Moin zusammen. Wen es interessiert: Ich schreibe ein Tagebuch, wie es mir als Leiter mit der Quarantäne geht. Welche Gedanken, Gefühle, Sorgen, Fragen … im Lauf so einer Zeit aufbrechen. Und was ich für mich daraus lerne. Jeden Tag einen Eintrag, sofern alles so verläuft, wie erhofft. 😉
Praktisch geht das hier so:
Das Tagebuch beginnt „ganz unten“. Am 2. März 2020 startet es, am 24. April kommt es zum Ende. Um zum Start zu kommen, scrolle bis ans Ende vom Post und lese dich gerne „nach oben“. ☺️ Ich verarbeite damit in „erster Lesung“ diese Zeit, ihr könnt mal durch ein Fenster reinschauen.
Das „Post-Corona-Tagebuch“ – wie nach 4 Wochen Quarantäne sich jetzt der Alltag in „neuen“ Freiheit gestaltet, ist hier einzusehen.
Samstag, 24. April
4 Wochen in Freiheit. Auch Heike ist wieder „auf freiem Fuß“. Was für eine Erfahrung. Die letzten beiden Monate haben so manches auf den Kopf gestellt. Das Leben ist definitiv anders. Die Presse ist weiter interessiert und berichtet. Unsicherheit ist zu spüren. Auch Leichtsinn. Gedankenlosigkeit. Gleichgültigkeit. Und Angst. In der Krise tritt in den Vordergrund, was im Untergrund lagert. Die ernüchternde Einsicht vieler in dieser Zeit: Hoffnung und Sicherheit findet man nicht in Dingen. Nur in Beziehungen. Deshalb wird die Familie gerade so wichtig. Der Freundeskreis. Aber auch diese Beziehungen stoßen an Grenzen. So wertvoll sie sind. Die Beziehung zum Schöpfer ist das Geheimnis. Er hat mein Leben in der Hand. Heute. Morgen. Immer. Gut zu wissen.
Mittwoch, 25. März
Heute um 23.59 Uhr endet meine Quarantäne. Heike, meine Ehefrau ist jetzt auch vom Gesundheitsamt positiv eingestuft. Wird aber nicht getestet. Hat leichte Symptome. Das bedeutet? Sie muss weiter in Quarantäne bleiben. Wenn sie dann 2 Tage symptomfrei ist, endet auch ihre Zeit. Mehr als 4 Wochen sind es dann. Schade, ich hätte gerne mit ihr den Weg „in die Freiheit“ gemeinsam angetreten.
Und ehrlich: wir dachten nicht einmal an Quarantäne! Als wir am 26. Februar nach Karlsruhe fuhren. Konsti trafen. Eine schöne Begegnung mit ihm hatten. Im Vorfeld des Leiterkongresses. Eine sehr spezielle Zeit. Alles so unscheinbar. Normal. Schön. Wie immer. Und dann: das Unsichtbare hat eine Auswirkung! Wie oft geht das so. Im Leben? Man sieht es nicht kommen. Unterschätzt es. Denkt: Alles im Griff. Was soll passieren. Alles Panik. Die Ignoranz der Arroganz. Und dann? Plötzlich, ganz plötzlich. Ist alles anders. Wer kann sagen, dass er durchblickt. Es im Griff hat. Auswege bringt?
»Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.« | Psalm 121,1-2
Ich danke direkt auch an die vielen Leuten, die uns unterstützt haben: Einkaufen. Besorgungen machen. Ermutigen. Reden. Lachen. … So gut! Was wäre gewesen, ohne diesen Kreis der Unterstützer?! Nicht auszudenken. Das können wir alle tun! Jeder. Jetzt. Für Leute aus unserem Umfeld. Quarantäne kommt. Sicher für noch viel mehr Leute. Bei uns: 4 Wochen. Schluss. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte 😂:
Ich gelte als einer der ersten Geheilten in Niedersachsen. Interviewanfragen trudeln ein. TV Sender, Zeitungen, Nachrichtenmagazine. Spannend. Die Redakteure und Journalisten sind mir mittlerweile bekannt. Feine Leute. Allesamt. In den letzten 4 Wochen hatten wir manches Gespräch. Immer wertschätzend. Respektvoll. Konstruktiv. Leute, die ihren Job verantwortlich machen. Oft enden sie mit persönlichen Wünschen, Grüßen, Gedanken.
Ich bin nicht ganz fit. Der Bewegungsmangel macht sich schon bemerkbar. Daher: Etwas Energie fehlt. Bräuchte jetzt ein Trainingslager. Auch mental: Diese Ausnahmesituation hat mich – unbemerkt – doch noch mehr Kraft gekostet, als erwartet. Obwohl ich nach wie vor „gut drauf bin“. Jetzt kommt wieder der Alltag. Ich freue mich wie ein Schneekönig. O.k., ein „ganz normalen Alltag“ ist es auch nicht. Das macht es jetzt nicht einfacher. Aber besser als Quarantäne!
Magnus Malm Buch, von dem ich am Montag erzählte, begleitet mich weiter. Richtig, richtig gut. Ein längeres Treffen mit unserem Leitungsteam via Zoom füllt den Vormittag. Ich freue mich, mit diesen tollen Menschen weiter am Start zu sein. Weitere Vorbereitungen für die Predigt. Sonntag bin ich dran. Komisches Gefühl. Wann habe ich das gleich zum letzten mal gemacht? Am 2. Februar!
Etwas Verunsicherung spüre ich in mir. Auch als Pastor, mit über 30 Berufsjahren. Warum? Weil es direkt anders ist. Jetzt in eine Kameralinse zu sprechen, keine Resonanz der Zuhörer wahrzunehmen, sind nicht so mein Ding. Schaff ich das? Als „Interaktionstyp“. Mein junger Kollege hat das großartig hinbekommen.
Damit endet dieses Tagebuch. Das Quarantäne-Tagebuch. Über 14.000 Zugriffe. Aus vielen Ländern. Wie die Karte zeigt. Rot markiert. Die Länder, aus denen der Beitrag aufgerufen wurde. Faszinierend: Geschichten helfen. Meine Geschichte. Ganz sicher auch Deine Geschichte. Offenheit. Ehrlichkeit. Einblick. Viele Menschen sagen mir das. In den letzten Wochen. Und bedanken sich. Noch dieser eine Tag. In Worten: H E U T E N A C H T !!!! Dann!
Dienstag, 24. März
Etliche Fragen beschäftigen mich an diesem Montag. Der 9-Punkte-Plan, den die Bundeskanzlerin gestern bekanntgegeben hat, betrifft ja auch uns. In der Kirche. Wir bieten Online Gottesdienste an. Wie geht das jetzt? Mit Kollegen im ganzen Land bin ich im Austausch. Kontakte, Gespräche, Erwägungen. Am Abend dann erste rechtliche Klärungen, die Perspektiven für uns aufzeigen.
Wie geht es dir? Was denkst du zu dem, was gerade passiert? Häufiger wird mir diese Fragen gestellt. Will ich „einfach nur durchkommen“? Es schlicht „hinter mich bringen“? Dann wieder ins „normale Leben“ zurückkehren! Geht das überhaupt?
Finde Worte in einem Text der französisch-marokkanische Schriftstellerin LEÏLA SLIMANI. Sie drücken gut aus, was ich oft denke. Empfinde. In diesen Wochen der Quarantäne:
»Die Natur rächt sich. Der Wahnsinn, dem wir alle verfallen waren, wurde endlich unterbrochen. Plötzlich wurden wir zum Hausarrest gezwungen, in dieser Welt, die auf Konsum, Produktion, Mobilität und Hypersozialität basiert. Wir sind gezwungen, uns in Geduld und Bescheidenheit zu üben.«
Alles wirkt so unwirklich. Auch auf mich.
»Ich habe keine Angst, weil mir all das sehr unwirklich erscheint. Es ist ein Spiel oder ein Traum, es ist ein Test, dem wir unterzogen werden und der bald endet. Hat ein Hollywood-Autor die Kontrolle über unser Leben übernommen?«
Passiert das alles gerade wirklich? Die Vögel wecken mich jeden Morgen mit ihrem fröhlichen Gesang. Der Wind weht mild. Aber kühl. Die Sonne kleidet die Natur in wunderschöne Farben. Alles wie immer? Oder doch: „Houston, wir haben ein Problem!“ Muss ich mir Gedanken machen? Gar Angst haben?
»Ich habe keine Angst, weil ich weiß, dass es vorbeigehen wird und wir wieder hinausgehen und uns berühren werden können.«
Angst habe ich auch keine. Aus anderen Gründen, als die Autorin. Ich erlebe mich getragen. Geborgen. Fast immer. Nur wenige Augenblicke gewinnt die Unsicherheit die Oberhand. Dann finde ich im Gebet Frieden, Ruhe. So gut! Bin verborgen, versteckt in meinem Gott. Er hat mein Leben in der Hand. Spricht das letzte Wort. Nicht Corona. Oder sonst etwas. Ganz gleich, was kommt. Römer 8,28-39 trägt mich. Immer und jederzeit. Besonders die Verse 28 und 31ff tun gut. Auch jetzt.
Es geht vorbei! Weil ER es final zum Guten führt. Das gibt mir Trost. In jedem Moment. Ein paar Mal wache ich am Morgen anders auf. Sorgen haben mich wachgerüttelt. Immer und immer neu werde ich sie los. Wie? Werfe sie auf IHN. So soll ich es tun. Ich übe. Auch nach 41 Jahren. Habe noch nicht ausgelernt! Bleibt wohl so. Bis zum letzten Atemzug. Obwohl. Manchmal gelingt es mir direkt auf Anhieb! Immer wieder ist es aber auch ein Kampf. Selten sogar ein schwerer Fight! Auch darauf werde ich vorbereitet.
Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG wagt sich an einen Ausblick. Wie wird es nach der Krise sein, fragt er sich in einer Kolumne in der Welt:
»Wenn die Krise überstanden ist, wird vieles nicht mehr so sein wie vorher. Der wirtschaftliche Schaden wird groß sein. Ganze Industrien könnten verschwinden oder sich völlig verändern. Aber es werden auch neue Boombranchen entstehen. Wir werden anders arbeiten. Weniger reisen. Vielleicht rücksichtsvoller gegenüber der Umwelt sein. Respektvoller auch gegenüber Politikern, die verantwortungsvoll, nicht populistisch handeln. Wir werden anders miteinander reden und uns anders begegnen. Vielleicht dankbarer für vieles, was bisher selbstverständlich erschien. Wirtschaftlicher Aufschwung. Rauschende Partys. Bewusster Genuss. Gesellschaft und Geselligkeit – und vor allem Freiheit – werden wieder ein Geschenk sein.«
Wie immer es sich verändert. Ich erspüre: Es verändert mich! In mir bewegt sich was. Und das wird gut. Werde neu fokussiert. Ausgerichtet. Meine Fragen: Was zählt? Was hat Wert? Wofür möchte ich mein Bestes geben? Was bleibt? Jemand schickt mir ein Bild.
Familie, Freunde und Gesundheit. Drei gute Punkte. Geschenke im Leben, die zu pflegen und zu achten sind. Ein Psalmist des Alten Testamentes weitet den Horizont. Meinen Horizont: So wertvoll diese Punkte auch sind. Obschon sie eine hohe Priorität haben. (Der Schöpfer hat das Leben so erdacht.) Dennoch gilt: Sie sind vergänglich. Viele erleben das in dieser Corona-Zeit. Ganz neu.
