»CORONA NOTIZEN« von Lothar Krauss

Das Tagebuch aus der Quarantäne hat richtig viel Resonanz gefunden. Gestern kam der letzte Eintrag. Und ein „Aufschrei“ 😁! Weitermachen. Wir wollen wissen, wie es jetzt nach der Quarantäne weitergeht und das Leben als geheilter Corona-Patient, der nun immun ist, aussieht. Prognosen zufolge ist das ein Umstand, der noch vor sehr vielen Leuten im Lande liegt.

Also, ein paar Tage füge ich noch mal an, nun mit dieser Überschrift. Dieser Eintrag bekommt nun kurze Ergänzungen und wird für die Zeit, in der ich an ihm weiter schreibe, auf dem Blog oben gehalten.


30. März
Heute enden meine Aufzeichnungen, zur Quarantäne und dem Weg in die „Freiheit“. Ein Monat, den es so noch nie gab, neigt sich seinem Ende. Ich hoffe, dass die Schilderungen im Tagebuch und die Notizen aus den ersten Tagen nach der Quarantäne einen hilfreichen Einblick gaben. Und hier und da helfen, wenn Umstände eintreten, die gerade noch „undenkbar“ waren. 

Jetzt bin ich wieder im Alltag angekommen. Der natürlich kein Alltag ist. Sehr cool, dass der Blog in dieser Zeit einen guten Dienst leisten konnte. Und auch meine Betroffenheit von COVID-19 hat hier und da Türen geöffnet. Türen, um von der Hoffnung, die Jesus schenkt, zu erzählen. Und einen echten Einblick zu geben, wie es so geht. Wenn man wochenlang irgendwie abgeschnitten ist. Vom Leben.

Mein Grundgefühl am Ende der Zeit? Dankbarkeit! Gott hat mich, uns, getragen. Durchgetragen. Ich kann nicht tiefer fallen, als in seine Hände. Wertvoll. Und Nachdenklichkeit! Wir sind bewahrt geblieben. Andere, die sich auch in Gottes Hände begeben, Psalm 23 und 91 gebetet haben, mussten mehr kämpfen. Einige haben noch einen ganz anderen Verlauf!

Was kommt in den nächsten Wochen und Monaten auf uns zu? Gesundheitlich? Beruflich? Existentiell? Viele werden sich die Frage stellen, was jetzt noch trägt? Wenn so vieles zerrinnt! Worauf bislang das Vertrauen aufbaute! Ich denke an viele Menschen: Freunde im Lande, vor Ort und in der Kirche im Brauhaus! Was kommt auf uns alles noch zu? Mein Trost:

»Wenn mein Geist in Ängsten ist,
so kennst du doch meinen Pfad.« | Psalm 142,4

Und wenn ER ihn kennt. Meinen Weg. Und sieht! Um alles weiß! Dann kann ich vertrauen. Er ist und bleibt mir zugewandt. Jetzt. Für immer. Das hat er versprochen. Römer 8,32 ermutigt mich. Sehr.

Den Leiterblog schalte ich nun wieder auf Normalmodus. Montags und oft auch Donnerstags kommt ein Post. Wenn nichts außergewöhnliches passiert. Bis dann …


29. März
Und nun Online. Church Online. Gottesdienste Online. Predigt online. Audio ist schon lange normal. Nun Video. Das habe ich schon mal gemacht. Liegt aber länger zurück: 32 Jahre. Altensteig, Nordschwarzwald. JMS. Meine erste Stelle nach dem Studium. Jugendpastor. Welche Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen waren in der Zeit nötig? In Altensteig: auch Zugang zu den Medien. Das Studium hatte uns darauf kaum vorbereitet. Ganz praktisch gesehen.

File0621Aber mehr praktische Kenntnisse. Es ging. Irgendwie fanden sich die Talente. Fähigkeiten. Um ein Jugendzentrum zu bauen. Handwerk. Das kannten viele der jungen Leute. Und das Fest zur Ehre Gottes. Eine große Veranstaltung. Sie wuchs. Von 70 auf 700 junge Leute. Ein Abenteuer. Wir konnten mitwachsen. Die Holy Spirit Night erwuchs aus diesem FZEG. Bis heute wirkt es nach. In Altensteig. Der Region. Und weiter.

Und heute? Was muss ein Pastor und Leiter in der Kirche heute können? Ich will „nicht klagen“ (tue es aber gerade 😬 – nee …, ich beschreibe). Auch heute bereitet das Studium nur bedingt vor. In vielen Berufen. Und nun: TV tauglich werden!

