich gehe davon aus, dass sich das noch ändern wird. Aber warten wir es ab.
- Kyra Funk hat Gesprächspartner aus dem Spektrum „Experten und Betroffene“, die mit O-Tönen zum Podcast beitragen.
- Auch berichtet sie von ihrer „Selbsterfahrung“ mit Hillsong Germany. Die besteht darin, dass sie Videos von Gottesdiensten anschaut und sich das Welcome-Packet kommen lässt.
- Dann kommt das Thema Freikirchen zur Sprache, allerdings sehr flach oberflächlich skizziert. Die Vielfalt freikirchlichen Lebens, Struktur und Praxis wird nicht beleuchtet.
- Ihre eigene Erfahrung als Kind und Jugendliche mit der Mennonitengemeinde in Bielefeld spricht sie auch noch einmal an. Sie ordnet es für sich als eine negative Erfahrung ein, spricht davon, dass „sie sich nicht wohl fühlte, es ihr nicht gut tat“
Die Themen dieser Episode befassen sich unter anderem mit
- Freikirchen
- Freikirchen als Sekten?
- Willkommenskultur von Hillsong,
- die Rolle der Musik von Hillsong (Emotionen, Finanzen)
- das starke ehrenamtliche Engagement der Mitglieder und
- der professionelle Internetauftritt der Church.
- Aspekten der Strategie von Hillsong
Wie schon in der ersten Episode gehen die Podcaster mit einer kritischen Grundhaltung an Hillsong Germany, heran, während sie das bei anderen kirchlichen Ausdrucksformen (z.B. Landeskirchen) eher nicht so tun.
Was kann ich nachvollziehen?
Willkommenskultur in Konstanz
Wer in einem Gottesdienst von Hillsong auftaucht, wird wahrgenommen. Die Kirche hat Personen und Strukturen, um Erstbesuchern und neuen Leuten den Einstieg leicht zu machen.
Sandra, die mit 20 Jahren nach Konstanz kommt und von ihren ersten Erfahrungen berichtet, schildert das im Podcast in O-Tönen eindrücklich:
Sie sei ein introvertierter Mensch, hätte sich bislang in keiner Gemeinde „nie wirklich krass willkommen gefühlt irgendwo“ Das ist für sie in Konstanz bei Hillsong anders: „Das, was ich mir in allen anderen Gemeinden gewünscht habe, habe ich da sofort gehabt! … „Man wird gesehen, wird mitgenommen, die Leute interessieren sich dafür wer man ist.“ Das gab den Ausschlag für sie, bei Hillsong zu bleiben? Ihr habe es direkt gut gefallen!
Auch Max, ein weiterer Gesprächspartner im Podcast, bestätigt das. Ende 2013 ist er nach Konstanz gezogen und berichtet ebenfalls von dieser Willkommenskultur. Darüber hinaus auch von vielen Angeboten, die die Kirche zu dem Zeitpunkt bereits am Start hat und durch die es ihm leicht gefallen ist, schnell ins Gemeindeleben einzutauchen.
Ich kann das von meinen drei Besuchen in Konstanz bestätigen. An Pfingsten 2010, Ostern 2013 und im Februar 2016 war ich vor Ort. Es waren nur kurze Begegnungen, aus denen ich keine Einschätzung über die tatsächliche Qualität vornehmen kann. Aber ich hab es so positiv erlebt wie Sandra und Max.
Dennoch, auch wenn der Podcast die Willkommenskultur kritisch beleuchtet, Sandra und Max stellen der Hillsong Church zunächst ein gutes Zeugnis dazu aus.
Musik
Kyra Funk betont die globale Bedeutung der Hillsong Musik. Auch darüber muss nicht diskutiert werden. Die Songs werden rund um den Globus gesungen, auch in etlichen Landeskirchen in Deutschland.
Hillsong verdient viel Geld mit der Musik. Das ist korrekt. Was mit dem Geld geschieht, wer davon profitiert, ist die wichtige Frage. Darauf geht Episode #2 nicht ein. Sicher kommt das in einer späteren Folge.