»Himmel und Erde werden vergehen, du aber bleibst. Sie werden alt werden wie ein ´abgenutztes` Kleid, du wirst sie auswechseln wie ein ´abgetragenes` Gewand, und so werden sie verwandelt.« | Psalm 107,27
Ich bekomme Nachricht. Vom Amtsarzt in Gifhorn. Bald ist Geschichte, was in den letzten Wochen unausweichliche Wirklichkeit war: Am Mittwoch, 23.59 Uhr ist sie zu Ende. Die Quarantäne. Ein gutes Gefühl. Auch die bange Frage: Was dann? So vieles ist anders. Noch 2 Tage. In Worten: Z W E I !!!!
Montag, 23. März
Mir fehlt der grüne Daumen! Gartenarbeit ist – für mich – immer irgendwie lästig. Versteht das jemand? Es gibt natürlich richtig viele Leute, die blühen im Garten auf. Wie ihre Pflanzen. Das ist super. Meine verwelken. Ich habe einfach nicht das Talent. Und auch nicht das Wissen. Ganz ehrlich: alle Zeitschriften und Fachbücher haben mir bisher nicht geholfen. Warum das? Ich lese sie nicht! Mir geht’s wie mit meinen Englischkursen im Regal. Ich würde so gerne die Sprache „perfekt“ sprechen können. Die Grammatik im Griff haben. Aber einen Kurs durcharbeiten … nee. So ist es auch mit dem Garten. Ein toller Garten? Great! Aber die Arbeit dafür? Ach nö. Und jetzt?
Da sitze ich bei Sonne im Garten. Wo ich ja hin darf. In der Quarantäne. Das tut gut. Richtig gut. Ich muss Abbitte tun. Selbst so ein bescheidener Garten, wie meiner, tut unendlich gut. Gerade jetzt! Meiner Seele. Ein Milchcafé in Reichweite und das neue Buch von Magnus Malm, das im September kommt, auf dem iPad. Lesen ist so etwas besonderes! Warum eigentlich? Da gibt es sicher Studien, die es erklären. Egal. Jetzt genieße ich das. Mein Geist blüht auf. Wenigstens der blüht. In meinem Garten … Ok. so schlimm ist es jetzt auch nicht … Zurück zum Buch.
Der Verlag hat mich gefragt, ob ich ein »Endorsement« schreiben würde. So heißt das heute. Ich bin interessiert! Weshalb? Weil Malms Buch „Gott braucht keine Helden“ mich nachhaltig geprägt hat. Wie auch viele andere Führungskräfte meiner Generation. Mehr als zwei Jahrzehnte ist das her. Und nun? Er hat jetzt noch ein Buch für Führungskräfte geschrieben. Im Finale seines Lebens. 69 ist jetzt. Das ist immer gut, wenn ein Autor Reife hat. Lebensreife. Und reflektierte, durchlebte, durchlittene Erfahrung. Durch die Jahreszeiten des Lebens gegerbt. Ich denke an meine vier Wochen Quarantäne. Was geben sie mir mit. So als Führungskraft? Wie werden sie mich auf die Länge der Zeit prägen? Erwartungsvoll schaue ich auf das Tablet. Bin gespannt. Seite um Seite. Verlangsame mein Lesetempo. Und?
Es ist eine „Granate“! Krass! Das wird einschlagen! Im September. Aber richtig. Warum? Kernsätze ohne Ende. Tief. Gehaltvoll. Inspirierend. Dazu herausfordernd und klug. Und eben reflektiert. Malm macht es nicht kompliziert. Nicht nötig, wenn einer soviel Tiefe hat. Aus dem Leben auf die Seiten. Ich sitze im Garten und erlebe, wie mich seine Worte tief in meinem Inneren erreichen. Berühren. Bewegen. Gedanken wachen in mir auf, wie nach einem Winterschlaf. Das ist mir mit keinem Führungsbuch der letzten Jahre so passiert. Und es waren viele richtig gute Titel dabei. Was für ein Privileg! Dass ich es jetzt schon lesen kann. Im Garten. Bei Sonne. Mit dem Milchcafé in Reichweite.
Gottesdienst. Kirche im Brauhaus. Online. Meine Kollegen – vor und hinter der Kamera – haben ganze Arbeit geleistet. Wir haben darüber gesprochen, wie das Format besser ins Wohnzimmer passen kann. Wir lernen. Testen. Ich für meinen Teil war begeistert. Sehr sogar. Und dankbar. Viele schauen rein ins Video. Das ist ein Segen. Für uns. Für andere. In Gifhorn. Darüber hinaus. Ob wir das durchhalten? Uns fehlen ja – eigentlich – (was für ein Wort!) die Fachleute. Unsere Mitarbeiter leisten großartiges! Aber ehrlich: wir improvisieren schon nicht wenig. Fahren sozusagen auf der Felge. Ob das gut geht? Und nun weiter verschärfte Rahmenbedingungen für die Produktion. Die Bundeskanzlerin hat 9 Punkte genannt. Sie betreffen uns. Wir müssen das genau klären. Nicht so hart, wie befürchtet. Sorgen eines Leiters. In der Quarantäne. Noch 3 Tage. In Worten: D R E I !!!!
Sonntag, 22. März
Die Stimmung kippt etwas! Nicht bei uns. Noch nicht? Aber um uns! Absolut. Ist zumindest so unser Gefühl. Wir spüren: Menschen sind verunsichert. Etliche verängstigt. Einige frustriert. Und das alles auch in unserem Freundeskreis. Bei Weggefährten. Wir machen uns Gedanken. Sorgen klopfen an. Wir denken an Petrus: »Herr, wohin sollten wir gehen. Du hast Worte des ewigen Lebens!« Yes.
Wo liegt jetzt die Quelle der Hoffnung? Die Perspektive für die Zukunft? Für die Familie und Freunde? Den Job? Die Firma? Die Schulden? Die Karriere? Für einige steht die wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel! Wenn alles zerbricht, zerrinnt, was gerade noch stabil war? »Du hast Worte des ewigen Lebens!« Immer wieder flüstere ich dieses Bekenntnis. Und denke daran, wohin die Sorgen entsorgt werden: bei Gott! ER sorgt! Nicht immer so, wie ich es wollte. Dachte. Hoffte. Aber – im Rückblick – immer gut! So habe ich das die letzten 40 Jahre gemacht. Ich bleibe dabei!
Krise: Gefahr oder Chance? Mein Weg in der Quarantäne: Zuerst die Krise kaum gesehen! Dann kurzfristig: Lähmung. Dann, einen Moment lang: vor allem die Gefahr. Mein Blick geht nach innen: auf mich. Heike. Meine Familie. Freunde. Egoblick. Nicht gut! Hilft nicht. Macht schwermütig! Dann Chance. Gott ist da! Glauben: Aktiviert oder lähmt. Ich lasse mich aktivieren! Was glaube ich jetzt? Dass: »Gott hat Wege in der Wüste. Und Pfade in der Einöde.« Dann: Glaube ich das? Jetzt? Warum? Neue Prüfungen! Jetzt, wo so vieles bei meinen Freunden zerbricht? Bald auch bei mir? Das ist hart!
Fragen schießen mir durch den Kopf. Halten mich wach. Nachts. Am frühen Morgen: Wo sind diese Wege? In der Wüste? Ich denke an Menschen. Aber: Ich kann sie nicht sehen. Diese Wege! Gibt es sie vielleicht nicht? Oder sehe ich sie gerade nicht? Noch nicht! Unsicherheit macht sich breit! Kontrolle entschwindet. Erfahrungswerte fehlen. Ich schalte auf Instrumentenflug um. In diesem Nebel. Dicke Suppe! Durchblick verloren! Schaue ich auf die richtigen Instrumente? Woran orientiere ich mich? Jetzt? Mir scheint: die entscheidende Frage! Glaubensfrage. Im Wesen.
Vertrauen, Glauben! Auf was? Auf wen? Menschen müssen jetzt vertrauen. Sie glauben. In aller Welt: Ärzten. Wissenschaftlern. Politikern. Statistiken. Pseudo-Experten. Freunden. Familie. Kollegen. Dem Hausarzt. Nachbarn. Bekannten. Auch Verschwörungsfreunden? … Wem vertrauen? Jetzt? Jeder handelt nach dem, was er in Wahrheit JETZT glaubt. Beobachte ich. Jeder. Ist mir vertraut. Tägliches Brot einer Führungskraft.
Führungskräfte sind immer im Glauben unterwegs! Deshalb unternehmen sie etwas. Investieren. Gehen ein Risiko ein. Führung ohne Risiko? Geht nicht. Von wem oder was erhoffe ich mir die Zukunft?
Aufregend: In den letzten 3 Wochen konnte ich viel für Kirchen im Lande tun. Der Blog hat sich als tolles Werkzeug erwiesen. Hunderte, Tausende nutzen ihn. Jeden Tag. Vernetzung geschieht. Wichtige Informationen fließen. Viele Rückmeldungen erreichen mich. Auf allen Kanälen. Machen mir Mut. Dann, am Vormittag, diese Frage. Seit Tagen bewege ich sie schon. Wie geht es den Kirchen, Gemeinden, die jetzt keine „mediale Klasse“ anbieten können? Oder nur ein paar Sonntage. Bevor die Luft ausgeht? Ich bringe meine Gedanken „zu Papier“. Der Beitrag kommt auf den Blog. Er schlägt ein wie eine „Bombe“. Trifft den Nerv.
Wir „treffen“ unsere junge Familie. Unser Sohn mit seiner Frau und den Kids. 6 Stunden leben sie von uns entfernt. Fast jeden Tag sehen wir uns. Über das Internet. Die Enkel lachen uns an. Winken. Reden. Singen. Albern. Das tut gut. Mir. Auch Heike. So gut. Balsam auf die Seele. Ein wenig einsam ist sie. Die Seele. Trotz aller Zuwendung. So ist das. ER ist mir nahe. So nahe. Das tut gut.
Der Reporter hat mich nach Lagerkoller gefragt. Er hat einen schönen Beitrag in der Aller Zeitung daraus gemacht. Wir sind dort Dauergäste. 😂 Auch in der Gifhorner Rundschau. Wir haben tolle Reporter! Sie tun einen guten Job in der Stadt! Für die Stadt! Aber zurück zur Frage: Nee, kein Lagerkoller, sage ich. Zu beschäftigt. Abgelenkt. Mit tollen Aufgaben betraut. Das hilft. Gegen Langweile. Sinnloses netflixen. Aber auch Selbstmitleid. Aggression.
Habe gelesen, dass das Coronavirus auch für Beziehungen ein echter Stresstest ist. Heike und ich kommen gut klar. Leichten Stress gab es. Ja. Das Trainingsprogramm und die Weisheit von Gott haben uns fit gemacht. Seit Jahrzehnten. Auch für diesen Moment. Matthäus 6,33 war unser Leitvers. Haben uns daran ausgerichtet. Bei allen Entscheidungen. Gut, dass wir dem gefolgt sind. Ist jetzt ein Fundament. Das trägt. Denken wir oft. Sagen es uns.
Jemand schickt mir dieses Cartoon. Das beste Mittel gegen das Virus. Ich lache. Wieder einmal. Humor bleibt wichtig. Auch in der 4. Woche Quarantäne. Und ja. Ich bete. Ich bete, dass bald ein Mittel gegen das Virus gefunden wird. Das wäre die beste Hilfe. Tolle Wissenschaftler, die auf Gott vertrauen, forschen! Wir beten! Das passt!!!
