Frauen & Männer: Besser zusammen leiten! | 4

Machtmissbrauch, Selbstprofilierung und Selbstschutz sind starke Motive, die ein gutes Miteinander verhindern? Corinna Schubert denkt im letzten Teil der Serie konkret über diese wichtigen Fragen nach, die Misstrauen und Angst fördern und ein gutes Miteinander empfindlich stören.  Menschen würden über Menschen beginnen zu herrschen, anstatt sich zu fördern und zu ergänzen.

Das wird stark im Verhältnis von Mann und Frau in der Geschichte deutlich. Dabei kann nichts Gutes herauskommen, ist Corinna überzeugt. Ganz gleich, ob das im großen Rahmen oder in engen Beziehungen vorkommt. Mit ein paar gute Fragen für uns Leser endet die kleine Serie.

Teil 4

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Selbstschutz, Selbstprofilierung, Machtmissbrauch

Durch wechselseitiges Misstrauen und durch die Angst, zu kurz zu kommen, gehen Teams, die auf Augenhöhe miteinander arbeiten wollen, kaputt. Denn es beginnt das, was in der Ur-Geschichte als Folge der Sünde beschrieben wird: Menschen setzen sich selbst absolut und fangen an, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Menschen nehmen sich selbst mehr und machen sich selbst groß, indem sie anderen etwas wegnehmen und sie klein halten. Die ihnen gegebene Macht nutzen sie nicht, um einen fruchtbaren Raum zu schaffen, in dem Menschen wachsen können, sondern um ihren persönlichen Machtbereich zu weiten.

So beginnt Mensch über Mensch zu herrschen – im Kleinen und Privaten wie im großen Weltgeschehen. In allen sozialen Bereichen und zu allen Zeiten ist das zu beobachten: Machthaber herrschen über ihre Untertanen, Herren herrschen über Sklaven, Männer herrschen über Frauen. Letzteres wird in der Ur-Geschichte ausdrücklich als Folge der Sünde angekündigt: Es wird ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern geben. Das Team auf hat. Augenhöhe gerät aus dem Gleichgewicht.

Der Mann wird über die Frau herrschen. In der kleinsten intimsten Einheit, die Gottes Idee vom Miteinander widerspiegeln soll, kommt es zum Ungleichgewicht, zum Machtkampf und von dort ausgehend zieht dieser Machtkampf seine Kreise.

Wir sollten anerkennen, dass dies zur Natur des Menschen gehört: Jeder Mensch möchte autark sein und unabhängig von Gott und seinen Mitmenschen. Jeder Mensch versucht auf Kosten anderer sich selbst größer zu machen. Das tut mensch, indem er feststellt, dass andere Menschen anders sind und indem er dann diesen einzelnen Menschen oder gleich eine ganze Gruppe als geringer, als weniger wert beurteilt.

So war mit größter Selbstverständlichkeit jahrhunderte- und jahrtausendelang in der Politik klar: Es gibt Menschen, die wahlweise aufgrund ihrer Abstammung, ihres Geldes oder ihrer Klugheit über andere Menschen herrschen dürfen. Undenkbar war es, dass das ganze Volk bestimmen sollte, wer die Macht bekommt.

Ebenso war lange klar, dass Menschengruppen sich in Rassen aufteilen lassen und dass es bestimmte Rassen gibt, die über anderen stehen. Die größten und bis heute verehrtesten und geachtetsten Philosophen haben dies in aller Selbstverständlichkeit vertreten und niemand ihrer Zeitgenossen ist auf die Idee gekommen, das nur im Geringsten infrage zu stellen.

Schließlich galt das Gleiche für das Verhältnis der Geschlechter. Dass die Frau unter der Herrschaft des Mannes steht, wurde nicht als Folge menschlicher Verstrickungen angesehen. Es wurde als naturgegeben und gottgewollt angesehen und in gesellschaftlichen Systemen und Strukturen manifestiert.

In der Antike zum Beispiel galt die Frau als Kind, das sich nicht weiterentwickelt hat.

In der Antike zum Beispiel galt die Frau als Kind, das sich nicht weiterentwickelt hat, während der Mann zur vollen menschlichen Reife gelangt ist. Undenkbar, dass eine Frau ein Gegenüber sein könnte, in dem der Mann sein eigenes Wesen erkennt. Undenkbar, dass sie ihm seine Ergänzungsbedürftigkeit widerspiegelt oder ihm gar Korrektur sein könnte, aufgrund derer er sich in seiner Persönlichkeit weiterentwickelt. Undenkbar, dass eine Frau in der Lage sein sollte, komplizierte Gedankengänge zu verstehen. Völlig überflüssig also, dass eine Frau in der Schule unterrichtet werden sollte. Und dieses System war quasi selbsterhaltend, denn wer nicht gebildet ist, kommt nicht auf die Idee, dieses System infrage zu stellen. Zur Erinnerung: Es ist erst gut 100 Jahre her, dass Frauen in Deutschland das Recht bekommen haben zu studieren. Und dass die sozialen Rahmenbedingungen entstanden, dass es tatsächlich viele Frauen tun, hat noch einmal viele Jahrzehnte gedauert.

