Führungskräfte sollten erfolgreich sein! Das ist gefordert: sei effektiv, positiv, zuversichtlich und stark. So sind ja die Leiter, die auf die Bühnen der Konferenzwelt kommen! Die eingeladen werden, Bücher schreiben und gefeiert sind. Oder besuchst Du Konferenzen mit Leuten auf der Bühne, die wenig zustande bringen? Und ja, wenn ein Leiter nicht wirksam tut, was seiner Aufgabe entspricht, warum sollte er oder sie dann in der Rolle bleiben? Doch manchmal ist alles nicht so einfach.
Wenn ist, was nicht sein sollte!
Ja was macht man dann? Sich verstecken? So tun »als ob« alles »in Butter« wäre, obwohl die (innere) Wirklichkeit dem nicht entspricht. Ich treffe immer wieder auf zwei Extreme:
- Schwachheit, Versagen und Unvermögen zelebrieren. Man glorifiziert das, was nicht gelingt und betrachtet jeden, der von Erfolg und Dynamik spricht, mit überheblicher Skepsis. Das kann ja nicht sein …
- Erfolge, positive Sprüche und eine gewisse »Celebrity Kultur« feiern. Alles wird mit Superlativen belegt, ist mega-cool, sensationell, … Gold, ist so ein Modewort. Bekannte und gute Wahrheiten, die der gehypte Leader zum Besten gibt, ist GOLD. Nervt auch, oder?
Wie sieht es aber aus, wenn Störungen die Führungskraft plagen. Was ist, wenn sogar geistliche Leiter, Pastoren, Konferenzredner … mit Alkohol kämpfen, Zwangsstörungen haben, Tabletten brauchen, Drogen einwerfen, Grenzen überschreiten …?
Sehr viele bekanntere Persönlichkeiten der christlichen Szene sind jäh gestolpert, über das, was nicht sein sollte, aber doch irgendwie wohl da war. Nicht nur Bill Hybels ist jetzt zu nennen, obschon er natürlich sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat.
Volker Halfmann ist so ein Pastor …
… der im Verborgenen fette Baustellen hatte. Und immer noch kämpfen muss. Der von seinen Problemen nicht nur in Vergangenheitsform reden kann, wie das in erfolgreichen Kreisen üblich ist. Adrian Plass sprach das schon vor vielen Jahren in seinen genialen Tagebüchern eines frommen Chaoten an.
Mein goldener Sprung in der Schüssel
Ich habe das Buch mit dem besonderen Titel im Sommer in einem Rutsch durchgelesen. Am Anfang dachte ich, dass hier mal wieder unkritisch gefeiert wird, wenn jemand zerbrochen ist. Und jeder, der von Heilung und Wiederherstellung spricht, wird verdächtigt ein Schwärmer zu sein. Aber das war dann doch nicht so. Halfmann berichtet offen, ehrlich und erschütternd von seinen Zwangsstörungen, seinem Weg in die Alkoholabhängigkeit und dem Doppelleben, das er als Pastor entwickelt. Er schildert das Leiden seiner Familie, spricht von seinen hoffnungslosen Stunden, geistlichen Erfahrungen und therapeutischen Erfahrungen.
Es zerbricht, was er als Traum zu Beginn seines Weges mit und für Gott erhofft hatte. Er zerbricht, fast. Er muss seinen Job als Pastor aufgeben, geht zu Gott auf Distanz, bricht mit seiner kirchlichen Sozialisation, lebt als Atheist … Wie tief geht die Reise noch, fragt man sich immer neu bei der Lektüre. Und bekommt einen Spiegel vorgehalten, der das eigene Herz zeigt. Andere Themen, andere Nöte, sicher. Aber irgendwie ist das auch nicht so unbekannt, worüber der Autor so ehrlich berichtet.
Gottesbild: so entscheidend!
Ein Knackpunkt ist sein Bild von Gott. Nach über 30 Jahren als Pastor denke ich, jo, dass ist einer der entscheidenden Punkte, ob ich in Zwänge gerate durch meinen Glauben oder in die Freiheit finde. Wie sehe ich Gott? Kann ich ihn so sehen, wie Jesus ihn zeigt? Oder hänge ich in einem Gottesbild fest, dass mir vermittelt wurde, aber nicht zutreffend ist?
Schönheit in Zerbochenheit
Volker Halfmann entdeckt, dass der Schatz von Gott in irdenen Gefäßen sein möchte, auch wenn diese einen Sprung haben, oder sogar zerbrochen sind. Das Bild, das er dafür gebraucht nennt sich Kintsugi. Das ist eine japanische Reparaturmethode für Keramik. Risse und Brüche in der Keramik werden nicht kaschiert, genau das Gegenteil wird gemacht: die Scherben werden mit einem speziellen Lack zusammengeklebt und diese Klebenähte anschliessend durch Gold oder Silber noch betont. So macht das Gott mit unsere Zerbochenheit. Könnte unsere Zerbrochenheit am Ende eine Schönheit ausstrahlen, die überwältigt?
Am Ende heil, aber anders …
Am Ende ist das Gefäß wieder heil und einsatzbereit. Es kann seine Wirksamkeit einbringen, ist sozusagen erfolgreich zu nutzen und schön anzusehen. Wirksamkeit und Zerbrochenheit sind kein Widerspruch, wenn die Zerbrochenheit in die Hände von Gott kommt. Das ist die Hoffnung für jeden von uns. Jeder Leiter hat eine großartige Möglichkeit in Freiheit zu leben. Das Gottesbild entscheidet: Anerkennen wir die eigene Widersprüchlichkeit, Zerbrochenheit und Not? Gehen wir vertrauensvoll damit zu Jesus? Er macht was richtig schönes daraus!
Die Kirche, eine heilende Gemeinschaft?
Und wie wäre es, wenn das die Grunderfahrung von Kirche in diesem Land wäre? Nicht die polierte, perfekte und ideale Persönlichkeiten, Events und Churches, die hochauflösend in den Medien erscheinen? Sondern die veredelte, polierte, geheilte Zerbrochenheit, die durch die Gnade von Gott Räume eröffnet, in denen wir ehrlich, aufrichtig und mutig aufatmen und durchatmen können. Und so einen Unterschied in unsere Welt tragen. In unser Miteinander, die Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Vereine … Ich bin überzeugt: Genau das will Gott an uns, in uns und mit uns Christen schenken. Er liebt diese Welt, deshalb will er sie berühren und heilen.
Volker Halfmanns Geschichte ist eine starke Ermutigung auf dem Weg. Ich kann sie jedem Leitenden nur ans Herz legen.
Mein goldener Sprung in der Schüssel
Wie ich als Pastor mit meinen Zwangsstörungen und der Alkoholabhängigkeit lebe,
Volker Halfmann
272 Seiten, SCM R. Brockhaus, EUR 16,99