Samstag, 21. März
»Du alter Quarantäner!« So begann gestern eine Mail, die mir ein Kollege schickte. Stimmt. Wir sind in der 4. Woche. Krass. Aber: es geht uns nach wie vor gut. Bei mir sind alle Symptome, die ja sehr leicht waren, fast verschwunden. Und Heike? Sie hat auch nur leichte Symptome gezeigt. Ist sie jetzt auch positiv, meine Ehefrau? Eine positive Ehefrau ist viel wert! Das könnt ihr mir glauben. Habe 35 Ehejahre fast voll. 😉 Aber ernsthaft. Die Frage liegt anders. Ist Heike positiv auf das Virus getestet? Dann wäre sie nach der Zeit immun. Was ja jetzt gut wäre. Besonders, weil sie keine heftigen Symptome hatte. Aber getestet wird sie nicht. Sie wird nun als „Corona-positiv“ geführt. Wie das?
Das erklärt dieses Interview, das wir gestern gepostet haben. Wir finden es super erklärt. Verantwortlich. Sachlich. Verbreitet keine Panik. Aber zeigt den Ernst der Lage. Den haben viele noch nicht erfasst. Corona Partys! Geht’s noch?! Andere werfen mit Theorien um sich, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Meine ich. Rainer Harter vom Gebetshaus Freiburg hat das gut gemacht. Für die frommen Stilblüten. Und Christian Drosten macht das beständig. Sachlich antworten. Auch auf das, was mancher Promovierte von sich gibt. Gut so! Ich liebe bescheidene Experten.
In der vierten Woche wird es härter für mich. Jetzt hätten ich gerne, dass es „vorbei“ ist. Mit der Quarantäne. Es reicht. Ich will mich wieder frei bewegen. Das wird doch noch eine Zeit nur ein Wunsch bleiben. Vermutlich. Aber wenigstens ins Büro? In mein Büro! Ich vermisse es. Meine viele tollen Bücher. Meine Freunde. Das tolle Gebäude. Unser Brauhaus. Vor allem: die Menschen. Sie treffe ich leider nicht! 😢
Wenn ich am nächsten Donnerstag durchstarten kann, kommt das Fernsehen. Heute angekündigt. Im Brauhaus ein paar Aufnahmen. Mit mir. Ob ich vorher noch einen Friseurtermin bekomme? Wenn es dann noch geht. Spannend. Freiheit. Bewegungsfreiheit. Mit dem Rad hinradeln. Das mich das mal verzücken würde? Nicht zu fassen. Wie wenig einen zufrieden, fast glücklich machen kann. 😂👊
Muss oft an meine Freunde denken. Morgen hätten sie kirchlich geheiratet. Mit vielen Freunden. Lange vorbereitet. Träume. Jetzt geplatzt! Es tut mir leid für sie. Wie vielen geht das jetzt auch so?
Wer hätte das gedacht? Wem hätte man diese „Macht“ zugetraut, unser Leben so durcheinanderzuwirbeln. Hatten wir nicht alles im Griff? Und das, was unser Leben außer Takt bringt, ist unsichtbar! Glauben ist jetzt gefragt! Wer nicht glaubt, wird kalt erwischt. Der Spiegel schreibt von der Arroganz der Ignoranz. Stark. Biblischer Fachbegriff dazu: Unglaube. Bilder gehen mir durch den Kopf. Im Fernsehen gesehen. Bilder, wie Lastwagen Verstorbene in Italien bei Nacht wegbringen. Sie verstören. Mich. Andere.
Die Post kommt. Jeden Tag. Ich denke an die Mitarbeiter. Auch an den Kassen der Supermärkte. Ich bin total dankbar. Für die vielen Leute im Lande, die jetzt gefordert sind. Ihr Bestes geben. Auch in Behörden. Krankenhäusern. Arztpraxen. Pflegediensten …
Die Post kommt also. Sie bringt uns Grüße. Von Menschen, die an uns denken. Für uns aktiv werden. Mit Gesten, die so wertvoll für uns sind. Uns ermutigen. Trösten. Begleiten. Sie bringen uns durch diese Zeit. Zusammenrücken, nicht auf Abstand gehen. Bildlich gesprochen. Das ist wichtig. Gerade jetzt. Geht mir so durch den Kopf. Den ganzen Tag.
Freitag, 20. März
Das war ein Tag – gestern! Viele Anrufe, Nachfragen und liebe Gesten. Wieder ein Bericht zu uns. Gifhorner Rundschau: »Gottesdienste kommen per Youtube ins Wohnzimmer. Die Kirche im Brauhaus wird durch Corona vorübergehend zur Kirche zuhause.« Meine Kollegen machen einen klasse Job. Ich bin so beschenkt! Wir als Kirche sind so beschenkt. Dankbarkeit brandet in mir auf!
Ein Lektor des HERDER Verlages schreibt mich an. Schon am Mittwoch. Hat meine Situation seit dem Abbruch des Willow Kongresses mitverfolgt und das Tagebuch gelesen. Möchte mir gerne etwas Gutes tun. Braucht meine Adresse. Heute klingelt die Postbotin. Übliche Prozedur. Gegensprechanlage. Lasse sie rein. Wenn die Eingangstür in Schloss fällt, öffnen wir die Wohnungstür und nehmen die Post aus der Tasche. Und siehe da:
Nice … freue mich schon sehr auf die Lektüre.
Und noch ein Schmankerl kommt. Mit einem so tollen, ironischen Text, wie ich das Virus loswerde. Ich liebe das! (VORSICHT: DAS SIND FAKE NEWS, NICHT ERNST NEHMEN. NICHT GLAUBEN. NUR LACHEN!)
»Den Wein in ein Glas füllen, die Farbe begutachten, den Duft geniessen und dann vorsichtig ein Schlückchen nehmen. Weitere Schlückchen folgen. Wenn er schmeckt, das Glas langsam und verzaubert austrinken. Wenn er nicht schmeckt, genau so Verfahren. Und nun der Tip für die Heilwirkung: den Rest der Flasche ruckartig und auf ex trinken, das Telefon muss in Griffnähe sein. Schwindelgefühl kann auftreten, liegt aber an Corona. Wenn Bewußtlosigkeit auftritt – dafür ist das Telefon. Ich übernehme die volle Verantwortung und rufe jetzt schon mal beim Notdienst an, damit sie Euch morgen unter der Terrasse rausziehen…«
Und dann noch etwas, was mich total berührt. Eine eMail aus dem Süden des Landes macht „Pling“:
»Ich muss mal was loswerden. Dein Blog, dein Tagebuch, deine Liste mit Online-Gottesdiensten habe ich jetzt gefühlt schon hunderte Male weiter empfohlen. Du machst das genial! Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich mit Dir …! Du bist ein großartiger Mensch und ein vorbildlicher Leiter! DANKE!«
Ich werde ganz still, leise. Flüstere leise, ein Gebet. Danke Gott! Mir fällt auf: Krass, welches großartige Potential jeder (!) von uns hat. Wann entfaltet sich das Potential? Wenn wir aufrichtige Wertschätzung weitergeben. Jeder wird dann berührt: Jedes Kind, jede Frau, jeder Mann. Jeder in Verantwortung, jede Oma, jeder Opa … Jeder braucht das. In den nächsten Monaten noch mehr. Viel mehr! Werde ich mit meinem Potential andere beschenken? Werde ich verschwenderisch damit sein? Ich bin ein Deutscher. Habe viel mit mir zu tun. Meinen Leuten. Denke an Jesus. Am Kreuz. Die Hände sind ihm gebunden. Er sieht. Immer noch. Die anderen.
Der nächste (sehr nette) Reporter ruft an. Wieder ein Interview. Soll zum Wochenende oder so kommen. Habe den Text jetzt gegengelesen. Wow. Tolle Arbeit. Was für ein Vorrecht. Unsere Situation in der Öffentlichkeit. Macht vielen Betroffenen Mut.
Und dann bedanken ich mich. Bei unserer Kirche im Brauhaus. Den Menschen der Kirche. Sie sind, wir sind die Kirche. Kein Haus. Mit einem Video. Solange meine Frisur nicht zu peinlich ist. Ein Kollege aus Leipzig twittert: »Friseure müssen jetzt schließen.« Panik! Finde ich jemanden in Gifhorn nach der Quarantäne, der mir wieder eine ordentliche Frisur verpasst? Keine Woche mehr, dann sind wir raus. Ich muss mit Mütze predigen. Konsti, einer der jungen Kollegen meiner Freikirche – angesagt – macht das auch! 🤣 Ist also nicht peinlich. Bei den Jungen. Hm. Ich bin bald 60.
Ich genieße die wunderbare Kolumne »Lest das hier, ihr Leichtsinnigen!« von Samira El Ouassil. Wenn man alles nicht so ernst wäre. Nur ein Film. Ein Buch. Ein Text. Ich schaue in die Weite. Nichts deutet darauf hin, dass etwas aus den Fugen geraten ist. Gut, dass ich nicht nur an das glaube, was ich sehe. Zu gefährlich.
Kann man sich wieder anstecken? Die Frage schießt mir immer wieder durch den Kopf. Untersuchungen aus China und eine Meldung aus Japan legen das nahe. Viele Forscher zweifeln die Ergebnisse an. Berichtet der MDR. Oh man …
Und schließlich: Heike und ich beten zusammen. Die beste Antwort, auf alle Fragen, Gedanken und Sorgen. Auch jetzt. Nach den 20.00 Uhr Nachrichten. Mit Tausenden anderer. Christen im ganzen Land. Gebetsanliegen? Es gibt es genug. Ein Freund in der Führungsetage eines Unternehmens schreibt mir. 1000 Leute muss er in Kurzarbeit versetzen. Ein anderer Freund, Unternehmer, bangt um seine 3 Firmen. Arbeitsplätze. Verantwortung für Mitarbeiter. Alle in Kurzarbeit. Kündigungen? Es liegt ihm schwer im Magen. Was tun? Jedes Wort scheint leer. Wir beten. Die beste Antwort. Gottes Telefonnummer? Hier: Psalm 50,15. Wir rufen durch. Nicht besetzt. Uff.
Donnerstag, 19. März
Deutschland steht still. Kaum zu glauben. Was sich alles in wenigen Tagen verändert hat?! Habe der Bundeskanzlerin zugehört. Hat sie gut gemacht. Finde ich. Was jetzt alles nicht mehr geht! Wie ein „kleiner Tod“. So wirkt das. Zumindest.
Aber als Christ ist mir bewusst, dass das nicht das letzte Wort ist. Das es die Auferstehung gibt! Es weitergehen wird! Auch wenn jetzt vieles erst mal auf „Stopp“ gesetzt ist. Für Beweger, Gestalter … sehr unangenehm. Pausen als Chance? So wird das jetzt gesagt. Dennoch löst es nicht die besten Gefühle in Führungskräften aus. Nun denn. Aber es wird weitergehen! Immer. Garantiert. Nicht nur in dieser Krise. Grundsätzlich. Selbst der Tod spricht nicht das letzte Wort! Woher Christen das wissen? Weil ER, Gott, das Leben ist. Und alles, was er berührt, zu leben beginnt. Richtig schön wird. Daran erinnert mich der Baum. In meinem Garten. Er hatte eine Pause. Zumindest für mich als Betrachter. Von außen. Und nun seine „Auferstehung“. Die Blüte setzt ein. So wird es kommen. Er erinnert mich. Gerade heute. Am Tag 20. der Quarantäne. Es geht weiter. Es gibt Zukunft. Hoffnung. 7 Tage Isolation kommen noch. Vermutlich. Meine Frau wird noch mal getestet.
