
Der Umgang mit ihr ist immer herausfordernd. Immer. Dem guten, verantwortungsvollen Gebrauch von Macht steht eine lange Geschichte ihres Missbrauchs gegenüber. Und die aktuellen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft – und leider auch in der Kirche – bestätigen das nur allzu deutlich.
Sollten Christen nicht besser mit Macht umgehen können? Gerade dann tut es besonders weh, wenn sich unter einem frommen, christlichen Mantel am Ende doch Machtmissbrauch verbirgt. Solche Erfahrungen reißen tiefe Wunden – und zerstören oft das letzte Vertrauen, das noch vorhanden war.
Immer mehr Christen wenden sich von Kirchen und Freikirchen ab. Nicht selten spielt der Missbrauch von Macht dabei eine zentrale Rolle. Verschiedene christliche Zeitschriften haben mich einen Beitrag zur Frage der Macht gebeten. Hier kommt mein Artikel, der aktuell im Charisma Magazin erschienen ist.
Hier kommt der Artikel, mit freundlicher Genehmigung vom Charisma-Magazin.
Macht mit Maß
„Und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.“ – Jesus
Macht. Dieses Wort ruft bei vielen Skepsis hervor – nicht zuletzt wegen der Skandale, die die christliche Gemeinschaft in den letzten Jahren erschüttert haben. Gemeinden, die einst Vorbilder waren, stehen durch das Fehlverhalten ihrer Leiter im Fokus. Auch die charismatische Szene wurde tief getroffen.
Viele fragen sich: Wo war das Wirken des Heiligen Geistes? Wie konnten solche Missstände über Jahre hinweg unentdeckt bleiben? War das alles nur Fassade? Diese Zweifel haben tiefe Spuren hinterlassen. Einige wenden sich enttäuscht ab, andere bleiben ratlos und fragen sich: Wem kann man überhaupt noch vertrauen?
Doch ist Macht zwangsläufig negativ? Kann sie nicht auch ein Katalysator für Gutes sein?
Macht als Werkzeug des Guten
Macht kann tatsächlich zum Segen werden – wenn sie verantwortungsvoll genutzt wird. Ein starkes Beispiel dafür sind Organisationen wie das christliche Kinderhilfswerk „Die Arche“ oder „Compassion“, die die ihren Einfluss so gut nutzen und mit ihrer Arbeit das Leben vieler Menschen nachhaltig verändern.
Auch unter einflussreichen Persönlichkeiten der christlichen Gemeinschaft gibt es Vorbilder. Rick Warren, Autor von The Purpose Driven Life, ist ein herausragendes Beispiel. Den finanziellen Erfolg seines Buches nutzt er, um den globalen P.E.A.C.E.-Plan voranzutreiben:
- P (Planting Churches): Gründung neuer Gemeinden
- E (Equipping Leaders): Befähigung von Leitern
- A (Assisting the Poor): Hilfe für die Armen
- C (Caring for the Sick): Fürsorge für Kranke
- E (Educating the Next Generation): Ausbildung der nächsten Generation
Warren steht nicht allein. Namen wie George Verwer (Gründer von OM), Loren Cunningham (Gründer von Jugend mit einer Mission) oder Tim Keller, der mit der Redeemer Church und seinen Büchern Millionen inspirierte, zeigen, wie Einfluss mit Integrität ausgeübt werden kann. Diese drei Männer haben ihren Lauf gut vollendet – Vorbilder für uns alle.
Die Bibel fordert uns auf:
„Gedenkt an eure Leiter, die euch das Wort Gottes verkündet haben. Schaut den Ausgang ihres Lebens an und folgt ihrem Glauben nach.“ (Hebräer 13,7)
Natürlich waren auch sie nicht perfekt. Doch sie haben bewiesen, dass Macht – mit Demut und Weisheit eingesetzt – ein Werkzeug für das Gute sein kann.
Macht ist nötig
Romano Guardini brachte es auf den Punkt: „Macht bewegt Realität.“ Sie ist unverzichtbar, um unser Zusammenleben zu gestalten. Doch ein „Machtvakuum“ birgt große Gefahren: Wo keine klare Führung vorhanden ist, übernehmen oft die Falschen das Ruder.
Ein „erlöster“ Umgang mit Macht entscheidet
Es ist nicht die Macht selbst, die gefährlich ist, sondern der Umgang mit ihr. Machtmissbrauch – das dunkle Gesicht der Macht – bleibt eine ständige Versuchung. Montesquieu, der bedeutende Staatstheoretiker des 18. Jahrhunderts, erinnerte uns eindringlich: „Jeder Mensch, der Macht hat, neigt dazu, sie zu missbrauchen.“
Diese Einsicht ist zeitlos. Die Geschichte, auch die aktuelle, zeigt uns immer wieder, wie zerstörerisch Macht sein kann, wenn sie falsch gehandhabt wird. Niemand ist immun. Selbst die begabtesten und scheinbar gesegnetsten Menschen der christlichen Gemeinschaft sind nicht vor Versagen oder Machtmissbrauch gefeit.
