
Nur ein Märchen?
Seit einigen Jahren zu Weihnachten gibt es auf dem Blog einen Post, der sich irgendwie mit Weihnachten beschäftigt. In diesem Jahr habe ich Prof. Dr. Dr. Roland Werner gefragt, ob ich seinen Text hier posten kann. Er hat gerne zugestimmt und ich finde, er bringt ein paar wichtige Punkte ins Gespräch. Weihnachten – Fakt oder Fiction? Ein schönes Märchen, oder historisch doch belastbar?
Auf dem Blog geht es mit den gewohnten Themen dann irgendwann im Januar wieder weiter. Ich wünsche euch ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen friedvollen Start ins neue Jahr.
Euer Lothar
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Mehr als ein Märchen
Warum Weihnachten wichtig ist
„Alle Jahre wieder… kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“ So lautet der Text des Weihnachtsliedes, das ich als Kind auf der Blockflöte spielen musste. Alle Jahre wieder…. ertönen dieselben Lieder in den Kaufhäusern und auf den Weihnachtsmärkten und bringen nicht nur die Herzen zum Klingen, sondern lassen auch die Kassen klingeln. Alle Jahre wieder… bewegt uns die Sehnsucht nach Frieden und Harmonie, nach Geborgenheit und meist auch nach einer weißen Weihnacht.
Weihnachten ist wunderbar
Ja, Weihnachten ist wunderbar, wie ein Märchen aus der Kindheit, wie ein ewiger Mythos, der immer neu im Jahreskreislauf auftaucht – und dann ebenso schnell wieder verblasst und verschwindet. Und das wiederum wundert nicht, denn ein Weihnachtsmärchen, das immer weiter ausgestaltet wird – mit Weihnachtsmännern, Rentieren und Elfen am Nordpol – kann unsere Aufmerksamkeit nicht beständig halten. Ein Märchen bietet keinen festen Grund für unser wirkliches Leben mit seinen echten Herausforderungen, Fragen und Nöten. Ein weihnachtlicher Mythos, der „alle Jahre wieder“ ertönt und verklingt, hilft uns nicht im Januar, Juli und November. Und erst recht nicht in den Krisen unseres persönlichen Lebens und in den Kriegsnöten unserer Welt.
Weihnachten ist wirklich wahr
Gegenüber den wundersamen Santa-Claus-am-Nordpol-Geschichten und den romantischen Weihnachtsschnulzen für Erwachsene hört sich der Bericht von der ersten Weihnacht ziemlich nüchtern und sachlich an. Lukas schreibt nach ausführlicher Recherche im Umfeld Marias und der ersten Gemeinden in Judäa seine Version der Weihnachtsgeschichte. Und die klingt eher wie ein Verlaufsprotokoll oder eine Notiz in einer Zeitungskolumne. Konkrete Orte und Zeiten werden genannt, die politische Großwetterlage erwähnt. So liefert der Evangelist seinen Lesern eine faktenbasierte Chronik der Ereignisse. Die altbekannte Lutherübersetzung führt uns durch ihre poetische und etwas antiquierte Sprache leicht auf eine falschen Fährte. „Es begab sich aber zu der Zeit…“ erinnert den heutigen Leser und Hörer doch zu sehr an die Eingangsworte eines Märchens: „Es war einmal vor langer Zeit…“
So ist es hilfreich, den Geburtsbericht im 2. Kapitel des Lukasevangeliums in einer etwas modernen Übersetzung zu lesen: „Damals geschah Folgendes: Der römische Kaiser Augustus erließ ein Gesetz, nach dem sein ganzes Weltreich statistisch erfasst werden sollte. Diese erste Datenerhebung fand statt, bevor Quirinius Syrien verwaltete. Alle Menschen machten sich auf den Weg, um ihre Namen erfassen zu lassen, und zwar jeder in seinem Heimatort.“ (Lk 2, 1-3 nach der Übersetzung „das Buch“)
Soweit der weltgeschichtliche Rahmen, in dem das weltverändernde Ereignis geschehen sollte. Nüchtern und Fakten-orientiert schreibt der Arzt und Historiker Lukas.
Die häufig diskutierte historische Frage, wie die Geburt Jesu in Bezug auf den Zensus des Quirinius zu datieren ist, lässt sich heute leichter beantworten als zur Zeit meines Theologiestudiums. Damals wurde uns einfach die Meinung präsentiert, dass Lukas sich hier geirrt habe. Doch so platt und einfach ist es nicht.
(Wer sich näher mit der Geschichtlichkeit dieses Berichtes befassen will, findet dazu einen hilfreichen Aufsatz auf der Internetseite des Instituts für Glaube und Wissenschaft von Andreas Gerstacker – www.iguw.de.)
Überhaupt sind viele der früher – und teilweise noch heute – vorgebrachten landläufigen Argumente gegen die Historizität der Evangelien und der Apostelgeschichte hinfällig. So bekam ich noch als Jugendlicher in meiner Duisburger Kirchengemeinde zu Weihnachten vom Pfarrer verkündigt, dass wir heute ja wüssten, dass Jesus nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth geboren worden sei. Doch diese angebliche historische Erkenntnis ist in Wirklichkeit viel weniger sicher, als er damals vorgab. Viele der angeblichen aufgrund historisch-kritischer Forschung felsenfest stehenden Annahmen haben sich inzwischen durch neue Forschungen und archäologische Funde in Luft aufgelöst. Leider hat sich das noch nicht überall herumgesprochen, und so mag auch in diesem Jahr noch mancher unhistorischer Unsinn im Brustton der Überzeugung von den Kanzeln und sonstwo verbreitet werden.