Wie gesagt. Nicht ganz neu für mich: 1986. Erste Berührung mit dem Fernsehen: Medienstart in Altensteig. Begegnung mit Gerhard Klemm. Medienpionier. Mein erstes TV Interview. Für die Privaten. Besuche einen Kurs für Hörfunkjournalisten. Beim ERF. Lerne dort Rainer Wälde kennen. Eine Freundschaft fürs Leben! Fernstudium Journalistik. Nebenberuflich. Nebenbei: Junge Ehe. Heike ist genervt, weil ich jeden Abend, nach der Arbeit, noch am Schreibtisch sitze. Ein anderes Leben 😂. 1986.

Einschub: Altensteig – CMA, Christliche Medien Bildschirmfoto 2020-03-29 um 07.04.58.pngAltensteig. Ein TV Studio. Kameras, die (siehe Bild) aussahen wie in damaligen TV Shows und unfassbar teuer waren. 1989: nach ein paar Erfahrungen klar. Das ist kompliziert. Aufwändig. Teuer. Das ist nicht Dein Ding. Zwar nett, sich selbst mal im TV zu sehen (über Eureka damals), aber dann ist auch gut.

Und jetzt? Jahrzehnte später. Mit bald 57. Jetzt noch einmal vor die Kamera?! Vor 25 Jahren wäre das was gewesen. Besser. Auch für die Zuschauer 😊. Was willst du alter Knochen jetzt vor der Kamera? Hab ich eine Wahl? Nein! Besondere Zeiten. Besondere Schritte. Also mache ich meinen Schritt. Bin schon sehr aufgeregt. Brauche 3 Anläufe. Für die ersten Minuten. Bis ich locker genug bin. Das Team – alle unter 30 – ist so ermutigend. So großzügig. Mit mir. Das Ergebnis? Hier:

Bildschirmfoto 2020-03-29 um 06.55.40.png

Den Tag vergesse ich nicht. Ganz sicher! Oder doch?

28. März
Der erste normale Tag. Seit ganz, ganz langer Zeit. In der Zeit der 4-Wochen-Quarantäne habe ich mich nach ihm gesehnt. Dem Alltag. Irgendwann wollte ich nur noch: Alltag. Jetzt ist er da. Und? Fordert mich heraus. Was soll das? Ich denke an andere Leute. Ist schon ein Fehler. Aber tue es trotzdem. Andere, in Quarantäne. Locker marschieren sie durch. Sind produktiv. Effektiv. Und nehmen mühelos die Hürde zurück. Zum Alltag. Und ich? Ich kämpfe! Im Büro. Muss schauen, dass ich mich nicht ablenke. Mit Kleinigkeiten. Nebensächlichkeiten. Leichter gesagt …

Endlich richtig Zeit zur Predigtvorbereitung. Aber ganz einfach ist das – ehrlich gesagt – nicht. Komme mir vor wie ein Schüler. Nach den Ferien. Nicht nur der Kampf mit dem Alltag. Auch mit meiner Konzentration. Konzentration ist eine Grundvoraussetzung. Für Wirksamkeit. Produktivität. Geistesarbeit. Und auch sonst. Also: Nicht gut. Habe fast zwei Stunden gebraucht, um wieder in den Studienmodus zu finden. Dann: Reflexion des Ertrages. Im Gebet bewegen. Hören auf den Heiligen Geist. Gott. Was willst DU sagen? Botschaft? Ich verstehe mich als »Botschafter an Christi statt«. So hat es der Apostel Paulus einmal formuliert. Also. Inhalt wächst. Gieße ihn in Form. Schreibe das Konzept. Schaff ich das? So vor der Kamera? Muss diese Gedanken »gefangen nehmen«. Wieder so ein Wort. Von Paulus. Habe keinen Grund zum Zweifel. Darf vertrauen. Sollte es unbedingt tun. Wäre gerne selbstsicherer. Bin es leider gerade nicht. Egal. Weitermachen.  

Weitere Medienanfragen. Fernsehen. Kurz beraten. Dann abgelehnt. TV ist super aufwändig. Ertrag überschaubar. Muss mit den Kräften haushalten. Fokussiert bleiben. Zwei Printgeschichten stehen noch aus. Langsam gut … Denke, ich habe meinen Beitrag gegeben. Gern gegeben. In den letzten Wochen. Für Betroffene. Für Christen. Für die Kirche. Meine Kirche, zu der ich gehören darf. Passt. Hier und dann noch die eine oder andere Sache. Mit begrenztem Aufwand. Große Sachen? Lieber nicht. Jetzt muss auch hier: langsam Alltag einkehren.