Musik soll Emotionen vermitteln. Zutreffend. Das ist auch in Konzerten, Sportstadien und bei anderen Events so. Und auch in der Kirche. Musik gehört zum Glaubensausdruck vieler Religionen. Ob Musik dabei zu einem Mittel der Manipulation wird, ist eine Frage der zugrundeliegenden Motive. Sandra hat es bei Hillsong als einen authentischen Weg für sich selbst erlebt. Hier ihr O-Ton:
Lobpreis, das sind Gebete zu Gott, die vor allem in Liedern, Worten, Stille, instrumental … ausgedrückt werden. Der Worship bei Hillsong Konstanz habe ihr geholfen „realste Gotteserfahrung“ zu sammeln und sie hat dadurch „immer viel mitgenommen“. Auf Nachfrage sagte sie der Journalistin, dass man im Lobpreis „ein Lied meditiert, es nicht nur singt! Man würde den Text in sich aufnehmen, man meine ihn ernst, bringt viel Emotionen vor Gott …“.
Schlangen vor dem Eingang – zu wenig Stühle?
Dieser Punkt ist denkbar, in New York auch bestätigt. Schlangen vor dem Eingang in Konstanz konnte ich bei meinen Besuchen nicht bemerken. In New York City mag das anders sein mit den Schlangen. Dort soll kein entsprechendes Foyer zur Verfügung stehen, dass für die Anzahl der Leute geeignet wäre, die zum Gottesdienst wollen. Aber wir reflektieren hier ja Hillsong Germany.
2013 kann das in Konstanz auch anders gewesen sein. Vielleicht gab es Schlangen bis auf die Straße? Vielleicht war das auch so mit den Stühlen, wie es der anonyme Tristan über Hillsong Konstanz erzählt. Ich kann das nicht beurteilen.
Was macht mich nachdenklich am Podcast?
Das Bild von Freikirchen
Eigentlich geht es um Hillsong Deutschland, aber der Podcast wendet sich jetzt grundsätzlich dem Thema Freikirchen zu. Dabei ist das Spektrum der Freikirchen keinesfalls so einheitlich, wie es der Podcast einem glauben machen möchte. Neben den klassischen Freikirchen gibt es viele neuere Freikirchen, die wiederum ein Spektrum von sehr konservativ bis post-evangelikal abbilden. Und das führt zu einer großen Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Strukturen, Leitungsformen, Rolle von leitenden Persönlichkeiten, Entscheidungsprozesse, Beteiligung der Mitglieder, Ausrichtung im Stil ihrer Angebote, inhaltliche Positionen … usw. Das Bild im Podcast greift diese Wirklichkeit nicht auf und greift damit zu kurz.
Als Experten kommen der Kirchenrat Dr. Matthias Pöhlmann von der Ev.-luth. Kirche in Bayern und Dr. Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig zu Wort. Sie erklären, wie Freikirchen zu sehen sind und ob wir es bei ihnen mit Sekten zu tun haben. Man kann sicher die Frage stellen, ob Vertreter der Landeskirchen passende Experten in dieser Frage sind. Denn Landeskirchen sind „Marktbegleiter“ von Freikirchen, hier und da aber als Konkurrenz vor Ort wahrgenommen!
Pöhlmann nennt verkürzt richtige Kennzeichen von Freikirchen:
- Keine Staatsnähe
- Freiwilligkeitskirche – es braucht eine eigene Entscheidung, um Mitglied zu sein
- Freiwillige Finanzierung durch die Mitglieder
Und da wird es schon mühsam. Pöhlmann erwähnt die Mennoniten, als eine der klassischen Freikirchen. Kyra Funk ergänzt sofort: „sehr bibeltreu“. Hat Herr Pöhlmann aber so gar nicht gesagt! Bemerkenswert: die Mennoniten sind die Freikirche, zu der Frau Funk von ihren Großeltern mitgenommen wurde und in der „sie sich nie wohl fühlte“ und von der sie sagte, dass ihr diese Kirche „nicht gut getan“ hat.
Pöhlmann kommt auf das Thema „Gemeindezucht“ zu sprechen: Er sagt: „bei groben Verstößen KANN es dazu führen, dass man da eben auch ausgeschlossen wird.“
Die Journalistin greift das mit der Feststellung auf, dass Freikirchen an ihre Mitglieder „ziemlich große Erwartungen stellen“ , dass sie „ein vermeintlich gottesfürchtiges Leben zu führen“ hätten. Das hat Pöhlmann aber auch nicht gesagt!
