„Gib deinem Diener ein Herz, das hört, damit er deinem Volk Recht verschaffen und unterscheiden kann zwischen Gut und Böse“ (1. Könige 3. 9).
Vor Amtsantritt erscheint Gott dem König Salomo im Traum und spricht: „Erbitte, was ich dir geben soll.“ Was wäre Ihr Leiterwunsch? Zunächst rückt Salomo mit seiner gegenwärtigen Befindlichkeit heraus: „Herr, du hast deinen Diener an Stelle Davids, meines Vaters, zum König gemacht, ich aber bin noch ein kleiner Junge. Ich weiss nichts vom Ausrücken und Einrücken.“ Wir kommen uns manchmal klein und unfähig vor, wenn wir unseren Vorgängern, die manchmal Väter, gar Überväter sind, in der Führungsverantwortung nachfolgen. Wie im Kriegshandwerk, so werden wir auch im Ernstfall der Führungspraxis ins Wasser geworfen. Hier gilt immer „learning by doing“. Gott fragt den Anfänger: „Was soll ich dir mit auf den Weg geben?“ Salomo: „Gib deinem Diener ein Herz, das hört.“ Wozu, so fragen wir Salomo, soll ein hörendes Herz den gut sein? Antwort: „Damit er deinem Volk Recht verschaffen und unterscheiden kann zwischen Gut und Böse.“ Als Leitende brauchen wir sowohl für das Alltagsgeschäft wie für die grossen Linien unseres Leitens ein hörendes Herz. Ich möchte das am Thema Konfliktmanagement und Unternehmenspolitik aufzeigen.
Konfliktmanagement
Ein hörendes Herz hört tief hinein und durchdringt die Sachebene des Streits. Es horcht unter das unheilvolle Beziehungsgeflecht der Mitarbeitenden und vernimmt je die spezifische Not jedes Teammitglieds, die im gemeinsamen Konflikt so unterschiedlich aussieht. Hinter dem vordergründigen Gezänk des Teams hört das Leiterherz den Schmerz der ganzen Gruppe. Ein hörendes Herz vernimmt hinter dem Lärm der Streitenden das Ächzen des Systems, welches das Zerwürfnis mitprägt, vielleicht sogar verursacht.
Das hörende Herz einer Leiterin, eines Leiters bleibt aber nicht bei Beweggründen stehen. Es ist beweg. Es will bewegen. Der Kopf denkt kausal. Das Herz schlägt final, lösungsorientiert: „Damit er deinem Volk Recht verschaffen kann.“ Jeder im Team soll sein Mass, sein Recht erhalten. Es sollen faire und nachhaltige Lösungen entstehen, heilvollere Strukturen, die die Zusammenarbeit weniger störungsanfällig machen. Die Haltung des „hörenden Herzens“ ersetzt nicht Handlungskompetenzen der Konfliktlösung, die wir uns führungsmässig anzueignen haben. Aber mit der Grundhaltung des „hörenden Herzens“ wenden wir alle diese „tools“ in die richtige Richtung hin an. Sie macht uns kreativ, dass wir nicht nur Probleme lösen, sondern uns unerhört erhörte Lösungen schenken lassen.
Gabe der Unterscheidung
„Damit er unterscheiden kann zwischen Gut und Böse.“ Ein Herz, das hört, wird ethisch urteilsfähig. Es anerkennt die Kategorien von Gut und Böse. Wer hört, lässt sich etwas sagen. Was sagt das Gesetz? Was ist fair? Was dient allen Interessensgruppen wirklich zum Guten? Gott, wie denkst du darüber? Für eine Unternehmenspolitik könnte das etwa heissen, dass schwarze Zahlen kein Grund sind, rote Linien zu überschreiben. Manchmal wünschte ich in der Zeit Salomos zu leben, wo man offenbar noch dual denken konnte und zwischen Gut und Böse so klar unterscheiden konnte. Wir haben es in unserem Führungsalltag nicht immer mit Schwarz oder Weiss zu tun. Aber brauchen wir angesichts der Komplexität und der ethischen Dilemmas, in denen wir uns bewegen, die uns von oben her geschenkte Unterscheidungsgabe nicht noch dringender? Auch in der Formulierung einer Unternehmenspolitik oder in Entscheidungsprozessen gib es bewährte Managementtechniken. Wir haben uns dieses Können anzueignen und es auszuüben. Wohl uns, wenn wir nicht nur dieses Handwerk beherrschen, sondern uns gleichzeitig – so quasi als „Unterbau von oben“ – ein Herz schenken lassen, das hört.