
Zu leiten bedeutet (auch) zu leiden! Wer Verantwortung übernimmt, muss so manchen Preis für die Rolle bezahlen. Manchmal macht man das aus Überzeugung und mit Begeisterung, manchmal legt sich diese Wirklichkeit wie eine schwere Last auf die Schultern. Man muss „funktionieren“, kann aber kaum noch. Alle von uns kämpfen damit. Dabei können wir an den Punkt kommen, nicht mehr „zu wollen“. Diese Erfahrung wird für alle zu einer Realität, die Verantwortung übernehmen. Ein Kollege, der auch Leser des Leiterblogs ist, schrieb mir kürzlich diese Zeilen:
»Es ist eine meiner größten Herausforderungen als Pastor, wie ich es schaffe, mit dem „24-7 Trauerdienst“ (wir sind ja eigentlich immer dabei, was zu betrauern) zu leben und gleichzeitig fröhlich und zuversichtlich zu bleiben. Es sind einfach so (zu?) viele Verluste auf allen möglichen Ebenen (Tod, Krankheit, Mitarbeit, Verlust von Freundschaften, Ethik, …), die ich (viele andere?) gerade erfahre…. Wem wird die Zeit gegeben für diese Trauerarbeit?…«
Starke Worte, die eine Tür öffnet, über die nicht oft öffentlich gesprochen wird. Martin Schleske schreibt dazu in seinem Buch Werk|Zeuge folgendes:
In einer Welt, in der es an Liebe mangelt …
Schleske reflektiert in diesem Abschnitt, aus dem das Zitat entnommen ist, über den Preis und die Last, die Gott für seine Mission bezahlt:
»Denn wenn die Liebe in einer Welt gelebt werden muss, der es an Liebe mangelt, dann wird der Weg des Liebenden notwendig der Weg des Leidenden sein.
Martin Schleske, Werk|Zeuge, S. 487
Wir kommen unserer Rolle als Verantwortliche also in einer Welt nach, der es an Liebe mangelt. Im Raum der Kirche ist das nicht so viel anders, wenn nicht die Liebe von Gott, die durch den Heiligen Geist im großen Maß bereitgestellt wird (Römer 5,5), zur Wirkung kommt. Gottes Plan ist, dass seine Liebe zuerst in uns, dann durch uns zur Wirkung kommen soll. Er hat sich dazu entschieden, in dieser Welt nicht ohne uns zu handeln.
Was kommt also durch mich zur Wirkung? Was präge ich, was gestalte ich? Die Entscheidung, ob ich liebe, vergebe, „Gnade vor Recht“ ergehen lassen, Räume schaffe in dem Menschen aufatmen, großzügig bin … liegt immer neu bei mir.
Wenn der Geist Gottes so in uns wirkt, dann ist das an der Frucht, abzulesen (Galater 5,22-23). Und wo diese Frucht uns prägt, prägt sie durch uns unser Umfeld. Das geht allerdings nicht ohne Selbstverleugnung, steht im direkten Zusammenhang im Galaterbrief (Galater 5,24-26). Diesen Preis der Selbstverleugnung muss am Ende jede Führungskraft bezahlen. Wenn sie „auf Jesu Art“ leitet. Noch mal Schleske dazu:
»Das ist der Weg, den wir in Jesus sehen, und es ist die bittere Erfahrung, wie viele Dinge in unserer Welt geschehen, die nicht der Wille Gottes sind. Wir können uns vom Willen Gottes lösen. Das ist die Wunde unserer Welt.«
Die Wunde unserer Welt
Wir leiten also in und mit dieser Wunde. In uns. Um uns. Und zuweilen auch durch uns. Schon Dietrich Bonhoeffer sprach davon, dass man nicht Verantwortung übernehmen kann, ohne selbst schuldig zu werden. Christus hat die Verantwortung für die Schuld dieser Welt auf sich genommen, indem er selbst zum Schuldigen wurde.
Gib nicht auf!
Und weil das alles so ist, andere an uns versagen und selbst auch immer neu Schuld auf uns laden als Leiterinnen und Leiter, ermutigen und erinnern wir uns immer neu: Schau dieser Wirklichkeit ins Auge, »Gib nicht auf!« Die Alternative?
- Reflektiere – diese Wirklichkeit! Du bist nicht die einzige Leiterin, der einzige Leiter und schon gar nicht die erste Führungsperson in der langen Geschichte, der es so geht!
- Relativiere – Du bist also nicht allein mit der Erfahrung. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
- Trauere – Betrauere, was an Schmerz, Leid und Enttäuschung in deinem Leben ist. Verdränge es nicht. Suche Dir eine Vertrauensperson, bei der Du die Dinge zur Sprache bringst, die Deiner Seele zusetzen. Erlittenes. Verursachtes.
- Fokussiere – auf Jesus Christus. Der teilt unsere Erfahrung, wie uns der Brief an die Hebräer (z.B. Hebräer 12,3) zeigt. Im Anschauen „seines Bildes“ erfahren wir Veränderung, Verwandlung, schreibt Paulus den Christen in Korinth (2. Kor. 3,18).
Welcher Schmerz, welches Leid nagt gerade an DIR? Was braucht Raum zur Trauer. Worüber musst Du auch einen Moment traurig sein? Was gilt es nun loszuwerden? Welchen Fokus solltest Du schärfen? Wovon den Blick abwenden und stattdessen den Blick verändern?
Es ist so wertvoll, dass Du Verantwortung trägst. Nicht alle sehen das. Nicht alle sind dankbar. Das ist (leider) normal. So meine langjährige Erfahrung. Aber mit Ausdauer den verordneten Weg laufen, wird am Ende zur Freude. Du wirst es nicht bereuen.
Bleib dran!
Der Beitrag als etwas erweiterte Podcastfolge ist hier zu hören:

