Wer Leitungsverantwortung in Kirche und Gemeinde übernimmt, trifft auf einen anderen Kontext, als das im beruflichen Umfeld der Fall ist. Es gibt eine ganze Liste von Unterschieden. Doch dieser Unterschied, um den es in diesem Beitrag jetzt geht, ist besonders! Seine Auswirkungen sind erheblich:
Einfach leiten – den Kontext verstehen!
Um die guten Prinzipien und Gedanken zur Führungsaufgabe angemessen in den Kontext von Kirchen, Gemeinden, Gemeinschaften, Vereinen, … anwenden zu können ist es wichtig, einige besondere Rahmenbedingungen zu verstehen. Beginnen wir direkt:
Das Ehrenamt
Führungskräfte in der Kirche, treffen überwiegend auf ehrenamtlich Mitarbeitende. Mehr noch: viele Führungskräfte sind selbst im Ehrenamt für ihre Kirche und Gemeinde aktiv. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied im Kontext der Aufgabe, der viele Auswirkungen mit sich bringt, die verstanden werden wollen.
Führungskraft – „nur“ in der Kirche?
Beispiel: Jemand ist ein guter Mitarbeiter in seinem Betrieb. Er oder sie ist Teil eines effektiven Teams. Vielleicht ein Spezialist. Geschätzt bei Kollegen, Vorgesetzten, externen Partnern und Kunden. Der Mitarbeiter nimmt anspruchsvolle „Ausführungsaufgaben“ war. Als Facharbeiter, Ingenieur, Vertriebler, Handwerker, Selbstständiger, Kreativer, Assistent von …, soziale Arbeit …
Eine wichtige Aufgabe, aber eben keine ausgeprägte Führungsaufgabe. Im kirchlichen Umfeld rutscht diese Person nun in so eine Rolle, für die sie sich im beruflichen Umfeld (noch) nicht empfohlen hat.
Sein Chef, seine Kollegen … kamen bisher nicht auf die Idee, dass diese Person sich für eine Führungsrolle eignet. In der Kirche wird das auf einmal anders gesehen! Eine Tür geht auf. Jetzt wird diese Person durch die Leute der Gemeinde ermutigt, sich der Aufgabe zu stellen. Wie kommt das?
»Wie kommt das?« Die Frage „an sich“ zu durchdenken, ist schon einmal ein richtig guter Ansatz!
Hier einige mögliche Gründe als Denkanstöße. Es gibt bestimmt noch viele weitere Gründe. Die Kommentarfunktion bietet Platz für Deine Ergänzungen.
- Mangel. Mitarbeiternot. – Sind wir froh über jede Person, die anpacken will?
- Unter den „Blinden ist der Einäugige …“. – Haben wir weniger Leute mit erkennbarer Leitungsbegabungen in unsere Reihen?
- Sind die Anforderungen zu niedrig, nicht der Aufgabe angemessen? – Nehmen wir die Aufgabe wichtig genug?
- Die Erwartungen: Zeit, Engagement … – geeignete Kandidaten, (z.B. solche, die beruflich schon in Führungsaufgaben stehen) winken ab, weil sie in Beruf, Familie … schon sehr gefordert sind! Weniger geeignete Leute übernehmen die Aufgabe, weil es keine echten Alternativen gibt!
- Richtiger Familienname. – Haben bestimmte Familien zu viel Einfluss in unseren Reihen, so dass sie (aus welchen Beweggründen auch immer) Familienmitglieder installieren können, die aber für die Rolle nicht wirklich geeignet sind?
- Hat sich hochgedient. – Fühlen wir uns moralisch „schuldig“ fleißigen, hingegebenen, treuen … Leuten eine Rolle zu verweigern, für die sie nicht geeignet sind, nachdem sie jetzt „so viel und so lang“ bereits investiert haben?
- Angst – Trauen wir uns nicht die Kandidaten mit der Wahrheit zu konfrontieren, dass sie nicht (singen, spielen, mit Menschen umgehen, leiten, kochen …) können?
- …
Was passiert jetzt?
Jemand, der beruflich nicht in eine Führungsrolle kommt, übernimmt diese Aufgabe in der Kirche. Wie könnte sich das entwickeln? Drei Szenarien:
Das verborgene Talent!
A Star is Born! Das wäre der Volltreffer. Die Person, die vermeintlich wenig Führungspotential hat, entwickelt Zug um Zug ein Talent. Eine Gabe und Fähigkeit tritt zutage, die bisher nicht zu erkennen war. Das passiert gar nicht so selten.
Woran liegt das? Das vertrauensvolle und ermutigende Umfeld, in dem die Person erste Schritte wagt, die Begleitung und Ermutigung durch einen erfahrenen Mentor, der an sie glaubt und auch aktiv fördert, hat sie bestärkt. Und alle erkennen: Gott hat sie zu dieser Aufgabe berufen und begabt (1. Kor. 12,28).
Das Talent, das bisher verborgen war, wird nun sichtbar. In kleinen Schritten vielleicht, aber das wäre nicht tragisch. Dieses Trainingsumfeld, ohne übermäßigen Leistungsdruck, ist die Chance! Bedenken werden überwunden, Fähigkeiten trainiert. Die eigene Performance wird offen reflektiert und dann beständig verbessert. Die Folge: Unsere Frau, unser Mann entfaltet sich.
Sogar im beruflichen Kontext fällt das auf und hat Auswirkungen. Die Teamleiterrolle. Eine Projektverantwortung. Das, was im gemeindlichen Rahmen eingeübt wurde, bleibt auch den Kollegen und Vorgesetzten nicht verborgen. Mitarbeit in der Kirche als ein Trainingslager zukünftiger Führungskräfte? Das ist doch mal ein Punkt. Perfekt. 100 Punkte.
Der Schatz mit dem guten Herzen!
Ein auffälliges Talent zeigt sich nicht. Von Führungspotential zu sprechen, wäre übertrieben. Obwohl unsere Person ihr Bestes gibt. Sie hängt sich wirklich voll rein. Lässt sich etwas sagen. Denkt über Prozesse, Ergebnisse und Menschen nach. Bildet sich fort. Liest. Hört Podcasts. Besucht Fortbildungen. Ihr Verständnis von der Führungsaufgabe wächst. Sie sieht ihre Grenzen, aber auch ihren Beitrag. Das ist richtig gut, ist sehr wertvoll und findet Anerkennung. Und es hat auch einen Nutzen!
Aber wir müssen ehrlich reflektieren: Gleichzeitig tun sich Lücken auf. Aufgaben werden nicht wirklich gut erledigt. Teams entwickeln sich eher schleppend. Die Kommunikation gelingt nur teilweise. Die Folge: Menschen werden frustriert, ziehen sich zurück. „A-Personen“, Beweger, Entwickler …, fühlen sich nicht angezogen. Geeignete Leute für das Thema, den Bereich, die Gruppe, das Projekt … lassen sich nicht gewinnen. Oder nur für eine kurze Zeit.
Weil unsere Person das Beste für die Kirche sucht, ist sie offen. Offen für Leute, die geeigneter für die Aufgabe sind. So würden sie in die zweite Reihe zurücktreten, wenn die passenden Leute auftauchen. „Es geht nicht um mich!“ – ist ihre Haltung. Ihre Absicht: Fähige andere Leute der Kirche fördern, den Weg bahnen und dann aus dem Weg gehen. Das ist eine starke Gesinnung. Wenn eine Kirche mit solchen Leuten beschenkt ist … Was für eine Zukunft ist da möglich? Ich denke an Barnabas in dieser Rolle für Paulus. Kein Paulus ohne diesen Barnabas, oder?! Die Bühne für andere bauen, ohne bitter zu werden oder in Selbstmitleid zu versinken, wenn andere dann „erfolgreich(er)“ sind.
Solche Leute sind Glücksfälle für die Kirche! Sie bahnen einen Weg. Sie schaffen Voraussetzungen. Sie bilden eine Brücke in eine großartige Zukunft. Warum? Weil sie dafür sorgen, dass eine Kultur der selbstlosen Ermutigung, Förderung und Entwicklung wächst. Und wenn sie aus dem Weg gehen, weil geeignete Leute am Start sind, bleiben sie in der zweiten Reihe und gehören zu deren größten Fans. Was ist das für eine Atmosphäre, ein Miteinander und eine Kultur, die da in Gemeinden möglich ist! Hammer. Ein Traum!
Das Problem!
Nun kommen wir auf eine Person zu sprechen, deren Haltung sich auf Dauer als Problem herausstellt. Ich will es offen ansprechen, weil doch wenig darüber gesprochen und geschrieben wird. Es wirkt fast so, als ob es das nicht gäbe! Das Gegenteil ist wahr.
