„Aus der Krise können wir besser oder schlechter hervorgehen. Wir können rückwärtsgleiten oder wir können etwas Neues schaffen.“ schreibt Papst Franziskus in seinen neuen Buch „Wage zu träumen!“
Schreckliche Bilder erreichen uns aus aller Welt, zuletzt gestern Abend aus den USA. Und genau in diesen Momenten braucht es Leute die träumen! Von einer Zukunft, die den Horizont weit über das eigene Wohlbefinden zeigt. Solche Leute braucht es! In der Gesellschaft. In Politik und Wirtschaft. Im Ehrenamt. In der Kirche. Gehörst Du dazu?
Wage zu träumen!
Führungskräfte sind Beweger! Wann immer eine Krise aufbricht, steht der Leitende vor der Entscheidung: „Kopf in den Sand stecken“ oder das „Haupt erheben“? Franziskus plädiert dafür,
- realistisch die Dinge anzusehen,
- überlegt zu wählen und
- beherzt anzupacken.
Menschen, die eine klare Perspektive verfolgen und die Kraft aufbringen nach Wegen zu suchen, wenn sie gerade nur schwer zu erkennen sind. Ich bin an Götz Werner erinnert, den Gründer der dm-Drogeriemärkte:
„Wer etwas will, findet Wege. Wer etwas nicht will, der findet Gründe.“ – Götz Werner
Wie stellt sich der Autor von „Wage zu träumen!“ das vor?
Sehen – wählen – handeln!
- klar sehen,
- uns bewusst entscheiden – wählen –
- und dann beherzt handeln,
Franziskus, Papst der römisch-katholischen Kirche, ist davon überzeugt, dass wir auf diesem Weg mit Zuversicht die Krise meistern können. Und so eine andere, bessere und gerechtere Welt gestalten. Sicher, es tauchen Hindernisse auf, die uns stoppen wollen. Er denkt dabei besonders an diese Haltungen:
Hindernisse der Handlungsfähigkeit
Drei Einstellungen, Haltungen:
- Narzissmus
- Entmutigung
- Pessimismus
- Narzissmus führt dazu, dass wir uns zu sehr nur um uns selbst drehen.
- Entmutigung verführt uns zum Jammern und Klagen über alles, was jetzt nicht mehr geht.
- Und Pessimismus ist wie eine Tür, die man vor der Zukunft und ihren Möglichkeiten verschließt.
Die Medien helfen uns nur bedingt, denn sie haben „ihre eigenen Pathologien: Desinformation, Verleumdung und die Faszination für Skandale.“ meint der Mann aus Rom.
Ein weiter Horizont
Im ersten Drittel seines Buches lenkt Franziskus unseren Blick zum weiten Horizont. Er schreibt mit einer einfachen Sprache, aber doch kraftvollen Sprache und verbindet persönliche Erfahrungen mit interessanten Fakten. Dabei argumentiert er klar und eindringlich. So entsteht ein Bild, das weit über die eigene Befindlichkeit, den eigenen Traum vom Glück und dem persönlich guten Leben hinausgeht.
Nebenbei: So handeln Führungskräfte, Leiter, Verantwortliche immer, wenn sie in Zeiten der Krise Verantwortung übernehmen. „I have a dream …“ Was löst dieser Satz in uns aus? Führen durch Kommunikation!
Franziskus reicht nicht an die Wortgewalt des Baptistenpastors und Bürgerrechtlers heran, aber er macht es auf seine Art richtig gut!
Die Benachteiligten in den Blick nehmen
Es gehört zu den Stärken des aktuellen Papstes, (s)eine Stimme für Menschen an den Rändern zu erheben. Immer will er unseren Blick auf die Übersehenen, die Benachteiligten und auf die Verlierer zu lenken. So auch in „Wage zu träumen!“ Ich habe großen Respekt davor. Für mich ist das ein starkes Lernmoment.
