Gemeindeerneuerung in Mannheim. Einsichten, die vielleicht auch für andere nützlich sind. Heute wieder eine Reflexion: „Der Notfall gewinnt immer!“
So langsam bekomme ich den Überblick. Vieles begeistert mich in Mannheim, manches macht mich aber auch nachdenklich und tatsächlich sind da auch Punkte, über die ich besorgt bin. Also „alles normal“ irgendwie, wenn ich an die fünf Prozesse der Gemeindeerneuerung aus den letzten 30 Jahre denke, in denen ich Verantwortung zu tragen hatte. Wieder einmal stoße ich auf das Phänomen, dass „der Notfall“ sozusagen „immer gewinnt“. Und das ist schlecht. Warum? Der Reihe nach:
Hinterher sind alle schlau!
Mir ist schon klar: Es ist immer einfach etwas von außen zu betrachten und analytisch den Finger in die Schwachstellen zu legen. Die EM hat es wieder einmal gezeigt. Auch Jens Spahn erlebt das am eigenen Leib. Im Ausland wird seine Politik gelobt, bei uns kritisch begleitet. Keine Sorge. Als ausgewiesener „Nicht-Experte“ in Fragen Corona halte ich mich auch weiterhin bedeckt. Ich höre eher staunend zu, blicke aber nicht in der Tiefe durch. Dennoch sind „Fakten Freunde!“. Schauen wir also genauer hin:
Der Notfall gewinnt jedes Mal!
Zurück zu diesem Phänomen der Organisationsentwicklung. Ich stehe also ständig vor der Frage, ob ich mich den „Notfällen“ zuwenden sollte, oder in die „langen Linien“ investiere? Lauter rufen die Notfälle, schon klar. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Gespräch schnell auf den „aktuellen Notfall“ kommt. „Störungen haben Vorrang“, lernte ich für den Teamprozess. So funktioniert unsere Kultur:
»Die Zeitung, die sozialen Medien, das Gespräch beim Abendessen, die Politik, die Sportnachrichten, das Wetter, der Sitzungssaal – fast immer dreht sich das Gespräch um den aktuellen Notfall. Die Sache, die auf einmal passiert.«
Ist das sinnvoll für einen gesunden Gemeindebau? Wenn ich dem Ansatz folge, könnte ich beständig als Feuerwehr im Einsatz sein. Viel tun, wenig bewegen. Zumindest grundsätzlich betrachtet. Die Störungen, die Löcher reißen, bleiben. Die Feuerwehr bleibt ständig im Einsatz. Für mich ist das keine attraktive Perspektive.
Kultur, Strategie, Systeme
Die Alternative? In Kultur, Strategie und Systeme investieren. Und in Personen. Konkret: In Mannheim könnten wir echt viele Leute ganz fix (Notfall) gebrauchen, die Verantwortung übernehmen. Die Lücken im Bereich von Verantwortungsübernahme sind schon nicht klein! Wir brauchen Leute, die ein Thema „treiben“, weil es ihnen wichtig ist, nicht weil sie „müssen“. Leute, die andere begeistern, ausbilden und Teams bilden, die richtig gerne zusammen mit anderen „etwas auf die Straße“ bringen. Aktuell arbeite ich an der Übersicht, wo wir überall solchen Leute brauchen, um die „Grundfunktionen“ unseres Gemeindelebens sicherzustellen.
Die Herausforderung
Jetzt ist es so, dass die Leute bei uns in der VM nicht „Schlange stehen“. Was tun? Der natürliche Reflex ist der Notfall. „Wer kann jetzt ganz fix …“ Willige Leute gebraucht! Was passiert, wenn man Leute, die nicht „Nein“ sagen können in Aufgaben und Verantwortungen bringt, für die sie keine Leidenschaft, wenig Begabung und noch weniger Zeit haben? Richtig: wir verbrennen die Leute und das Thema. Die Langzeitfolgen: Erschöpfung. Enttäuschung. Rückzug und manchmal eine bittere Wurzel im Herzen. Zynismus. Ignoranz und Apathie. „Ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht!“
Die Alternative?