Ich denke an Unternehmer. Selbstständige. Freiberufler. Gastronomen. Landwirte. Aber auch an die Leute bei VW. Den Zulieferer. Die großen Arbeitgeber der Region. Menschen geraten in Krisen. Jetzt. Unsicherheiten. Teilweise existentiell. Heute. Oder morgen. Mich berührt das. Als Beweger „rotiert mein Hirn“. Was können wir tun? Wie können wir helfen? Mut machen? Unterstützen? Als Kirche im Brauhaus?
In Krisen zieht man sich schnell auf sich selbst zurück. Die eigenen Bedürfnisse. Die eigene Familie. Den eigenen Job sichern. Genau das Gegenteil ist jetzt gefragt! Wir dürfen uns nicht verschließen! Denke ich. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht als Kirche. Meine Kollegen in der Kirche setzen die Aktion auf: »Help your Neighbour« – hilf Deinem Nachbarn. Jetzt. Direkt. Aber auch nach der Zeit. Top. Ich feier unser Team.
Freunde aus ganz Deutschland rufen mich an. »Wie geht es euch?« – fragen sie. So wertvoll. Wir sind nicht vergessen. Einer schreibt: »Mann um Euch zwei kommt man gerade nicht drum herum 😂🤣😂«. Er hat Hallo Deutschland gesehen. Wie geht es? Gut. Der Husten ist weg. Kann gut schlafen. Hätte gerne mehr „Auslauf“. Bin aber voll ausgelastet. Fast zu viel. Doch: Mit den Pausen klappt es besser. War wieder im Garten. Und mein roter Freund ist aus dem Winterschlaf erwacht. Auch nach 20 Tagen: ich bin so beschenkt. Getragen von Gott. Meist gelassen. Manchmal genervt. Selten.
Wie geht das mit den Online Gottesdiensten? Noch so ein Geschenk. Mit dem Leiterblog kann ich mithelfen. Fragen klären. Mein Netzwerk aktivieren. Juristen. Ärzte. Techniker. Andere Kirchen. Ich spreche mit Kollegen. Lerne. Bekomme viele Mails. Vernetze. Informiere. Ich lebe auf. Ein toller Tag.
Und dann kommt noch der Artikel in der Tagespost. Wie ich die Quarantäne erlebe? Und welche Rolle mein Glaube jetzt spielt? Toller Artikel. Ich sehe die Bebilderung. Bin neben Johannes Hartl abgebildet. Der Freikirchler und der Katholik. Passt das? Johannes und ich finden es gut. Bin an das Johannesevangelium, Kapitel 17 erinnert. Im Neuen Testament. Ein Freund hat mir ein Cartoon gezeichnet. Um einen meiner Lieblingssätze zu illustrieren. Ein Bild sagt ja mehr als tausend Worte. Das will ich sagen. In dieser Zeit. Christen rücken zusammen. Den Satz zitiere ich. Oft. Zuerst in einem Seminar 1996. Beim Christival. In Dresden. Und dann immer wieder. Auch jetzt. Hier ist er.
Mittwoch, 18. März
Der digitale Start: Am Vormittag fand unser Treffen als Pastorales Team der Kirche im Brauhaus erstmals in der Geschichte in einem digitalen Raum statt: ZOOM half uns, um 2 Stunden auszutauschen, zu beten und zu beraten. Wie soll es jetzt weitergehen? Was liegt an? Was wollen, sollen u. müssen wir tun? Ungewohnt. Für manchen fremd. Aber dennoch hat es geklappt. 😁
Kirche leben in diesen Zeiten? Das Team macht das so gut. Ich kann ganz entspannen. Trage meinen Teil bei. Das ist eine neue Situation. Kann einen starken Beitrag auf dem Leiterblog posten. Tolle Ideen für kleinere Kirchen. Der Blog wird bundesweit erwähnt. Unsere Liste der Online-Gottesdienste ist schon über 12.000 x aufgerufen.
Die Meldungen laufen auf: Ich hab‘ dich im Radio gehört. Das ZDF berichtet in seiner Sendung Hallo Deutschland kurz von uns. (Ab Minute 2.01). Ein schriftliches Interview mit »Die Tagespost – Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur« folgt, später ein Telefoninterview mit einer der beiden Gifhorner Zeitungen. Sie wollen über mein weiteres Ergehen und die Kirche im Brauhaus berichten.
In unseren Online Gottesdienst haben sie schon reingeschaut. 1900 x haben das Leute jetzt schon gemacht! Fanden es spannend, wie wir das jetzt machen. Dazu dann in der Zeitung mehr, damit die Gifhorner im Bild bleiben. Wie lebt eine Kirche konkret. In diesen Zeiten, wo nichts mehr geht? Und wie geht es einem der ersten beiden Corona-Infizierten der Stadt? Das Gesundheitsamt ruft heute nicht an.
Und dann geht es ab in die Sonne. In den Garten. Da darf ich ja hin. Der Star unseres Gartens wird enthüllt. Gereinigt. Cappuccino getrunken. Unkraut gerupft. Die Sonne genossen. Ein junger Leiter via Facetime gecoacht. Und die leckeren Sachen genossen, die uns unser Versorgungsteam so treu bringt. *gesegnet* Noch 9 Tage. Wenn alles gut geht. Jemand schreibt mir diese Zeile. Sie berührt mich. So wahr: »Es ist beruhigend zu wissen, dass der Heilige Geist nie in Quarantäne muss und weiterhin immer bei uns ist.«
Dienstag, 17. März
Wieder alles anders! Ich komme kaum noch mit. Beispiel: Ein Freund will am kommenden Samstag heiraten. In der Schweiz. Habe ihm und seiner Braut die Hochzeitspredigt zugesagt.
Dann meine Quarantäne. Sie geht ja bis zum 13. März. Hochzeit am 21.3. Das klappt. Dann die Diagnose positiv. Quarantäne bis zum 25.3. Sorry, ihr müsst einen Ersatz finden. Bekommen sie hin. Dann: Es dürfen nur noch 100 Leute bei einer Versammlung sein. Also auch bei der Hochzeit. Gut. Ist auch machbar. Dann: Grenzen schließen, Deutsche können nicht dabei sein. Doof. Aber auch machbar. Dann: Standesamt ruft an: Zur standesamtlichen Trauung nur noch das Paar und die Trauzeugen. Äh … Dann: Weitere Einschränkungen. Dann: Absage der Hochzeit. Neuer Termin: September.
Vielen geht es so. Wie meinen Freunden! Trotzdem: Das tut mir sehr leid. Für meine Freunde. Wo sich dieses Ding, dieses Virus überall einmischt?! Wie wenig wir unser Leben in Wirklichkeit im Griff haben. Schwirrt mir durch die Gedanken …
Komisch. Für das Auge unsichtbar. Ist es wirklich? Die Sonne scheint. Alles wie sonst. Und doch. Alles anders. Die ganze Welt ist betroffen. Alles verändert sich. Unser Leben ist schon jetzt – ein anderes! Ich glaube nur was ich sehe? Besser nicht. Es könnte tödlich sein. Wenn nicht für mich. Dann doch für Leute, die mit mir – direkt oder indirekt – in Verbindung kommen. So eigenartig. Denke ich. Bin im Garten. Strahlender Sonnenschein. Ein paar Arbeiten erledigen. Tut gut. Entspannt. Das war der Plan. Heute hat er geklappt.
Anfragen. Produktionsgesellschaften, die für öffentlich-rechtliche TV Sender arbeiten, fragen an. Wollen Interviews. Bilder einfangen, für die täglichen Magazinsendungen. Dass die BILD berichtet hat, führt alles auf NEXT LEVEL. Ich lerne die Dynamiken des Marktes kennen. Darf mich nicht täuschen. Storys werden gesucht. Jetzt. Möglichst mit Effekt. Pastor. Positiv. Quarantäne. Ich will jetzt kein Corona-Star werden. Was sonst? Einblick geben. Mut machen. Authentisch berichten. O.k. Hab ich gemacht.
Jetzt ’ne Pause. Eine überregionale Zeitung will ein Statement. Gut. Schreibe ich. Aber sonst? Die Nacht war nicht so gut. Husten. Sorgen. Dann wieder Geborgenheit. Ich bin in SEINER Hand. Kein besserer Ort möglich. Hier auf der Erde. ER interessiert sich für mich. Immer. Auch wenn die Lampen aus sind. Ich wieder „vergessen“ bin. Die Freunde im Lande. Die Kirche im Brauhaus. Wir sind auch da nicht vergessen.
Helfen. Die Liste mit den Online Gottesdiensten zieht Kreise. Viel Feedback. Aus dem ganzen Land. Die Liste wächst. Idea Spektrum schreibt darüber. 1450 mal auf Facebook weitergegeben. So gut. Dankbar. Und dann: Die Bundeskanzlerin. Einschränkungen, wie seit Kriegstagen nicht mehr. Was jetzt? Gibt es noch die Chance, Online Gottesdienste zu produzieren. Wohnzimmertreffen? Ein absolutes NO GO.
Das Treffen der Familie. Seit vielen Monaten geplant. „Ewig“ einander nicht gesehen! Unsere Tochter war in Amman. Viele Monate. Konnte im letzten Moment ausreisen. „Hals über Kopf“. Wir wollen uns alle sehen. Muss das ausfallen? Keine Reisen. Auch nicht im Inland. Schon gar nicht aus touristischen Gründen. Viele sind betroffen. Getroffen. Wir auch? Oder nicht? Was tun.
Ich erfülle einen Wunsch: Der Leiterblog wird zur „Verteilstelle“. Fachauskünfte, Links, Meinungen. Infos, die jetzt in den Kirchen gebraucht werden. Gut. Ich mache das gerne. Im Stillen denke ich: was für ein Vorrecht. Leiter sind Beweger. Auch jetzt. Ich kann was bewegen …
Montag, 16. März
Was für ein Ritt?! Was vorgestern wie eine völlige Übertreibung wirkte, ist heute schon bittere Realität. Die Grenzen schließen sich. Das Virus breitet sich aus. Leute sollen sich nicht mehr in größeren Gruppen treffen. Kneipen werden geschlossen. Das Leben kommt zum Erliegen. Und wie feiert man Gottesdienste in so einer Zeit?
Online. Via Facetime habe ich mich an der Planung beteiligt. Im Hintergrund Arbeiten erledigt. Unterstützt. Das Team hat es großartig am Samstag umgesetzt. Die Nacht zum Sonntag haben zwei Mitarbeiter zum Tag gemacht, damit das Video online gehen kann.
Um 8.00 Uhr war es dann geschafft. Und da. Unser erster Gottesdienst der Kirche im Brauhaus, die nun zur Kirche zu Hause geworden ist. Weit über 1600 mal wurde jetzt schon in den Gottesdienst reingeschaut … Hammer.
Online, besser im TV, bin ich dann gestern auch noch gelandet. Der NDR hatte mich interviewt und Hallo Niedersachsen (ab Min. 2.30) berichtete zu meiner Situation in der Quarantäne. Passiert das wirklich, frage ich mich? Oder was ist da gerade im Gang?
Als dann am Vormittag die BILD Zeitung bei mir – in Person des Chefreporters – anfragt … Hä? Die BILD? Ob sie mich interviewen können? Ein Scherz? War es aber nicht. Ein paar mal telefonieren wir. Am Ende kommt ein Text dabei heraus, der typisch BILD ist. Kurz und prägnant auf den Punkt. Aber zutreffend. Richtig gut, denke ich. Respekt. Texten kann ich von ihnen lernen. Die sind gut. Definitiv.