In „meinem Camp“, in dem ich den Glauben entdecken konnte, war dieser Aspekt nicht so eine Priorität, die unser Denken und Handeln beeinflusste. Wir hatten den Blick für diese Fragen einfach noch nicht so gefunden. John Stott gehörte Ende der 1960er Jahre zu denen, die uns begannen den Blick für diese Fragen zu öffnen, ohne unseren „Markenkern“ zu verlassen. Seit einigen Jahren verändert sich das gerade sehr gut. Franziskus Buch ist für mich auch eine Denk- und Verstehenshilfe. Ich habe viele Stellen im Text markiert.
Durch seine Brille einmal sehen …
Franziskus will uns Leser zu einem Perspektivwechsel inspirieren. Wir sollen nicht nur aus der „ICH-Perspektive“ diese Welt wahrnehmen! Das bringt uns alle weiter, ganz klar. Ein Beispiel: Jeder Mensch hat Wert und Würde! Ist, „weil er ist“, wertvoll! Das ist dem Autor wichtig. Ich stimme voll zu. Ich hätte es so begründet:
Jeder Mensch ist deshalb unendlich wertvoll, weil er oder sie ist! Mehr braucht es nicht. Weil wir alle ein Gedanke von Gott sind. Von IHM geliebt! (Johannes 3,16) Die Trennung von Gott (Sünde) hat diesen Wert in uns massiv beschädigt. (Überlege: Wer kämpft nicht mit der Frage nach dem Selbstwert?)
Eine individuelle oder soziale Sicht? Oder beide … ?
Der Autor stellt nun diese Würde des Menschen in einen gemeinschaftlichen und systemischen Zusammenhang. Und zeigt die Verbindung mit der Sünde auf mit ihren Auswirkungen. Spannend. Das geht bei ihm so:
Sünde – eine Wurzel, die Wurzel?
Seine Wurzelbetrachtung zur Sünde zeigt das schön:
„Aber in allen Fällen ist die Wurzel der Sünde die gleiche. Es ist die alte Sünde derer, die glauben, dass sie ein Recht darauf haben, andere zu besitzen, die keine Grenzen kennen und schamlos glauben, die anderen nach Belieben benutzen zu können. Es ist die Sünde, den Wert einer Person nicht zu respektieren.“
Ich würde – aus meiner Prägung – schnell den Einwand bringen, dass es ja leichter ist über die Sünde anderer zu reden, als über meine eigene Schuld und ihre (systemischen) Auswirkungen.
Die Wurzel der Sünde ist doch Selbstsucht! Selbst Gott spielen zu wollen, selbst alles entscheiden, selbst bestimmen … Ich sollte über den Stolz und die Angst in meinem eigenen Herzen nachdenken. Diese Wirklichkeit ist es, die mich nicht so sein lässt, wie ich es eigentlich sein will. (Römer 7) Das ist zutreffend, aber nicht erschöpfend!
Sünde: soziale und systemische Auswirkungen
Und ich muss zugeben, dass die Sünde in meinem Herzen auch soziale Auswirkungen hat. Dass sie vermutlich Systeme beeinflusst (Familie, mein Freundeskreis, Arbeitsplatz, Schulen, Politik …), was ich nicht beabsichtige. Aber manchmal einfach in Kauf nehme (wenn ich z.B. neidisch, voller Selbstzweifel oder von Ängsten geleitet bin oder einfach nur bequem und faul, selbstgerecht und voller Gier). Darauf will mich der Autor hinweisen. Ich darf das alles nicht nur individualistisch denken.
Bin ich bereit dafür?
„Lange Zeit dachten wir, wir könnten gesund bleiben, auch in einer kranken Welt. Aber die Krise hat uns noch einmal nahegebracht, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten.“
Und das muss mich nachdenklich stimmen. „Die Welt ist ein Geschenk an uns.“ schreibt er. Und wir gehören zu den Mitverantwortlichen seiner Schöpfung, sollen sie uns untertan machen und so gestalten, dass das Leben für alle floriert. „… das Schicksal der Menschheit ist untrennbar mit dem unseres gemeinsamen Hauses verbunden.“ Stimmt.