Wir alle sind gefordert, einen „erlösten Umgang“ mit Macht zu finden – in uns selbst, und dann durch uns auch in der Gemeinschaft.
Gute Strukturen helfen
Um Machtmissbrauch vorzubeugen, benötigen wir klare und transparente Strukturen – sowohl in Kirchen als auch in anderen Gemeinschaften. Besonders in christlichen Kreisen gestaltet sich das jedoch oft schwierig. Wer wagt es, jemanden infrage zu stellen, der offensichtlich von Gott gesegnet ist? Unterstützung und Ermutigung sind zweifellos wichtig, doch ebenso notwendig ist ein legitimer Rahmen innerhalb der Gemeinschaft, der Raum für berechtigte Kritik bietet.
Wie kann eine gute Struktur für Macht aussehen? Montesquieu gab darauf eine klare Antwort: „Macht muss der Macht Grenzen setzen.“ Sein Prinzip der Gewaltenteilung – die Trennung von Gesetzgebung, Ausführung und Rechtsprechung – ist bis heute ein Grundpfeiler moderner Demokratien. Checks and Balances sorgen dafür, dass niemand uneingeschränkte Macht hat.
Im Neuen Testament sehen wir, wie die Führungsfrage im Kontext des Teams gedacht wird – sei es durch Älteste und Diakone in der Ortsgemeinde oder durch die verschiedenen Dienste, die gemeinsam für das Wohl der Gemeinde wirken (Epheser 4,11ff).
„Wo nicht weiser Rat ist, da geht das Volk unter; wo aber viele Ratgeber sind, findet sich Hilfe.“ (Sprüche 11,14)
Macht braucht also klare Strukturen und Transparenz. Gleichzeitig erfordert sie Verantwortungsbewusstsein von allen Beteiligten. Keine Struktur – so biblisch oder sinnvoll sie auch sein mag – kann das ersetzen! Nur mit diesem Verantwortungsbewusstsein lässt sich verhindern, dass Macht missbraucht wird oder Gemeinschaften aus dem Gleichgewicht geraten.
Eine gesunde Kultur bauen
In der deutschen christlichen Szene gibt es noch Entwicklungspotenzial, was eine gesunde Kultur der Ermutigung für Verantwortliche betrifft. Gleichzeitig hat der internationale Einfluss dazu geführt, dass Pastoren mancherorts zu Stars aufsteigen. Gemeinden tendieren dann dazu, ihre Leiter übermäßig zu verehren – ein Trend, der langfristig problematische Entwicklungen begünstigen kann:
- Älteste werden abgeschafft: Dabei bilden sie eine biblisch fundierte Ordnung, die die hauptamtliche Leitung im Alltag stärken und unterstützen könnte.
- Ersatz durch Berater: Diese haben häufig nur begrenzten Einblick und stützen sich oft auf einseitige Informationen, wenn sie reflektieren und begleiten.
- Interessenskonflikte: Berater sind nicht selten enge Freunde der Leiter und werden in einigen Fällen für ihre „Kontrolle“ bezahlt.
Wie lange kann das gut gehen? In manchen Gemeinden wird die Leitungsrolle wie ein Staffelstab innerhalb von Familien weitergereicht – ein Trend, der uns zu denken geben sollte.
Fazit: Macht als Chance und Herausforderung
Macht ist unverzichtbar und notwendig – in Familien, Organisationen und der Gesellschaft. Sie bietet die Möglichkeit, Visionen zu verwirklichen und das Wohl anderer zu fördern. Doch sie birgt auch Gefahren, wenn sie egoistisch oder unkontrolliert eingesetzt wird.
Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, ihre Macht immer wieder zu hinterfragen. Mit einer Haltung der Demut, Weisheit und Selbstreflexion kann Macht zu einem Werkzeug des Guten werden. So wird sie nicht zur Last, sondern zu einer Kraft, die Gemeinschaften stärkt und Realitäten positiv verändert.Letztlich ist Macht nicht das Problem – sondern die Frage, wie wir mit ihr umgehen. Und diese Verantwortung tragen nicht nur die Mächtigen, sondern wir alle.
Diesen Beitrag gibt es als PDF-Auszug aus dem Charisma Magazin.

Die Homepage des Magazins mit allen weiteren Infos ist mit einem Klick auf das Titelbild zu erreichen.

NACHTRAG: Wer den Aspekt der Grenzverletzungen, des Missbrauchs in der Gemeinde vertiefen möchte, sollte sich dieses Angebot anschauen (klicke auf den Screenshot):