Nachtrag: Das fand ich im Internet 😂👊. Ein Klick auf das Bild, und schon wird es groß. Jemand schrieb mir: »Mein Pastor in der BILD ZEITUNG. Und das ohne einen Skandal. Das ich das noch erlebe!« 🤣🤣.
Die Sonne scheint. Ein Milchcafé im Garten, tut richtig gut. Wehmütig schaue ich meiner Vespa nach. Wie gerne würde ich jetzt eine Runde drehen. Geht nicht. Quarantäne. Für uns beide, lieber roter Flitzer. Telefonate mit Freunden. Kurznachrichten. eMails. Und die vielen, vielen Zugriffe auf die Liste der Online Gottesdienste. Ich bin dankbar, auch jetzt etwas beitragen zu können. Gerade jetzt. Ein paar Ideen schwirren mir durch den Kopf.
Und dann merke ich es. Alter, mach mal Pause. Sage ich mir. Und ich sage das schon die letzten Tage. Immer wieder. Es ist dringend. Eigentlich sollte alles ruhiger laufen. Warum haut das nicht hin? Weil die Ereignisse sich überschlagen. Führungskräfte können sich nicht so einfach rausziehen. Das geht allen Führungskräften so. Deshalb finden wir zu spät die Grenze? Vielleicht! Mein Entschluss steht: Jetzt bremse ich! Wirklich. Morgen ist Pause. Sonst komme ich noch in den Panikroom 2020. Da will ich nicht rein. Versprochen.
Sonntag, 15. März
Langsam werde ich etwas müde. 2 Wochen sind rum. 10 Tage kommen noch. Und die letzten Tage waren anstrengend. Sehr sogar! Warum, frage ich mich? Weil ich auf keine Routinen zurückgreifen kann. Ich habe vieles gemacht, was ich noch nie gemacht habe. Das reizt einen Typen wie mich, als Beweger, Early Adopter. Aber es kostet auch seinen Preis. Das bedenke ich manchmal etwas zu spät. Ich muss besser werden … Alles ist also neu, braucht jetzt neue, oder andere Lösungen. Eigentlich reizt mich das. Sonst. Es inspiriert. Motiviert. Doch: Jetzt nicht. Zumindest zeitweise! Ich bin genervt. Und etwas nerve ich auch Heike. Öh …
Erstaunlich, wie sehr es mir doch hilft, wenn ich mit Routinen arbeiten kann. Ich werde sie in Zukunft besser behandeln müssen. Sie mehr wertschätzen. Pflegen. Zumindest nehme ich mir das vor. Aber jetzt, jetzt ist alles anders. Persönlich. In der Church. Im Umfeld. Der Stadt. Und – so übertrieben es klingt – in unsere Welt. Das Virus hat uns aus dem Takt geworfen. Unsere Routinen greifen gerade nur noch bedingt! Anstrengend. Für eine ganze Gesellschaft.
Akkus: Leer! Mein Gefühl. Und sie laden nicht mehr so schnell auf. Zumindest bei mir. Werde ich alt? Schwächt mich das Virus? Der Verlauf ist bei mir sehr milde. Einschränkungen bemerke ich dennoch.
Doch es ist auch wieder ein besonderer Tag! Seit ich als Pastor arbeite, ist mir nicht nur „meine“ Kirche wichtig! Auch die „Marktbegleiter“. Jeden Sonntag beten wir im Gottesdienst, gleich zu Beginn, auch für die anderen Kirchen der Region. Seit 30 Jahren. Oder schon länger. Jeden Sonntag! Warum schreibe ich das? Weil sich mir gestern eine Möglichkeit eröffnete, die mich sooo begeistert! Diese:
Ich habe aktiv für andere Kirchen geworben! 👊😁 Wo? Auf meinem Leiterblog! Dort habe ich den ganzen Tag Links zu Online-Gottesdiensten zusammengestellt. Mit jedem neue Eintrag, der dazukam, wuchs meine Begeisterung. Und jetzt: Tausendfach ist das Angebot schon aufgerufen. Hundertfach bei Facebook geteilt. Im ganzen Land, quer durch alle Kirchentypen, wird die Liste nun genutzt. Eigentlich kämpfe ich als Leiter gerade mit meiner Ohnmacht. Und dann das! Typisch Gott. Meine Grenze ist wieder einmal seine Möglichkeit. Was für ein Vorrecht! Ich bin dankbar. Und nun? Habe ich es schon gesagt? Jetzt ein paar Tage Ruhe, das wär es! Für mich.
Samstag, 14. März
Drehtag. Auch diesen Freitag werden wohl nicht mehr so schnell vergessen. Morgens erst mal dieser Beitrag in Regional Heute. Wow.
Dann der Dreh mit dem Team des NDR für Hallo Niedersachsen. Dann die schwierige Entscheidung, wie wir als Kirche im Brauhaus mit der Corona-Epidemie umgehen sollen? Ein erster Marathon: Gespräche mit meinen Kollegen der Kirche, Kollegen und Freunden in der Region, Austausch bundesweit (😁) dem Bürgermeister von Gifhorn … Am Ende muss jemand entscheiden! Bin ich nicht krank geschrieben?
Hat man als Führungskraft eine Wahl? Wer entscheidet, ist die Führungskraft, sagt Professor Malik in seinem Führungsklassiker Führen, Leisten, Leben. Zu recht. Ich kann und ich will mich auch nicht drücken. Drücken tut das Thema aber schon. Ich muss ran. Kommunikation ist das A und O in so einer Situation. So entscheidend. Für jede Führungskraft. Ich bin müde. Muss dennoch ran. Ein Teil von mir sagt: Heute wäre ich gerne nicht die Führungskraft. Ich motiviere mich: Jetzt gilt es. Auf! Meine Kollegen sind großartig mit am Start.
Es geht weiter. Texte erstellen. Mails schreiben. Und das nächste Interview vorbereiten. Gemeinsam mit Heike machen wir uns vor dem Computer klar. Ein Skype Interview für Sat1. Eine Stunde werden wir „gegrillt“. Nette Journalistin. Macht Spaß.
Danach sind wir aber echt fertig. Ich könnte mal eine Auszeit gebrauchen. Denke ich. What? Du hast eine Auszeit! Ich sehne mich nach einem ganz normalen Alltag. Warum will man immer das, was gerade nicht geht? Komme mir vor wie eine Mutter, die während der Geburt einen Erholungsurlaub antreten will. Geht jetzt nicht. O.k.
Die Ereignisse überschlagen sich an diesem Freitag. Alles wird gerade anders. Und ich sitze fest. Was gestern galt, ist jetzt überholt. Wir rasend schnell sich alles verändert, während hier, in der geschlossenen Wohnung, die Zeit fast still steht. Die Interviews wühlen mich etwas auf. Fragen: Wie geht es mir? Was fehlt mir? Was lerne ich aus der Zeit? Was will ich in Zukunft anders machen? Gewichtige Fragen. Korrekt. Aber ganz ehrlich. Jetzt brauche ich Ruhe. Meine Erkenntnis: Eine Quarantäne kann anstrengend sein. Ehrlich.
Freitag, 13. März
Heute hätte ich durch sein können! Fast alle aus unserer »Willow-Quarantäne-Gruppe« sind wieder „frei“. Heike und ich nicht. Für „Early Adopters“ ist das schon eigenartig. Richtig blöd fühlt sich das an. Ehrlich gesagt. Ein Gefühl wie: »Alle werden in die nächste Klasse versetzt, du musst alles noch mal wiederholen.« Super. Danke! Kennt das jemand? Ich stelle fest: Ich bin ungern der Letzte! So ungern. Ist das typisch für eine Führungskraft? Keine Ahnung … Aber: Hab ich eine Wahl? Sage mir: Bleib cool Lothar, bleib cool. Und dann wird es spannend. Adrenalin schießt in die Adern:
Am Vormittag verwandelt sich mein Wohnzimmer in ein Pressebüro. Das Telefon steht nicht mehr still. Ein Interview nach dem anderen. Die überregionale Presse ist durch die Meldung in der Aller Zeitung aufmerksam geworden. Ein Gifhorner Rapper bezeichnet mich bei Instagram als »Corona-Star« 🤣🤣🤣. Könnte drauf verzichten. Das Fernsehen möchte mit uns was machen. Zwei Sender fragen an. Die Vorbereitungen nehmen gute Teile des Tages ein. Schöne Auszeit? Von wegen! Das ist ein hektischer Tag. Ein ganz besonderer Tag. Schon wieder. Morgen wird gedreht.
Abgedreht ist eine Anfrage, mit uns eine Home-Story zu machen. Ein Sender bietet eine Stange Geld, wenn wir uns darauf einlassen. Wir zögern keinen Moment. Danke, NEIN! Und doch reflektieren wir die Frage für uns: Warum geben wir offen Auskunft zu unserer Situation? Ein Reporter fragt mich das direkt. Ja warum?
Weil es eine Situation eingetreten ist, die sich kaum jemand vor wenigen Tagen hätte vorstellen können. Vieles, worauf man sich verlassen hat, erweist sich jetzt als nicht tragfähig! Was „platzt“ gerade nicht alles? Veranstaltungen! Wirtschaftsprognosen! Aktienkurse! Reisefreiheit! In Windeseile fegt das Virus durch unser Land. Und stellt dabei unsere Welt auf den Kopf. Es sind irrationale, aber auch begründete Sorgen. Ängste. Bedenken. Viele fragen: Wo finden wir jetzt Hoffnung, Zuversicht und Gelassenheit? Wichtige Fragen. Entscheidende Fragen. Wir wollen unsere Quelle offenlegen. Ermutigen. Und: Davon berichten, wie so eine Viruserkrankung konkret erlebt wird. Als Führungskraft. Als Christ. Als Pastor. Wie erlebe ich das. Jetzt, wo ich positiv bin! Sollte ich das nicht immer sein? So als Pastor!
Ein Facebook Kommentator erinnert mich 🤣:
Gut. Was also begründet meine Ruhe? Und hilft mir gleichzeitig, umsichtig zu handeln? Mein Glaube. Er trägt mich. Gerade auch jetzt. Da ist ein Friede, den ich nicht wirklich erklären kann. In mir. Und offenbar wirkt er auch durch mich. So krass! Mehrfach spiegeln mir das Reporter in den Gesprächen. Ich gebe zu, es überrascht auch mich selbst. Ich erlebe das als ein mega Geschenk. Des Glaubens. Ein Geschenk von Gott. Vor 10 Jahren haben wir das in einer Ausnahmesituation schon einmal ähnlich intensiv erlebt.
Jetzt wieder. Eigentlich sollte mich das nicht überraschen. Wie oft habe ich schon darüber gepredigt? Und doch bin ich überrascht. Berührt. Wie das? Es ist definitiv ein Unterschied, ob man darüber redet, predigt. Oder ob man es (er)lebt. Selbst. Hautnah. So ist es jetzt für uns. Gott sagt:
»Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.« | Josua 1,5
Donnerstag, 12. März
Das „Highlight“ des Tages: Ich bin positiv auf Corona getestet worden. Die Quarantäne ist um 14 Tage bis zum 25.3. verlängert und leichte Symptome (Nase läuft, trockener Husten, etwas Gliederschmerzen …) schränken mich etwas ein. Heike, meine Ehefrau mit der ich seit Ende Februar in häuslicher Quarantäne bin, ist negativ getestet. So einfach überträgt sich das Virus offenbar doch nicht. Die Hygienehinweise erweisen sich als brauchbar.