Und wenn mir das egal ist? Wenn ich mich gleichgültig verhalte, werde ich zu einem stillen „Ermöglicher“ vielfältiger Ungerechtigkeit. Es beginnt im engsten Kreis. Erst in mir, dann um mich und schließlich durch mich. Dann ziehen sich immer weitere Kreise. Ich bin nachdenklich … Und dann bringt er das Gespräch auf einen recht interessanten Zusammenhang:
Integrale Ökologie
Franziskus fordert zu einer sehr integralen Ökologie auf, die weit mehr als nur den Schutz der Natur im Blick hat. Er verbindet Themen, wie ich sie bislang selten so „in meinem Camp“ verbunden vorgefunden habe. Oft wird die eine, oder die andere Seite betont. Manchmal auf auf Kosten der anderen Sichtweise:
„Es geht darum, füreinander zu sorgen als mit Geschöpfe eines liebenden Gottes, und um alles, was das einschließt.
… Auch wenn Menschen energisch behaupten, dass dies moralisch gesehen unterschiedliche Dinge sind: solange sie behaupten, dass Abtreibung gerechtfertigt ist, aber die Versteppung nicht, oder die Euthanasie falsch ist, aber verschmutzte Flüssen nun einmal der Preis für wirtschaftlichen Fortschritt sind, so lange werden wir in dem selben Mangel an Integrität stecken bleiben, der uns dorthin gebracht hat, wo wir jetzt sind.“
Das ist eine starke Botschaft des Papstes, die nicht verhallen darf. Er schärft auf den bald 200 Seiten den Blick dafür, fordert zu verantwortlichen Entscheidungen heraus und regt dazu an, aktiv dafür einzutreten, dass es nicht so bleibt.
Diese Botschaft ist bei mir angekommen. Weitere konkrete Handlungsvorschläge kann ich nicht einschätzen, weil sie nicht in meinem Kompetenzbereich liegen.
Was ich mir noch gewünscht hätte …
Die Lösungsansätze, die der Autor anbietet, erscheinen mir nicht vollständig. Die Rolle eines persönlichen Glaubens kommt mir zu kurz, ist er doch eine dauerhafte Motivation und Begründung für ein gerechtes, beherztes und konkretes Handeln! Wenn er richtig verstanden und gelebt wird! Mutter Teresa und andere haben das überzeugend vorgelebt.
Am Ende könnte man versucht sein, eine Gerechtigkeit ganz aus sich selbst, der eigenen Anstrengung heraus zu verfolgen. Wenn es gelänge, wäre es sozusagen „Selbstgerechtigkeit“ oder „Werkgerechtigkeit“. Tote Pferde in meinen Augen. Sie führen zu Überheblichkeit (wenn ich erfolgreich bin) oder tiefe Selbstzweifel und gar Selbstverdammnis (wenn es nicht gelingt). Die Gerechtigkeit, die Jesus an meiner Stelle am Kreuz erlangt hat, ist mir zum „Heilsweg“ geworden.
Aber dieses Heil, diese Erfahrung mit Gott, darf nicht in meiner kleinen Welt steckenbleiben. Er drängt zum DU, zum Nächsten, zu dieser Welt. Und das hat mir der Papst mit seinem jüngsten Buch deutlich gezeigt. Deshalb mein Fazit:
Wer seinen Horizont weiten sollte (wie ich) und auch möchte, dabei in der Lage ist, das Buch mit „Messer und Gabel“ zu lesen, dem lege ich den Titel ans Herz. Sehr gerne.
Wage zu träumen
Papst Franziskus
Kusel Verlag, 192 Seiten, 20.00 €