Am Nachmittag bin ich mit dem Rad wieder ins Büro. Durch die Stadt. Yes. Ehrlich. Es gibt Zeugen. Einen Filmbeleg (Siehe unten.). 😂 Und: es waren 16 C. Optimal. 😁 Die Stadt wirkt auf mich? Wie an einem Sonntag! Ausnahme: Cafés sind ohne Gäste.

Dann noch eine Runde im Büro. Hab mir einiges Vorgenommen. Dann. Kurz nach 16.00 Uhr. Ich bin „platt“. Muss einsehen: Habe mir zu viel zugemutet. Gestern. Vor allem. Und heute? Ein andere Belastung. Innerlich.

Darf das sein? Habe gelesen, dass Christen keine Probleme haben. Nur Herausforderungen. Echt jetzt? Noch mal Paulus. Der hilft echt. Er schreibt einiges dazu. Einmal ist sein Gemütszustand ganz kritisch. Kam mit seinen Leuten sogar in Umstände, wo sie am Leben verzweifelten! Paulus! Wie bitte? Darf man schwach werden? Oder muss man immer gut drauf sein? Alles im Griff haben? Man darf! Man muss sich aber tragen lassen. Von der Gnade, die Gott gibt. Die reicht.

Eigentlich reicht die immer. Diese Gnade. Von Gott. Schießt es mir durch den Kopf. Tröstet mich. Entscheide neu: Darauf verläßt du dich. Jetzt. In Zukunft. Hat dich getragen. In den letzten 41 Jahren. Bleib dran. Müsste ich nicht schon weiter sein? Vielleicht. Bin ich aber nicht. Fakten sind Freunde. Und nun: Mein wichtigster Schritt? Der NÄCHSTE!

Hab dann Feierabend gemacht. Die Sonne genossen. Mit lieben Leuten geredet. Den Tag ausklingen lassen.


27. März
Was für ein Tag. Eigentlich wollte ich mit dem Fahrrad in Büro. Aber ehrlich. Es ist echt zu kalt. Also für mich. Wie gut, dass ich noch eine Menge Dinge aus meinem Home Office mitnehmen „muss“. Gute Ausrede, jetzt nicht auf den Drahtesel zu steigen. Um 7.15 Uhr starte ich also durch. Telefoninterview mit NDR1. Dann alles klar machen und ins Büro. War jetzt ein Monat nicht mehr im Brauhaus. Schnell ist mir alles vertraut.

Komme in mein Büro. Wow. Die Einrichtung unserer persönlichen Büros hatte in den letzten Monaten keine Priorität. Erst die Räume, die viele nutzen. Dann wir. Passt.

Unsere Gedanke: Erst die anderen! Jesus hat es uns vorgemacht. Deswegen: Kein extra Parkplatz dicht am Eingang. Für mich, oder für uns als Leiter. Ich will auch nicht Pastor Lothar genannt werden. Oder, oder, oder … Einer ist der Meister. Alle anderen nicht. Auch wenn unsere Rollen unterschiedlich sind. Das nur nebenbei.

O.k. Komme in mein Büro. Und? Wow! Jetzt war – tatsächlich – mein Büro dran. Ich bin sehr begeistert. Und berührt. Danke Deko- u. Hausteam!

Kaum bin ich also drin, klingelt schon das Telefon. Aus dem ruhigen Start wird nichts. Hätte ich mir das auch denken können. Tageszeitung vor Ort. NDR. Radio. Fernsehen. Tolle Reporter, Journalisten. Eine gute Verbindung ist in den 4 Wochen der Quarantäne entstanden. Print ist ja cool. Radio macht Spaß. Aber TV? Das ist ein „Hammer-Aufwand“. Für alle. Wie viel muss für kurze Sequenzen investiert werden?! Mein Respekt vor allen Medienschaffenden nimmt immer mehr zu! Auch bei diesem Dreh!

Und dann noch die Frage, ob ich bei der MHH Aktion helfen kann. Helfen will. Worum geht es? »Im Kampf gegen das Coronavirus ruft die MHH die Bevölkerung zur Mithilfe auf. Genesene Patienten sollen sich melden – denn sie können helfen: mit Antikörpern und „Killerzellen“, die ihr Immunsystem gegen das Virus SARS-Cov-2 gebildet hat. Per Plasmaspende können sie diese an Kranke weitergeben.« Ja klar. Keine Frage. Ich schreibe direkt die Mail.