Wie geht es mir damit? Freunde fragen. Meine Kids. Die lieben Leute der Kirche im Brauhaus wollen es wissen. Und die Presse. Der Landkreis hat die ersten zwei Fälle gemeldet. Sofort habe ich einen Anruf in der Leitung. Noch am Abend ist der Artikel online, heute in der Zeitung. Ich glaub, dass nach den bald 4 Wochen Quarantäne, mich jeder in Gifhorn kennt. 😁. Ich hätte auf den Anlass verzichten können. Doch zurück zur Frage: Wie geht es mir damit?
Pragmatisch: ich kann es nicht ändern, nehme es hin. Vertrauensvoll: Gott meint es gut mit mir. Da ändert auch diese Diagnose nichts. Die Extrarunde ist jetzt nicht mein Traum, aber so mega tragisch ist es auch nicht. Die Welt kann auf mich noch gut 14 Tage verzichten. Emotional: Ich bin geborgen. Ich bin versorgt. Ich habe eine großartige Zukunft. Ganz egal was auf der nächsten Etappe kommt. Aber ich kann es echt gelassen angehen. Nicht vergleichbar, was der Apostel Paulus durchmachen musste. Deshalb: Alles nicht zu wichtig nehmen! Kulinarisch: Die Info kam per Telefon. Danach hat eine halbe Tafel Ritter Sport Joghurt dran glauben müssen. Beruflich: In den nächsten Tagen spreche ich mich mit meinen Kollegen ab, wie wir weiter verfahren. Wer weiß, welche Pläne wir als Kirche auf Eis zu legen haben, weil die Behörden Rahmenbedingungen erlassen, denen wir folgen sollen und wollen. Jeder Tag ist ein neues Abenteuer. Gottes Zusagen bleiben unverbrüchlich.
Ein lieber Bekannter schrieb mir: »Mögen Deine Leute nun zeigen, dass sie auch die zweite Meile mitgehen :-)« Stimmt, das ist jetzt echt nötig. Heike fragte in die Gruppe derer, die uns unterstützen, ob sie „on board“ bleiben. Die Antwort kam spontan. Ein Bild sagt mehr wie tausend Worte. Wir sagen: Tausend Dank!
Ich werde wohl noch ein paar Tagebucheinträge mehr zu schreiben haben … 🤔
Mittwoch, 11. März
Bücher sind wunderbare Wegbegleiter! Besonders liebe ich die Bücher von Tomas Sjödin. Diese zwei Titel haben es mir angetan: »Es gibt so viel, was man nicht muss.« und »Warum Ruhe unsere Rettung ist.« Warum? Wunderbare Sprache! Gedanken, die wie Balsam für meine Seele sind: Sie sind ehrlich. Offen. Klug. Geistlich. Sie tun mir gut. Immer. Ich habe sie schon ein paar mal gelesen. Kann sie nur empfehlen. Und dann überrascht mich der SCM Verlag in der Post: Zwei Rezensionsexemplare. Und ratet mal!
Mit dabei: Der neue Sjödin. »Beginne jeden Tag wie ein neues Leben« – Von der Gewissheit, dass es hell wird. So der Untertitel. Wieder ein Buch voller wunderbarer Kolumnen. Alle kurz und knapp auf den Punkt. Sjödin bespricht darin drei großen Themen: Licht, Hoffnung und Möglichkeiten. Schon die Einführung packt mich. Jeden Morgen wird eine Kolumne zur Tagesration für meinen Geist gehören. So habe ich es bei seinen anderen Büchern auch gehalten. Ich lebe bei der Vorstellung auf. Vorfreude.
Der TÜV Termin mit meinen Wegbegleitern am Morgen war gut. Tut gut. Ist gut. Am Nachmittag will uns das Gesundheitsamt sehen. Und danach widmen sich Heike und ich dem Spiel, das uns seit der Hochzeitsreise 1985 intensiv begleitet: Kniffel. Ich spiele mit meiner special Version in Grün-weiß! Wenigsten gewinnt grün hier … 🤣
Ein Trostpflaster gehört auch zu diesem grauen Tag. Hier:
Eigentlich ein ganz unspektakulärer Tag. Wie fast alle in meinem Leben. Schlichter Alltag. Auf diese Tage kommt es an. Immer. Gefordert ist: „Treue im Kleinen“ Beständig das tun, was langfristig den Unterschied in mir bewirkt. Damit der Unterschied durch mich wirkt: Meine Bibel lesen. Beten. Gute Haltungen trotz doofer Umstände leben. Geduldig sein. Mit mir. Mit Heike. Mit der Situation. Müll rausbringen. Post beantworten. … Nichts besonderes. Doch absolut entscheidend!
Dennoch ein Tag, der keine Fotoqualität bietet. Nicht für Instagram oder Facebook geeignet. Ich denke nach: Mir fallen keine klugen Sätze ein, die ich twittern könnte. Oder Einsichten, die andere zu einem „ah, oh oder wow“ bringen. Die „Gold Nuggets“ sind. Es entsteht auch kein Fotomotiv von mir, das sich – mit einem tollen Zitat von mir – für Instagram eignet. Mein junger Kollege aus der Kirche im Brauhaus schreibt mir. Er denkt an uns. Betet für uns. Nicht nur er. Auch die anderen im Team. Kann man nicht fotografieren. Ist aber dennoch mega cool … Made my Day!

Dienstag, 10. März Seit bald 40 Jahren treffe ich mich mit zwei Männern zu unserem TÜV. Hier mehr zu der Idee. Jahrzehnte machen wir das schon. Ist eines der großen Geschenke meines Lebens. Diese Typen. Unsere Verbindlichkeit zueinander. Klasse. Einmal ist es ausgefallen. Ich war total krank. Durfte das Bett nicht verlassen. Jetzt klappt es wieder nicht. Gründe bekannt. O.k. 2x in fast 40 Jahren. Das geht durch. Aber wir finden einen Weg. TÜV-Light, sozusagen. Via Skype. Wir treffen uns 2 Stunden online. Oder mehr. Jeden Tag. Bis Mittwoch. Eine echte Alternative? Für jetzt. Wenigstens! Bin motiviert. Dann:
idea berichtet über unsere Willow-Quarantäne-Gruppe. Auf der Homepage und in idea Spektrum. Craig Groeschel gehört auch zur Gruppe. Ist auch in Quarantäne. In den USA. Er kommt im Beitrag auch zu Wort. Berichtet: Er hat die Zeit genutzt! Die Predigten bis Ende Mai sind fertig vorbereitet. 🤷😳 What? Bin frustriert. Frage mich: Warum gelingt mir das nicht? Andere sind so produktiv, erfolgreich und haben die Dinge im Griff. Sehen immer gut aus. Sind immer gut drauf. Immer schlank. Energiegeladen. Positiv. Motiviert. Glaubensvoll. … Und ich? Predigten fertig? Kein Stück! Muss das erst mal verdauen.
Und dann ist mir zu allem Überfluss noch schlecht. Vom Essen. Irgendwie habe ich was nicht vertragen. Liege stundenlang auf dem Sofa. Schlafe fest. Wache auf. Immer noch übel. So geht das den ganzen Nachmittag. Am Abend ist es besser. Keine Predigt vorbereitet. Man …
Jens Spahn, der Gesundheitsminister, äußert sich zu Corona. Bei der Bundespressekonferenz. Man muss eher mit Monaten, als mit Wochen rechnen. Es kommt noch dicker. Frage mich, was da noch kommt. Entscheide mich neu. Vertrauen!
Die Dinge werden nicht unbedingt so wie bisher weiterlaufen! Was ändert sich? Was ändert sich für uns als Kirche? Was wird aus der Situation entstehen, wofür wir später voll dankbar sein werden? Der Visionär in mir wird wach. Endlich.
Montag, 9. März
Was für ein eigenartiges Gefühl! Es ist Sonntag, und ich darf nicht in den Gottesdienst. War gespannt, wie sich das anfühlt. Könnte ja auch so sein: Es ist Sonntag und ich muss nicht in den Gottesdienst. Wäre für einen Pastor durchaus ein Gefühl, dass nicht nur weit weg liegt. Der Beruf ist ja nicht nur ein Zuckerschlecken … Aber genau dieses Gefühl stellt sich so nicht ein.
Ich suche nach einem Online-Gottesdienst und lande bei meinen Bekannten in Salzburg. Katholisch. Ist ja sonst nicht so meine Fraktion. Aber für mich gilt: »Egal wie die Wolle gefärbt ist, Hauptsache Schaf!« Also, ab zur Home Mission Base – Online. Es ist richtig gut. Nicht alles mein Style, meine Tradition, mein Verständnis. Muss es aber auch nicht. Entscheide ich über die Verpackung? Oder zählt der konkrete Inhalt? Inhalt! Lernen kann ich immer. Und von allen. Ohne alles gut, richtig … zu finden. So geht es auch Leuten mit mir, mit uns im Brauhaus.
Die Überraschung: Johannes Hartl ist der Gastsprecher. Letzte Wochen saßen wir noch zusammen. Johannes ist bescheiden, klug und umsichtig. Ich bin gespannt. Freue mich. Er predigt großartig! Thema: Freiheit & Verantwortung. Heike klinkt sich mit ein. Jesus gebraucht diesen Input, um uns anzusprechen. Es tut so gut, wenn Gottes Wort das Herz berührt. Seit 1979 ist das unverzichtbar für mich. Ich lebe davon. Heute wieder. Wow.
Die Kirche im Brauhaus hat uns an diesem Sonntag auch nicht vergessen. Eine Karte liegt im Postkasten. Wir sind sehr berührt. Wie wenig es doch braucht, um (m)ein Herz zu berühren?! Dass jemand an einen denkt. Sich einen Moment für einen nimmt. Eine Zeile schreibt. Einen Gruß. Das berührt. Mich. Uns. Ein Weg zum Herzen. Sicher. Es muss von Herzen kommen. Szenenwechsel:
Ein treuer Beter für uns schickt uns ein Video. Es treibt uns die Tränen in die Augen. Vor Lachen. Humor ist nach wie vor so wichtig. Für uns. In dieser Situation. Hier. Ein Schweizer. Er hat es drauf. Schau mal rein (HINWEIS: UNTERTITEL BEI YOU TUBE AKTIVIEREN! So versteht man mehr 👊😂).
Zurück zum Punkt des Sonntags: Nicht allein sein. Auch als Christ nicht. Das ist so mega wichtig. Es ist ein Geschenk! Eine Gnade, wie es der deutsche Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer es nennt.
»Es wird leicht vergessen, daß die Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann, daß es nur eine kurze Zeit sein mag, die uns noch von der tiefsten Einsamkeit trennt. Darum, wer bis zur Stunde ein gemeinsames christliches Leben mit andern Christen führen darf, der preise Gottes Gnade aus tiefstem Herzen, der danke Gott auf Knieen und erkenne: es ist Gnade, nichts als Gnade, daß wir heute noch in der Gemeinschaft christlicher Brüder leben dürfen.«
Bonhoeffer, D., 2015. Gemeinsames Leben; Das Gebetbuch der Bibel Sonderausgabe. G. L. Müller & A. Schönherr, hrsg., Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
Sonntag, 8. März
Wochenende. O.k., fühlt sich nicht so an. Gestern habe ich für einen Moment irgendwie gar nicht mehr gewusst, was für ein Wochentag ist. Komisch, das passiert mir sonst nie. Ich denke an Robinson Crusoe.