Und leider können wir bei all diesen Formen der Herrschaft und Unterdrückung nicht in der Vergangenheitsform sprechen. Faktisch ziehen sich diese Herrschaftsverhältnisse überall auf der Welt bis heute durch. Den besseren Wahlkampf kann auch in Demokratien führen, wer über die nötigen Verbindungen und Geld verfügt. Sklaverei haben wir aus der westlichen Welt ausgelagert, indem wir Menschen am anderen Ende der Welt für Minimallöhne für uns arbeiten lassen. Und Frauen erleben überall auf der Welt Abwertung und Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts. Angefangen bei offensichtlich grausamen Taten wie von Boko Haram in Nigeria oder den Taliban in Afghanistan, die nach dem Abzug der westlichen Truppen als erste Symbolhandlung Mädchenschulen in die Luft jagten, über den Frauenhandel mitten in Europa, der auch durch vermeintlich liberale deutsche Gesetze ermöglicht wird, bis hin zu „leichteren“ Formen der Ungleichbehandlung wie der ungleichen Bezahlung. Und ein unterschwelliges systemerhaltendes Prinzip, wie es lange im Bildungssystem der Fall war, ist auch bei uns noch zu beobachten. Denn Frauen haben nach einer Familienphase oft Schwierigkeiten, wieder in den Beruf einzusteigen, weil sie mit den Kollegen verglichen werden, die im gleichen Alter eine bruchlose Bildungs- und Berufsbiografie hingelegt haben.

Offiziell haben sie zwar die Möglichkeit zum Wiedereinstieg, und dennoch können sie nicht auf Anhieb die gleiche Leistung bringen, für die die männlichen Kollegen den Maßstab bilden. Das wirft sie in dem System zurück und diejenigen, denen das System ihren persönlichen Machtbereich sichert, haben naturgemäß kein Interesse daran, etwas zu ändern.

Fazit: Auch wenn sich schon viel getan hat, es gibt noch viel zu tun. Und wenn wir eingestehen, dass der persönliche Macht- und Vorteilserhalt zum Wesen des Menschen gehört, dann ist auch klar, dass die Systeme von sich aus immer wieder in diese Richtung tendieren und dass es einen hohen Energie- und Willensaufwand bedeutet, sie zu ändern.

Wenn nicht wir, wer dann?

Ehrlicherweise müssen wir als Christen zugeben, dass wir uns bei der Abschaffung all dieser Formen von Unterdrückung und Ungleichbehandlung nicht gerade als Vorreiter hervorgetan haben.

Ganz im Gegenteil gab es immer findige Theologen, die die passenden Bibelstellen gefunden haben, um die jeweils bestehenden Machtsysteme zu erhalten.

Bis heute wird Leitung in der katholischen Kirche streng hierarchisch verstanden und Frauen stehen in dieser Hierarchie ganz unten. In den evangelischen Landeskirchen ist dies offiziell nicht so, wobei die gewachsenen Leitungsstrukturen es Frauen auch hier nicht gerade leicht machen. Und nimmt man die ganze Gesellschaft in den Blick, für die Landeskirche ihrem Selbstverständnis nach da sein will, dann sind Leitungsstellen z. B. im Blick auf Milieus und ethnische Herkunft äußerst homogen besetzt. In den Freikirchen wendet man sich gerne gegen jede institutionelle Verhärtung, die man in den Traditionskirchen zu erkennen meint, und betont stattdessen das freie und sich ergänzende Miteinander der Gemeindeglieder. Die Lehre von den Charismen bildet die Grundlage, nach der jedem besondere Gaben zum Dienst aller gegeben sind. Dabei verteilt der Geist die Gaben, wie er will – da gibt es im Prinzip keine Vergabekriterien. Nur eine Ausnahme scheint es doch zu geben: Die Gabe der Leitung (oft verbunden mit der der Lehre) soll die einzige sein, die an das Geschlecht gekoppelt ist.

Im Rückblick erscheint uns vieles unverständlich. Doch auch in der Gegenwart ist es gar nicht so leicht, die eigenen blinden Flecken zu sehen. Deshalb sind wir im Kleinen wie im Großen aufeinander angewiesen, um in kreativer Spannung Ausdrucksformen des Glaubens für unsere Gesellschaft und unsere Zeit und entsprechende Strukturen zu finden. Dass dies im Ringen mit der Bibel geschieht, ist klar. Aber es wird eben ein Ringen bleiben, denn wenn wir ehrlich sind, dann ist es eben nicht so leicht, gesellschaftliche und politische Gegebenheiten aus biblischen Zeiten einfach so auf heute zu übertragen. Wir finden zum Beispiel im Alten Testament keine Infragestellung der Polygamie. Wir finden keine Anleitung, wie Demokratie gelingen kann. Und wir finden höchstens Hinweise darauf, wie Herren ihre Sklaven wie Menschen behandeln könnten.