In Mannheim arbeiten wir intensiv an der Kultur. Kultur, für mich die Summe unserer Haltungen und Handlungen. Das, woran wir glauben. Wie wir miteinander leben und was wir verteidigen. Wir malen Bilder, träumen und wollen die lieben Leute der Kirche für die Zukunft, die Gott für uns geplant hat, anzünden. Gestern hatten wir wieder sehr, sehr starke „Momente des Himmels“ während der Predigt und dem Worship. Richtig stark! Die Resonanzen ist überwältigend! Da geht was.
Die Idee dahinter: wenn wir von IHM angezündet sind, stellt sich eine wesentliche Voraussetzung in uns ein, um mit Begeisterung und Energie auch längerfristig am Start zu sein. Wir wollen Menschen nicht für Dienste benutzen, sondern sie in ihre Berufungen begleiten. Wenn dieser Traum von Gott in ihnen erwacht und sie sehen können, was der Himmel mit der Ortsgemeinde im Sinn hat, dann geht was. Absolut.
Am letzten Mittwoch hatten wir so einen Abend mit unseren Mitarbeitenden. Richtig viele Leute kamen. Wir träumten, inspirierten und sprachen offen über die Fakten. Auch über die Dinge, die uns nicht schmecken. Und dann malte ich Bilder der Zukunft mit Worten und einem brennenden Herzen.
»In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst!« | Augustinus
Die Energie stieg merklich im Raum. Die Begeisterung sprang über, der Geist Gottes öffnete uns den Himmel. Immer häufiger erleben wir das in unseren Treffen. Alles gleichzeitig: große Lücken und besondere Momente, die unsere Herzen packen und anzünden. Es geht was, Schritt für Schritt! Im Nachgang zum Mittwoch kamen Rückmeldungen, die uns Verantwortlich packen und motivieren: Leute steigen wieder ein. Verbindlichkeit nimmt zu. Verfügbarkeit wächst. Das Feuer beginnt zu brennen! Hier gibt es die Folien vom Abend, wenn es dich interessiert.
Notfall oder chronische Probleme?
Wir verfolgen einen klaren Plan: Die „chronischen Themen“ unserer Kultur als VM stehen im Fokus. Wenn wir sie angehen, fördern wir die eine langfristigen Kulturveränderung der Gemeinde. Das macht Sinn. Nur mit langfristigen Perspektiven können wir die Veränderung gesund und stabil vorantreiben.
Die chronischen Probleme von Heute bestimmen unsere Zukunft. Die anhaltenden Veränderungen der letzten Jahre, die oft schleichend verlaufen, haben uns im Laufe der Zeit dahin gebracht, wo wir jetzt sind. Das gilt für jeden persönlich, als auch für Organisationen, Betriebe oder Konzerne. Die Veränderungen im Gemeindebau zum Guten oder Mühsamen sind oft ein „chronischer Prozess“. Die meisten von uns sterben an „chronischen Krankheiten“, las ich irgendwo. Also wenden wir uns den chronischen Themen zu und fokussieren auf unsere Prios!
Unser aktueller Fokus?
Die junge Gemeinde. Kinder – junge Erwachsene und Musik. In Verbindung mit Familien. Hier ist der Gemeinde eine offene Tür geschenkt. Diese Stärken werden wir stärken und dadurch Ressourcen in der Zukunft schaffen, mit denen wir die anderen Themen Zug um Zug angehen. Hier wollen wir aufrüsten und unsere Ressourcen hinlenken. Wir werden Berufungen erkennen und aussprechen, weil „Gottes Methode“ Menschen sind.
Ich denke, dass wir wohl wenigstens 1,5 – 2 Jahre benötigen, um ein stabiles Fundament für das nächste Kapitel der Gemeindegeschichte zu gründen. Und wie das bei einem Fundament ist: zunächst sieht man wenig, während andere Kirchen wie tolle Leuchttürme emporsprießen. Auch in unserer Region. Das müssen wir jetzt aushalten. Mit einem Traum. Einem Bild der Zukunft, das uns begeistert und mitnimmt.
Was würde passieren, wenn wir auch nur einen Bruchteil unserer Zeit, Energie und Aufmerksamkeit auf das „Chronische“ statt auf das „Dringende“ verwenden? Pareto und Eisenhower würden uns feiern.