Hatte mir eine ganze Liste von Tätigkeiten zusammengestellt. Bin mit Energie gestartet. Echt! Auf halben Wege ist dann „mein Motor abgesoffen“. Eigenartig, denke ich. Kenn ich gar nicht von mir. Was ist nur los? Heike geht es ähnlich. Ich reiß mich am Riemen. Denke daran, dass das Bergfest hinter mir liegt. Bald ist es geschafft. Selbstleitung Alter, Selbstleitung! Wie oft habe ich das jungen Leitern gesagt. Und es stimmt. 100 %. Doch.
Ich bin gefrustet. Warum kann ich nicht so effektiv und energievoll durchzuziehen wie sonst? Ich hab‘ doch nichts. Nur das „bisschen nicht raus können …“ Und dann trifft mich der Gedanke: Wie geht es Leuten, denen sozusagen „die Hände länger, oder für immer gebunden sind“? Leute, die Tag für Tag in meiner Situation stecken. Vielleicht haben sie keine räumlichen Grenzen, aber … Ich denke an Menschen, die auf Arbeitssuche sind. Menschen mit chronischen Krankheiten. Oder Leute, die durch irgendwelche Umstände eingeschränkt sind. Ihnen ist – mindestens zeitweise – auch der „Stecker gezogen“. Habe ich das als Beweger – also als eine Führungskraft – ausreichend auf dem Schirm?
Nicht nur Frust, auch etwas Neid steigt zu allem Übel auch noch auf. He? Auf wen? Auf Leute, die gerade jetzt einfach tun und lassen können was sie wollen. Wenn alles normal läuft, wünscht man sich das Besondere! Wenn aber alles anders läuft, wünscht man sich das Normale! Zum Beispiel in die Stadt gehen, einen Kaffee trinken, Zeitung lesen, Leute beobachten … Nicht, dass ich das jetzt machen wollte, wenn ich „Auslauf“ hätte. Aber es einfach nur machen können. Die Option, die schlichte Möglichkeit, würde mir völlig ausreichen. Doch die gibt es gerade nicht. Absurd, denke ich. Wie absurd.
Wenn alles normal läuft, wünscht man sich das Besondere! Wenn aber alles anders läuft, wünscht man sich das Normale!
Dann schießt mir die Erinnerung an meinen Freund Andreas durch den Kopf. 10 Tage vor seinem Tod telefonieren wir noch mal eine Stunde. Er ist von Metastasen überall befallen. Seine Uhr läuft ab. Mit 40. Crazy. Er: »Hey Lothar, ich hätte so gerne noch einmal die Chance eine Kirche zu bauen, die ihr Umfeld beschenkt, einen Unterschied macht und die guten Nachrichten von Jesus gut weitergibt.« Wenn es eng wird, fokussiert man auf die Kernpunkte seiner Lebensbestimmung. Nochmal tun, was einen Unterschied macht. Etwas sinnvolles. Etwas, was das Leben in Menschen weckt. Und gut ist. Ich verstehe Andreas besser. Heute wieder ein Stück mehr.
Und dann steigt Dankbarkeit doch noch in mir auf. Dankbar, dass ich ein mega Privileg im Leben habe. Dass Gott es immer gut mit mir gemeint hat. Und meint. Ich verrückt beschenkt bin. Und deshalb gerade auf sehr hohem Niveau jammere. Ich aufhören sollte. Sofort. Dankbarkeit ist der Kompass, der mir jetzt hilft mich auszurichten. Die richtige Spur zu erwischen. Ich treffe die notwendigen Entscheidungen. Direkt. Und schon wird es wieder heller. In mir. Um mich.
Muss echt aufpassen, welche Filmrolle im Projektor meines Kopfkinos eingelegt wird. Es ist definitiv mein Job, das klar zu halten. In der Quarantäne ist das noch wichtiger. Römer 12,1 fällt mir ein. Noch ein Gebet. Ein gutes Gespräch per Facetime. Dann machen Heike und ich uns ein Corona 😉👊 auf und schnaufen durch. Der Tag ist geschafft. Danke Gott, dass Tage nicht unbegrenzt sind. Besonders Tage wie dieser.
Samstag, 7. März
Das war wieder so ein ganz besonderer Tag. Wenn die Quarantäne nicht wäre, hätte es diesen Tagesverlauf so nicht gegeben. Ich vermisse ja meine Routinen, die gab es wieder nicht. Aber das Geschenk dieses Tages wird mich lange begleiten. Beschenkt durch viele liebe Nachrichten, Gesten und Hilfen. Beschenkt durch meine Enkel, die mir per Facetime „Hallo Opa“ mit einem Strahlen zurufen.
»Ein Lächeln ist der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen!«
Gegen Mittag rief dann unverhofft die Chefredakteurin der regionalen Zeitungen aus Wolfsburg, Peine und Gifhorn bei mir an. Die Chefin persönlich. Eine total nette Frau! Was habe ich erwartet? Ihr Gedanke: Der Beitrag, der vor 2 Tagen zu unserer Quarantäne erschien, geht steil. Für das Wochenende würden sie gerne ein Update bringen. Nächste Woche noch einen Text zum Abschluss. Ich hoffe, dass die Zeit dann abgeschlossen ist! Denke ich mir. Aus dem Telefongespräch, das viel Spaß macht, wird ein schöner Artikel. Am frühen Abend geht er online. Heute ist er in den Printmedien.
Begegnungen. »Alles wirkliche Leben ist Begegnung«. So hat es Martin Buber gesagt. Und Begegnungen sind die wirklichen Schätze des Lebens. Auf der einen Seite ist es genau das, was ich gerade sehr vermisse. Begegnungen. Auf der anderen Seite kommt es nun zu »Begegnungen«, die sonst nie entstanden werden. Digital. Mittelbar. Kleine und große Begegnungen. Wertschätzend und konstruktiv. Das tut so gut.
Die Chefredakteurin schreibt – wie gesagt – einen schönen Text. Gemeinsam, im Gespräch und mit Rücksprachen, ist er geworden. Etwas ist dabei entstanden, was verbindet und hoffentlich vielen Menschen in unserer Region Mut macht. Ich bin dankbar. Das wäre nie gekommen, ohne diese Ohnmacht der Quarantäne. Und ohne diese „Begegnung“.
Der Moment der Ohnmacht. Ich kämpfe mit ihm. Mit der Bindung an die Wohnung. Mit der Begrenzung des Raums. Den wenigen Begegnungen. Ich muss aber auch zugeben: Das, was eigentlich für Enge und Unvermögen steht, wird jetzt in Wahrheit zur Voraussetzung für diesen „Segen“. Ehrlich: Das hätte ich jetzt nicht erwartet! Ein Geheimnis im Leben, das man erst in Situationen wie diesen entdeckt? Angelegt vom Schöpfer?
Und dann erreichen mich Nachrichten, die mich traurig machen. Ich kann nichts daran ändern. Wieder diese Ohnmacht. Panik erfasst viele Leute im Blick auf mögliche Risiken. Jemand schickt mir ein humorvolles Bild. Panik. Nee, das ist nicht mein Ding. Der Glaube, der vor über 40 Jahren mir geschenkt wurde, hat Wege. Immer. Ganz gleich was kommt. Jesus kennt alles. ER kennt sich aus. Immer. Und überall. Das trägt! Auch jetzt.
Nochmal beschenkt! Am Abend klingelt das Telefon. „Schaut mal auf der Terrasse. Ich habe euch etwas hingestellt.“ Selbst gebacken. Mohnkuchen. Ich liebe Mohnkuchen. Also ganz wenig Kuchen. Ganz viel Mohn. Genau mein Ding.
Meine einzige Sorge: Wie soll ich diese Kalorien wieder loswerden? Ich bin in Quarantäne! Und dann kommt die Nachfrage von einem Freund aus den USA: »You feeling good? Is your health ok?« Das tut gut. Auch das tut gut.
Freitag, 6. März
Routine, ich wusste gar nicht, wie sehr ich Routinen nutze. Brauche. Liebe?! Normalerweise liebe ich das NEUE! Abwechslung nutze, brauche, liebe ich! Aber Routine? Man bescheinigt mir, dass ich zu den »Early Adoptern« gehöre. Gallups StrengthsFinder attestiert mir Vorstellungskraft als eine der großen Stärken, mit denen mich der Schöpfer an den Start geschickt hat.
Und jetzt, nach 7 Tagen sehne ich mich nach meiner bewährten Routine zurück? Dass mir einmal diese Grundstruktur, diese Routine meines Lebens – mit den vielen schönen Abwechslungen, die dazugehören – fehlen wird! Krass, muss ich denken. Es gibt eine Grundstruktur, die sich bewährt hat, um meinen komplexen Alltag zu meistern. Die ist jetzt kräftig durcheinander geworfen.
Ich vermisse es zu wandern, ins Büro zu fahren, Menschen in echten Begegnungen, – nicht nur digital – zu treffen, die Hand zu schütteln, zu umarmen, ihre Mimik und Gestik aufzunehmen. Diese Unmittelbarkeit fehlt mir. Obwohl ich kein »huggy-type« bin. Ich muss nicht ständig Leute, Dinge … berühren, anfassen.
Doch so distanziert, wie ich mich selbst beschreiben würde, bin ich offenbar doch nicht. Oder ist jetzt mein Grundwasserspiegel im emotionalen Tank nach 7 Tagen erzwungene Distanz schon so abgesackt? Free Hugs! Das wärs jetzt. Nicht einmal meine Frau darf ich in den Arm nehmen. Es nervt. Und es schlägt auf das Gemüt.
Wie geht es Leuten, die über Jahre keine Berührung erleben. Studien an Babys und Kleinkindern haben gezeigt, wie verheerende die Folgen sind. Was ist aber mit Menschen, die allein sind? Keinen haben. Und auch keine Aussicht auf fixe Verbesserung besteht. Wie viele Berührungen hat man eigentlich so an einem Tag? Wie viele braucht man am Tag?
Ich motiviere mich mit der Perspektive, dass die Hälfte geschafft ist. Doch: Aufregend war der Tag dann auch: Richtig groß vom Titel der Tageszeitung zu lächeln – wann hab ich dass in den letzten 5 Jahrzehnten mal gehabt? Nie!
Nachtrag: Ein Kollege gab mir diesen Tipp zur Rolle von Berührungen in unserem Leben, die in dieser Podcastepisode besprochen werden. Sehr aufschlussreich. Nice …
Donnerstag, 5. März
Wie geht es Ihnen, Herr Krauss! Das ist schon eine Überraschung, als am Vormittag ein Anruf aus der Redaktion der Aller Zeitung in Gifhorn kommt. Ob sie über unser Erleben in der Quarantäne berichten könnten. Will ich das? Macht das Sinn? Ich bin mir zunächst nicht im Klaren darüber.
Mit ein paar Freunden und Profis reflektiere ich die Anfrage. Die Leitung der Kirche im Brauhaus beziehe ich auch mit ein. Mir wird klar: ich kann das nicht autonom entscheiden. Es hat ja Auswirkungen, so ein Interview. In unserer Kleinstadt. Wir sind nicht unbekannt. Tragen deshalb Verantwortung bei einem Thema, das mehr von Angst, denn von Fakten bestimmt wird. Wir wägen ab. Deshalb. Schließlich stimmen Heike und ich zu.
Das Interview ist total nett und witzig. Wir lachen viel. Der Redakteur ist klasse. Und ja, unsere missliche Lage kann für andere etwas Gutes bringen. Der Blick hinter die Kulisse entspannt, klärt und zeigt Wege auf, wie das gelingen kann. So eine Quarantäne. Die Reflexion, zu der uns das Gespräch anregt, ist gut. Tut gut. Wir sind danach aufgeräumter. Uns ist einmal mehr klar, welches Vorrecht wir haben. Wie beschenkt wir sind. Von Gott. Von Menschen. Auch im Moment der Isolation. Der Glaube trägt. Schon in der heftigen Krebsphase ist das unsere Erfahrung. Wir werden getragen!