Anfragen:
- Große Erwartungen
- Gemeindezucht
- Biografischer Einfluss
- Mir bleibt unklar, was der Unterschied zwischen einer „angemessenen Erwartung“ an ein Mitglied und eine „ziemlich große Erwartung“ ist. Das wäre gut zu wissen, wenn man später, in anderen Episoden, entscheiden soll, wie das ehrenamtliche Engagement bei Hillsong einzuordnen ist.
- Was meint die Journalistin, die mit 15 sich von der Glaubenswelt verabschiedet hat, mit einem „gottesfürchtigen Leben“, dass die Mitglieder eine Freikirche leben müssten? Davon sprachen die Experten bislang nicht.
- Und wieso verwendet sie den Begriff „vermeintlich“, also „vermeintlich gottesfürchtig“? Will sie damit eine Heuchelei ansprechen, die sie in ihrer Biografie erlebt hat und noch nachklingt, wenn sie über Freikirchen spricht?
- Oder will sie damit sagen, dass Freikirchen von Heuchlern getragen werden, die „vermeintlich gottesfürchtig“ leben?
Funk spitzt das zu und schließt mit den Worten: „Und wer das nicht tut, wird im Zweifel rausgekickt.“
Hier stoßen wir auf das Problem, dass die Freikirchen so oberflächlich eingeführt wurden. Denn Freikirchen handhaben das nämlich alles sehr unterschiedlich. Ich habe in den letzten 44 Jahren in Freikirchen das Thema eher wenig bis gar nicht aktiv erlebt.
Die Zuspitzung, von der Frau Funk spricht wirft bei mir die Frage auf, ob das etwas mit ihrer eigenen Geschichte zu tun hat? Denn es gibt Kirchen, oft aus der ersten Generation der Spätaussiedler, die nach Deutschland kamen, die in dem Thema eine harsche Handhabe praktizierten. Das habe ich aus einigen persönlichen Berichten aus erster Hand erfahren, die deshalb dennoch nicht repräsentativ sind.
Auch das Thema Finanzen kommt zur Sprache, weil Freikirchen eine andere Praxis haben als die Landeskirchen
Freikirchen finanzieren sich durch freiwillige Spenden und Opfer. Das ist nicht verwerflich. Viele wertvolle Organisationen tun das. Landeskirchen finanzieren sich durch die Kirchensteuer. Das ist zunehmend umstritten und es wird immer wieder gefordert, das System auf den Prüfstand zu stellen.
Das Problem sind nicht die Spenden, sondern die Verwendung der Geldmittel, was die Podcaster auch betonen. Ob das bei Hillsong Germany zu hinterfragen ist? Später wird es im Podcast – vermutlich – darum gehen. (Wie gesagt, ich höre Episode nach Episode) Dann nämlich, wenn es um die Rolex Uhren für Pastoren gehen wird, von denen im Teaser schon die Rede war.
Überhaupt: Hillsong Germany?
Das war im Podcast bislang noch recht wenig zu Hillsong Germany! Gut, Hillsong organisiert sich als Freikirche, ist von staatlichen Zuwendungen unabhängig und finanziert sich selbst durch Spenden. Frau Funk meint, dass Hillsong zur ganz konservativen Ecke bei den Freikirchen zählt, nur in einem sehr modernen Gewand. Kritierien dafür sind bislang noch nicht definiert. Kann aber noch kommen.
Gemeindezucht bei Hillsong? Soweit mir das bekannt ist, hat Hillsong keine formale Mitgliedschaft, wie das in klassischen Freikirchen der Fall ist. Da liegt dann die Frage nach einem Gemeindeausschluss anders, als das in den klassischen Freikirchen der Fall wäre. Beispiele einer „Gemeindezucht“ bei Hillsong Germany in Episode #2? Fehlanzeige.