Der Vormittag vergeht im Flug. Schnell ist es 14.00 Uhr. Die NDR Leute sind angetan vom Brauhaus. Der Location. Schauen kurz in unseren Online Gottesdienst. Sind überrascht. So geht Kirche? Gottesdienst? Sieht gut aus! Thomas, mein Kollege, hat das großartig mit dem Team in den letzten 4 Wochen gemacht. Wieder einmal sind wir dankbar. Er. Ich. Viele von uns. Sehr dankbar! Für den Weg, den Gott uns als Kirche in den letzten Jahren geführt hat. Für die Menschen. Für das Brauhaus. Für das Team.

Schließlich kann ich aufbrechen. Zu der genialen Runde um den See. Bei Sonne. Und schneidend kaltem Wind. Davon habe ich geträumt. Gefühlte 1000 mal. Jetzt. Genau jetzt ist es Wirklichkeit. Mir begegnen Menschen. Nicht viele. Aber immer zu zweit. Man nimmt sich war. Schon aus Abstand. Blickkontakt. Distanz aufbauen. Um sicher aneinander vorbeizukommen. Wohlwollende Blicke. Ein Nicken. Normal ist das sonst nicht so. Auch eine Veränderung. Seit ich zum letzten Mal die Runde drehte. Auf’s Fahrrad schwinge ich mich nicht. Heute nicht. Vertröste mich auf MORGEN. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag … Betrüge ich mich selbst? Das kann ich nicht schlecht! Nee, echt jetzt. Morgen. 😉

Die Predigt. Richtig. Da konnte ich nicht so viel vorbereiten. Wie erhofft. Zumindest die MindMap ist weit. So sammle ich die Gedanken. Impulse. Und den Ertrag der Exegese. Morgen. Morgen ist der Rummel vorbei. Dann ist die Zeit. Die jetzt nötig ist. Ich denke: So in der Öffentlichkeit zu stehen. Wie ist das? Komme zum Fazit: Viel unspektakulärer. Und unwichtiger. Sieht alles nach mehr aus. Dankbarkeit strömt durch meine Seele.

Römer 8,28! Mehr sag‘ ich jetzt nicht.


26. März
Der erste Tag in Freiheit. Nach 4 Wochen. Nicht zu fassen. Jetzt bin ich wieder frei. Was für ein Gefühl das sei, fragt mich die freundliche Moderatorin Susanne Neuß vom NDR1 in Hellwach. Ganz ehrlich: ich kann es noch nicht fassen. Es fühlt sich wie eine Befreiung aus einer Gefangenschaft an. Die war aber nicht so schlimm, wie befürchtet.

Jetzt breche ich in den Tag auf. Heike, meine Frau ist noch „eingesperrt“. Das ist ein Wermutstropfen für uns. So gerne wären wir jetzt zusammen losgezogen. Mit dem Rad die Stadt erkunden. Uns in die Schlange am Supermarkt einordnen. 1.5 m Abstand. Regale: voll oder leer? Wir waren ja vom wirklichen Leben abgeschnitten. Heike ist mega großzügig. Hat mir in der Nacht eine Nachricht geschickt. Damit ich es gleich heute Morgen vor Augen habe. Freiheit.

So. Was liegt an? Der Tag beginnt wie jeder meiner Tage. Milchcafé. Bibel. Gebet. Ein gutes Buch. Die ersten 30 – 40 Minuten wie jeden Morgen. Quarantäne oder nicht. Egal. Müde oder wach. Fast egal. Und dann? Die Predigt ruft mich. Ganz laut. Später: Mit dem Rad die Gegend erkunden. Unseren See umrunden.

Und Geburtstag feiern. Unsere Tochter. Wir können uns nicht sehen. Sie in Hamburg. Wir in Gifhorn. Unser Sohn im Süden. Aber Facetime macht es möglich. Alles ist vorbereitet. Die Uhrzeit vereinbart. Der erste virtuelle Geburtstagskaffeetrinken.

Los geht’s. Aufbruch in ein „neues Leben“. Bis später …


 

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
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Eine Antwort zu »CORONA NOTIZEN« von Lothar Krauss

  1. das Licht schreibt:

    Ihr morgendliches Ritual gefällt mir. Ich mag sowieso Rituale. Mein Mann und ich pflegen diese auch sehr. Und wenn einer von uns mal eins „vergißt“ ist der andere da, um daran zu erinnern.

    Ihnen einen schönen Tag in der „wiedergewohnen Freiheit“, die man dann ja vielleicht plötzlich ganz anders wahrnimmt.

    Wenn so Selbstverständlichkeiten plötzlich nicht mehr gegeben sind … Genießen Sie die Sonne (wenn sie sich denn in Gifhorn auch am strahlend blauem Himmel zeigt.)

    Herzlichst,
    das Licht

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