Getragen. Auch wenn wir durchhängen, lässt Gott uns nicht hängen! Hängt uns nicht ab. Baut nicht auf unsere Leistung: wenn – dann! Und auch Menschen bleiben dran. Die Leute aus dem Brauhaus, die Freunde im ganzen Land. Unsere Familie sowieso. Gebet wird für uns zu einem Fenster, durch das Frischluft in unsere Isolation weht. Gottes Wort ist der Kompass. Es hilft uns Richtung zu halten, auch wenn unsere Gedanken verrückt spielen. Kommt vor. Ist sicher normal. Gleichzeitig. Danke Gott. Danke liebe Wegbegleiter.
Mittwoch, 4. März
Es ist anstrengend! Diese Zeit der Quarantäne. 5 Tage sind es jetzt. Warum eigentlich? Viele wünschen uns, dass wir die Zeit genießen, gute Bücher lesen, Zeit zu zweit haben, Zeit mit Gott nehmen, wie das sonst im Alltag nicht geht. Gute Wünsche. Definitiv. Aber: es klappt nicht so. Vielleicht: Noch nicht?
Es ist anstrengend! Das haben wir uns nicht vorstellen können. Bisher zumindest. Jemand sagte einmal: »Erfahrung ist das was man hat, nachdem man es gebraucht hätte.« 😁 Offenbar besteht ein profunder Unterschied, ob man freiwillig, mental vorbereitet und bewusst gewählt in eine Auszeit geht. Oder ob man dazu verdonnert wird. Mit einem Damoklesschwert im Raum.
Die Seele weiß es. Irgendwie sogar mehr, als der Verstand es zugibt. Man kann alles versachlichen. Mit Fakten relativieren. Die Seele funkt dennoch auf weiteren Frequenzen. Nicht nur auf der rationalen. Zuweilen nerven gutgemeinte Tipps von Leuten, die das nicht mitgemacht haben. Wie oft habe ich genervt? Von Berufs wegen her bin ich ein Versteher. Oder doch nicht? Ich möchte die Zeit also anders gestalten, erlebe mich aber gehemmt. Was ist los mit mir?
Ablenkung und Struktur helfen. Ich habe ja gute Sachanteile. Also suche ich mir Aufgaben, biete mich an. Die Jahresmitgliederversammlung der Kirche im Brauhaus kommt. Meine ehren- und hauptamtlichen Kollegen haben etliche Rollen von mir übernommen. Ich arbeite ihnen jetzt zu. Rollentausch zu sonst. Ich liebe das. Hero Maker, ist mein Stichwort. Ich liebe meine Arbeit, die mehr Berufung als Beruf ist. Mein Arzt fragt, ob ich nicht krankgeschrieben werden möchte.
Bin ich krank? Die Behörden haben mich in eine Quarantäne geschickt. Das heißt doch nicht, dass ich nicht was tun kann, oder? ODER? Gestern habe ich allein etwa 6 Stunden telefoniert und Besprechungen per Facetime durchgeführt. Die Mails, Orga-Dinge, Planungen, Zuarbeiten kamen noch „obendrauf“. Ich bin nachdenklich …
Am Abend war ich dann mega erschöpft. Ich habe mir zu viel zugemutet. Meine Seele macht da nicht mit. Meine Frau ist nicht begeistert, um es gelinde zu sagen. »Es ist eben doch eine Ausnahmesituation…«, versuche ich mich rauszureden. »Fakten sind Freunde.« Es ist irgendwie alles anders, als ich es möchte. Anders, als es ist. Kleinlaut gebe ich das zu.
Dienstag, 3. März
Muss ich mir Sorgen machen? Eigentlich bin ich ganz entspannt. Doch die anstehende Kontaktaufnahme mit dem Gesundheitsamt beschleunigt meinen Puls. Wieso eigentlich? Mir geht es gut, meiner Frau auch. Ist doch alles Routine, was jetzt kommt. Und doch. Der Puls geht hoch.
Das Gespräch verläuft klasse. Das ist mal ein Behördenkontakt. So unterstützend, ermutigend, uns zugewandt. Am Nachmittag ruft eine Mitarbeiterin vom Gesundheitsamt in Karlsruhe bei uns an. Sie möchte wissen, wie es uns geht und ob alles für uns gut gelaufen ist mit der Fahrt nach Gifhorn und der Kontaktaufnahme hier.
Muss man sich Sorgen machen? Freunde schreiben mir eMails, dass ihre Gottesdienste am Sonntag schlechter, manche deutlich schlechter besucht wurden. Sehr schmunzeln musste ich über die Info, dass ein Heilungsgottesdienst aus Besorgnis über das Virus abgesagt wurde.
Hä, denke ich. Ein Krankenhaus schließt, aus Sorge vor Krankheit? Gerade meine Fraktion in der Weite der christlichen Kirche, die Gott Heilung, Schutz und Hilfe besonders zutraut, reagiert. Hm. Darüber muss ich weiter nachdenken.
Ich schaue mir die Sondersendung von Hart aber Fair zum Coronavirus an. Ein paar Fragen, die mir den ganzen Tag durch den Kopf schossen, werden behandelt. Sind die Antworten tragfähig? Soll, kann ich vertrauen? Krass, wie viel Vertrauen, Glauben auch in der Wissenschaft nötig ist. Sichere Erkenntnisse von GESTERN, sind HEUTE schon Geschichte. Worauf sich nun verlassen?
Und dann versorgen und beschenken uns Leute der Kirche im Brauhaus. Großartig. Ganz viele sind bereit, uns zu unterstützen, für uns da zu sein. Jemand schreibt mir:
»Wir sind im Gebet bei euch! Ist es nicht der Hammer, dass die Unterstützung, die ihr jetzt erfahrt, nicht nur im Vorfeld leere Versprechungen waren, sondern jetzt wirklich Realität? Gott ist unser genialer Versorger und es ist der Hammer, mit welcher Großzügigkeit er uns hilft und versorgt. Jetzt empfangen wir (als eure Freunde) nicht nur Segen, sondern haben auch erneut die Chance ein Segen für euch zu sein. Gott ist gut!«
Das berührt uns! Oh man … Wann habe ich zum letzten Mal den Kicker gelesen. Klasse. Und die Ironie mit „Corona Extra“ ist genau mein Style. Köstliche. Im doppelten Sinn.
Zwei Bilder, die wir von Freunden bekommen, muss ich auch noch teilen. Das Bild des Adlers berührt uns sehr. Unbedingt umdrehen!!! Und der Hamster: Wir haben herzhaft gelacht. Humor ist so wichtig.
Montag, 2. März
Seit Freitag sind wir in Quarantäne. Ich werde nur von mir schreiben, manchmal von Heike. Aber nur, wenn es abgestimmt ist. Von den anderen 18 Leuten, die ebenfalls in Quarantäne sind, erfahrt ihr hier nichts.
Wie das alles kam, ist hier beschrieben. Und dann saßen wir in dem Isolierraum. Oh man. Stunde um Stunde. Die Anspannung stieg. Endlich gab es Informationen. Infos, das ist für Leiter wichtig. Die Umstände sind doof, aber wenn man versteht, was gerade ist, und wie es weitergeht, kann man damit eher umgehen.
Man erlebt in dieser Situation zuerst einmal Ohnmacht. Die Freiheit ist einem genommen. Pläne von einem Moment auf den anderen gecancelt. Leiter sind Beweger, Gestalter. Und jetzt? Jetzt muss ich das gestalten, was möglich ist. Mich selbst gut leiten, meine Gefühle und Gedanken reflektieren.
Freunde beglückwünschen einen zu 2 Wochen „Sonderurlaub“. Genießt es. Oh man denke ich, Du hast keine Ahnung. Hatte ich vor der Situation aber auch nicht. Urlaub. Entspannen. Genießen. Vergiss es. Dennoch: Mein Vorteil – Heike und ich erleben die Zeit gemeinsam. Wir können in die eigene Wohnung, mit dem eigenen Auto zurück nach Gifhorn.
Da sind wir jetzt. Heute zum Gesundheitsamt. Viel Fachinformation schon zum Thema aufgenommen. Macht es aber auch nicht besser. Kopfkino. Wie gesagt: Leiter. Information. Das passt! Und nun? Unsicherheit! Was wird kommen? Die Nacht war nicht so mega, gleichzeitig erfüllt mich große Zuversicht. Psalm 91 und Römer 8,28-39 begleiten mich.
Viele Freunde auch. Habe meinen persönlichen Facebook Account wieder aktiviert. Facebook? Ja. Ich bin ja auf Instagram auch. Gleicher Anbieter. Ich mache mir nichts vor. International sind die Freunde eher auf FB, denn auf Insta.
Viel Ermutigung kommt. Können wir gut gebrauchen.
Liebes Ehepaar Krauss,
Leiter mögen keine Zeiten, in denen sie scheinbar blockiert sind. Aber Gott mag sie, dann in solchen Zeiten sind wir viel bereiter ihm zuzuhören, ihn neu und tiefer zu entdecken.
Das habe ich selbst erlebt. Das macht diese Zeiten nicht leichter, aber wertvoller.
In diesem Sinne eine gute Zeit.
Es grüßt Sie herzlich Elke König
(Wir waren auch beim Kongress in Karlsruhe 🙂
Ich wünsche euch Gelassenheit! Alles hat seine Zeit. Danke für den offenen Einblick in dein Herz.
Danke für den ehrlichen Bericht. Gott segne Euch und möge Euch diese Zeit gut tun und bereichern! 🙏🙌
Liebe Heike, lieber Lothar;
danke für diesen guten Einblick – geistlich und menschlich!
Ich wünsche Euch, dass Euch diese Zeit – das Herausgenommen-Sein und das Aushalten-Müssen, Leichte und das Schwierige – insgesamt ein Segen wird. … und dass Ihr gesund bleibt!
Euer Johannes –
der auch grade aus dem Rennen genommen ist (allerdings nur eine fiebrige Erkältung), obwohl meine Frau am Sa. beim Martin-Luther-King-Musical mitsingt und am Sonntag auch bei uns Jahres-Mitgliederversammlung ist… Be blessed!
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Liebe Heike, lieber Lothar,
danke für die Berichte darüber, wie es einem gehen kann in der Quarantäne. Ich wünsche euch alles Gute und natürlich für dich, Lothar, eine schnelle und komplette Genesung.
Hier ein Gedicht, das meine Schwester gepostet hat (nicht von ihr) und das Ideen gibt für unser Denken über diese Pandemie.
Pandemic
What if you thought of it
as the Jews consider the Sabbath—
the most sacred of times?
Cease from travel.
Cease from buying and selling.
Give up, just for now,
on trying to make the world
different than it is.
Sing. Pray. Touch only those
to whom you commit your life.
Center down.
And when your body has become still,
reach out with your heart.
Know that we are connected
in ways that are terrifying and beautiful.
(You could hardly deny it now.)
Know that our lives
are in one another’s hands.
(Surely, that has come clear.)
Do not reach out your hands.
Reach out your heart.
Reach out your words.
Reach out all the tendrils
of compassion that move, invisibly,
where we cannot touch.
Promise this world your love–
for better or for worse,
in sickness and in health,
so long as we all shall live.
~Lynn Ungar