Auch Sandra, die mit 20 Jahren nach Konstanz kommt und uns Hörern ihre Erfahrung mit Hillsong schildert, bestätigt keine „Gemeindezucht“ bei Hillsong im Blick auf ihre Person in der Episode #2! Ihre Wege trennen sich nach 2 Jahren, als sie für sich feststellte, dass sie in einem inneren Konflikt im Blick auf ihre Prioritäten und ihren Lebensstil kommt. Von Max ist in Episode #2 dazu ebenfalls nichts zu hören.
Dann lenkt die Journalistin vom Thema Freikirche zum Thema Sekte:
Freikirchen – Hillsong – Sekten
Hillsong eine Sekte? Beide Professoren, die im Podcast zu Wort kommen, raten davon ab, diesen Begriff zu verwenden.
Ungute Entwicklungen, die angesprochen werden müssen und die wir im Auge behalten müssen:
- Liegt ein massiver Absolutheitsanspruch vor,
- Besteht eine Abhängigkeit von Führungspersonen,
- Ist Kritik, kritisches Nachfragen noch erlaubt,
- Werden Kontakte nach außen ungut zurückgefahren,
- Wird die Außenwelt als bedrohlich wahrgenommen …
Wo sind diese Tendenzen in unserem Umfeld zu entdecken? Prof. Pickel stellt fest, dass Hillsong etliche dieser Tendenzen und Punkte erfüllt. Das ist ein „harter Vorwurf“, der eine verantwortliche und fundierte Begründung braucht! Wenn er als Experte Hillsong unter diesen Verdacht stellt u.a. mit der Begründung, weil sie keine Volkskirche sind, dann macht mich das schon sprachlos. Die Ausführungen vom Professor hätte ich mir umfassender und auch qualifizierter gewünscht. Gerade weil die Frage für alle Beteiligten so brisant ist. Und gerade in einem Podcast, der so öffentlich ist!
Das sollte uns aber nicht davon abhalten, genau hinzuschauen und hinzuhören. Für alles rund um Hillsong, aber immer auch für unsere eigenen Kirchen und Gemeinden.
TEIL 2.2, die Fortsetzung der Reflexion zur Episode #2 ist hier zu lesen.
Was mir hier noch wichtig ist zu sagen: am Anfang und am Ende von Folge 2.1 wird kritisiert, dass sich der Podcast in der zweiten Folge zu wenig mit Hillsong Germany befasst, sondern eher mit Hillsong New York (und mit Freikirchen im Allgemeinen). Ich finde, dass man Hillsong-Kirchen nicht als unabhängige Einrichtungen bezeichnen kann, die einfach alle den gleichen Namen tragen. Im Gegenteil – viele Menschen, die bei Hillsong in Leitungspositionen sind, waren zuvor auf dem Hillsong College und es wird auch explizit gesagt „we want you to catch the spirit from here“ und mit „here“ ist das Hillsong College Sydney und die „Mutterkirche“ dort gemeint. Es ist also explizit gewünscht, dass eine bestimmte Art der Gemeindeleitung, Gemeindestruktur und der Gottesdienstform aus Australien vorgegeben werden. Deshalb ist der Ablauf eines klassischen Service bei Hillsong auch überall drehbuchmäßig ähnlich. In 2016 war es so, dass sogar das Bühnenbild aus Australien vorgegeben und dann in alle Standorte weltweit übertragen wurde (Quelle: eine Person, die damals im Creative Team in Konstanz mitgewirkt und mir das erzählt hat). Auf den Hillsong-DACH Homepages stehen als Pastoren als erstes Phil und Lucinda Dooley, die Lead Pastoren aus Australien. Und wenn eine einzelne Organisation so eng mit einem globalen Dachverband verwoben ist, muss man auch angucken, was der Dachverband so macht, und da kam nun mal einiges Unschönes ans Tageslicht… Letzten Endes heißt der Podcast „die Hillsong Story“ – und nicht „die Hillsong Germany Story“.
Das ist ein guter Punkt Sandra. Die Idee, Hillsong Germany in den Fokus zu stellen war ja nicht meine Idee, sondern ist der Selbstanspruch der Podcaster. Das ist der Grund, warum ich das beständig in den Fokus stelle. Morgen wirst Du einen Abschnitt zu dieser Problemstellung im Post finden. Danke für Deine hilfreichen Anmerkungen in der Mail.
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