Ich spreche von Leuten, die beruflich nie für so eine Rolle in Frage kämen, aber in sich ein starkes Bedürfnis haben, diese „Macht“ zu haben und/oder zu dieser „Ehre“ zu kommen. Für sich, oder ihre Familie. Das Neue Testament berichtet offen von der Mutter des Johannes und Jakobus. Sie wünscht sich, dass ihre beiden Sprösslinge zur rechten und linken von Jesus in seinem Reich Gottes einen Platz bekommen! Mütter, aber auch Väter, haben zuweilen schwierige Ambitionen. Für sich und ihre Abkömmlinge. Das hat schon bei Jesus zu einem dicken Problem geführt, wie Matthäus hier berichtet.
Also, wir sprechen von Leuten, die in die Aufgabe der Leitung drängen, wobei sie beruflich kaum eine Chance auf so eine Rolle haben. Und auch sonst im Leben bislang nicht für diese Rolle gesehen wurden. Aber in der Kirche (könnte auch in einem Verein … so gehen), da könnte es gelingen! Es wird deutlich: wir stoßen möglicherweise auf ein Selbstwertproblem.
Die Kirche wird zu ihrer Spielweise. Ihr Reich, in dem sie regieren. Eine Anerkennung bekommen, die sonst versagt bleibt. Was uns zum Problem bringt: Identität. Es ist immer ein Problem, wenn eine Führungsaufgabe angestrebt wird, um eine Identitätsfrage zu lösen. Minderwertigkeit ist oft verborgen. Sie kann in einem besonders starken, selbstgerechten und dominanten Verhalten ihren Ausdruck finden.
Wenn das Raum greift, werden diese Menschen mit ihrer inneren Haltung zu einer Blockade. Zu einem Problem, das die Kultur der Kirche verseucht. In der Rolle als Verantwortliche werden sie Verhinderer, Stolpersteine, „älteren Brüder“ (Lukas 15), „Pharisäer“ … und somit zu einem Problem in der Kirche! Zum „Elefanten im Raum“, den kaum einer wagt anzusprechen. Oft haben sie theologische Argumente im Köcher, spielen sich als Hüter der wahren Lehre auf und halten die Kirche im Würgegriff. Das geht auch mit „richtig demütiger Fassade“.
Erstaunliche Ängste vor solchen Leuten sind in den Reihen der Gemeinde auszumachen. Man fühlt sich schlecht, wenn man ihnen ein Stoppschild setzt. „Das kann man doch nicht machen. Das gehört sich nicht …“ Und so kommen sie durch. Immer wieder. Immer neu. Obwohl viele leiden. Das darf nicht sein! „Sie setzten sich so intensiv für die Kirche ein, spenden viel Geld, springen in die Lücken … wir verdanken ihnen so viel.“ ist das falsche Argument. Das mag stimmen, das mit der Hingabe an die Gemeinde. Aber vor dem Schaden, den sie mit ihrer schwierigen inneren Haltung anrichten, verschließen wir die Augen!
Seit Jahrzehnten beherrschen sie ihr Feld, manchmal sogar als Kirchenälteste, die auch mit 75 noch nicht abtreten möchten und auch nicht wollen, dass sich etwas verändert. Warum ist es so schwierig für sie?
Identität! Alle Sachgespräche werden mit diesem Ohr gehört, weil sie in der Rolle stehen, um ihre eigene Identität zu finden. Ich „bin“ der Gemeindeleiter. Das gibt es übrigens auch auf der Seite der hauptberuflichen Mitarbeiter, Leiter und Pastoren in der Kirche!
Wie gesagt: Das sind nur mal drei Szenarien. Es gibt noch mehr.
Nur eine Seite der Medaille
Um den Kontext gut zu erfassen, müssen wir weitere Perspektiven einnehmen. Im nächsten Beitrag gehen wir der Frage nach was passiert, wenn eine fähige, professionelle Führungskraft eine ehrenamtliche Leitungsaufgabe übernimmt.
EINFACH LEITEN – Die Serie auf dem Leiterblog
Teil 1
Und hier die lockere Podcastfolge zum Beitrag 😉
Ich finde, diese Aspekte in der Aufgabe als Leitende sind sehr sachlich und behutsam dargelegt, Sie trauen sich alle wichtigen Aspekte anzusprechen. Großartig und sehr hilfreich, davon bin ich überzeugt. Herzlichen Dank und viel Segen für Sie und Ihre Arbeit!
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