Doch nicht nur im großen historischen Rahmen können wir dem Evangelienbericht vertrauen. Nein, auch in der konkreten Darstellung, im Mikrokosmos der Jesus-Geschichte sind wir auf gutem Grund. Und so lesen wir weiter: „So zog auch Josef los, aus Galiläa, aus dem Ort Nazareth, hinauf nach Judäa, nach Bethlehem, der Heimatstadt von König David. Denn er war ein direkter Nachfahre von David und hatte dort noch Heimatrecht. Deshalb wollte er sich dort registrieren lassen, zusammen mit seiner Verlobten Maria, die inzwischen schwanger war. Während sie sich dort aufhielten, rückte der Geburtstermin immer näher und Maria brachte einen Sohn zur Welt, ihr erstes Kind. Sie wickelte ihn fest ein und legte ihn zum Schlafen in einen Futtertrog, denn es gab für sie keinen geeigneten Platz im Wohnraum.“ (Lk 2, 4-7, das Buch)
Es ist hilfreich, einmal die romantisch-verklärte Märchenbrille abzusetzen und den Weihnachtsbericht im Wortlauf auf sich wirken zu lassen. Erst dann tritt das Unglaubliche, ja Ungeheuerliche aus den Buchseiten hervor: Weihnachten bedeutet, dass der Schöpfer des Alls in die Kleinheit unseres Seins eintritt. Der Ewige wird Teil der menschlichen Geschichte. Der Höchste wird ganz niedrig und klein, der Allmächtige macht sich verwundbar. Das Kind in der Krippe ist der verheißene Messias, der Mann am Kreuz ist der Weltenherr.
Weihnachten ist wirksame Wirklichkeit
Genau darum ist auch heute Weihnachten für uns relevant, alle Jahre wieder, ja, an jedem Tag unseres Lebens. Die Erscheinung der Engel, der Gottesboten, hat nicht nur eine historische Basis, sondern sie überstrahlt und verändert seitdem unsere Welt. Die Botschaft von damals schallt auch in unsere Zeit: „Einige Hirten befanden sich in der Gegend. Sie verbrachten die Nacht draußen auf dem freien Feld, weil sie ihre Herden bewachen mussten. Da stand plötzlich ein Engel, ein Bote von Gott, vor ihnen. Der Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes machte alles um sie herum ganz hell und sie wurden von großer Furcht ergriffen. Doch der Gottesbote sagte zu ihnen: »Habt keine Angst! Denn ich bin hier, um euch eine wunderbare Nachricht zu bringen! Große Freude bedeutet sie für alle Menschen. Heute ist für euch der Weltenretter geboren, der Messias, der rechtmäßige Herr, und zwar in dem Heimatort von David.“ (Lk 2, 8-11)
Hier findet die wahrhaft weltgeschichtliche Zeitenwende statt. Seitdem leben wir nicht mehr „BC“, vor Christus, sondern „AD“, in einem „Jahr des Herrn“, und zwar alle Jahre wieder.
Das Wunder wirkt weiter
Was in der Weihnacht geschah, ist wundersam und wunderbar zugleich, wirklich und wirkmächtig. Gerade angesichts der furchtbaren Realitäten der Welt, die wir ständig in den irdischen Nachrichten präsentiert bekommen, dürfen wir auf die himmlische Nachricht hören und vertrauen. Auf die Gottesbotschaft von Seinem Kommen in unsere Wirklichkeit, auf das Evangelium von der Überwindung von Sünde, Tod und Teufel. Weil das Wunder weiter wirkt: Immanuel – Gott ist mit uns. Und das ist kein Märchen. Sondern Grund, dass wir mit den Engeln und Hirten, mit Maria und Joseph und der unzählbaren Schar der weltweiten Gemeinde, auch in diesem Jahr singen und sagen: „Kommt lasset uns anbeten den König!“
(c) roland werner, Dezember 2022
Roland Werner, Dr. phil. Dr. theol., Honorarprofessor für Theologie im Globalen Kontext bei Ev. Hochschule Tabor
Und hier gibt es den Text als Podcastepisode:
Als Video … hat Roland ein Weihnachtsspecial nun bereitgestellt
Gab es Jesus wirklich?
Roland Werner im Interview!
Christian Schwarz hat eine interessante Anmerkung auf Facebook dazu eingebracht, die Roland dann auch direkt kommentierte:

Das ganze Interview (40 Minuten), ist hier zu sehen. Es wird so angeteasert:
Woher wissen wir, dass Jesus an Weihnachten geboren wurde?
Er ist der renommierteste Jesus-Forscher des Landes: Prof. Dr. Dr. Roland Werner spricht acht Sprachen, lebt und forscht in Marburg, hat Ausgrabungen und Bücher über den Mann begleitet, dessen Geburtstag Milliarden Menschen in diesen Tagen feiern: Jesus von Nazareth. Im Gespräch mit Ralf Schuler klärt er auf, was wir wirklich wissen und was viele Menschen glauben. Gab es Jesus wirklich? War er ein Revolutionär? Wer hat sich das mit der unbefleckten Empfängnis ausgedacht?
Quelle: Nius
Winter-Bibelschule mit Roland Werner

Wer nach Weihnachten mit Roland in den Brief an die Korinther schauen will, kann dieses Angebot via Zoom in Betracht ziehen. Ein kurze Mail an Roland und der Zoom Link kommt als Retour. Frohe Weihnachten!