Denn auch die Texte der Bibel sind nicht im luftleeren Raum, sondern in bestimmten sozialen Systemen entstanden. Was wir in der Bibel als soziale Realität vor Augen gemalt bekommen, ist immer auch ein Spiegel von Verhältnissen innerhalb einer egozentrierten (gefallenen) Welt. Im Blick auf die neutestamentlichen Autoren würde ich sagen: Es ging ihnen nicht darum, einen sozialen Umsturz herbeizuführen, sondern darum, das Evangelium zu verkündigen und dadurch eine Haltungsänderung anzustoßen, die nach und nach gesellschaftliche Realitäten durchdringen und verändern sollte. Deshalb kann man soziale Verhältnisse aus den unterschiedlichsten Kontexten, die wir in der Bibel sehen, nicht einfach auf unsere Realität übertragen. Auf manche Fragen geben sie einfach keine Antwort. Stattdessen ist auf die Texte zu achten, die innerhalb ihres sozialen Kontextes relativ gesehen revolutionär sind. Und von dort aus sind die Linien weiterzuziehen und immer wieder neu in unser Leben hineinzubuchstabieren.

Wir sollten das nicht politischen Parteien oder Lehrstühlen für Genderforschung überlassen. Wir als christliche Gemeinschaft könnten und sollten Vorreiterin sein. Wer, wenn nicht wir? Denn wir folgen dem nach, der gesagt hat: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher über die Völker betrachtet werden, sich als ihre Herren aufführen und dass die Völker die Macht der Großen zu spüren bekommen. Bei euch ist es nicht so“ (Mk 10,42-43; NGÜ).

Wir könnten uns frei machen von den Herrschaftsverhältnissen dieser Welt, weil er uns dazu befreit hat. Er hat uns befreit von der Sorge um unser Ego, von der Sorge, zu kurz zu kommen, von der Sorgen, uns selbst groß machen zu müssen. Und deshalb könnten wir uns echt auf Augenhöhe begegnen und als Team zusammenarbeiten. In dieser Gemeinschaft bräuchten wir keine Quoten und keine Diversität aus Vernunftgründen, sondern wir würden den anderen und die andere in ihrem Anderssein als Schatz begreifen. Wir würden den fruchtbaren Raum entdecken, der zwischen uns entsteht. Und so könnten wir gemeinsam Leitungsverantwortung wahrnehmen und den Raum, der uns anvertraut ist, kreativ gestalten, damit Menschen darin wachsen und aufblühen.

I have a dream … … of a team.

Fragen zum Nach-Weiter-Selber-Denken

• Wer Leitungsverantwortung hat, soll vermehren, wachsen lassen und dem Leben Raum geben. Wie möchten Sie sehr konkret mehr Raum für Frauen in Leitungspositionen in Ihrer Organisation schaffen? Wo sind Grenzen?

• Wo sehen Sie Vorteile, wo Nachteile für gemischte Leitungsteams?

• Die christliche Gemeinschaft sollte Vorreiterin für Genderfragen sein. Wer, wenn nicht wir?, fragt Corinna Schubert. Wie wollen Sie Ihre Organisation in der Gender- und Gleichberechtigungsfrage aufstellen?

Teil 1 | 2 | 3 | 4

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Im letzten Teil reflektiert Corinna, wie Selbstschutz, Selbstprofilierung und Machtmissbrauch dem Miteinander einen erheblichen Schaden mitgibt.

Corinna Schubert (Jg. 1983) lebt mit ihrer Familie im Großraum Stuttgart. Sie ist Pfarrerin in der evangelischen Landeskirche und engagiert sich ehrenamtlich im Netzwerk „churchconvention“. Unter dem Motto „Sag’s mit Bild“ ist sie freiberuflich als Visual Artist aktiv.

Mehr von Corinna findet ihr hier: www.corinna-schubert.de, https://www.herz-trifft-kopf.net und www.churchconvention.de

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Corinna, ich und viele andere werden im August gemeinsam mit großartigen Referenten das Thema Führung weiter denken. Der Leitungskongresse von Willow ist unser Angebot. Wir laden Dich ein: sei dabei in Leipzig!

Mit Michael Herbst, Thomas Härry und Tim Stevens wird sie eine Vorkonferenz zur Frage der dunklen Seite der Macht in Leipzig mit moderieren.

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Dieser Text von Corinna ist zuerst als Beitrag für das Buch “Von der dunklen Seite der Macht” veröffentlicht worden, das von Michael Herbst und Thomas Härry herausgegeben wurde. Das Buch ist bei Gerth Medien erschienen und als Leiterblogger empfehle ich es sehr.

Der Nachdruck des Textes erfolg mit ausdrücklicher und freundlicher Genehmigung von Gerth Medien.

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
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