Update Mannheim: Ein dickes Brett bohren! (2)

Was macht das „Brett“ in Mannheim so dick? Hier kommt der Bericht aus dem sechsten Prozess der Gemeindeerneuerung, zu dem meine Frau und ich angetreten sind. Letzte Woche sprach ich im ersten Teil über die motivierende Seite des Prozesses. Das was begeistert, gut läuft und anspornt. Heute nun ein offener Einblick in die Herausforderungen, die nicht nur mit „Corona“ zu tun haben.

Fakten sind Freunde!

Ja, aber nicht alle Fakten sind freundlich! Trotzdem gilt es der Wirklichkeit ins Auge zu schauen. Ich vergleiche das mit einem Navi: Zuerst bucht es sich bei einem Satelliten ein, bestimmt so den eigenen Standort und wird „funktionstüchtig“. Dann gibt man das Ziel ein und das Navi berechnet die Reiseroute. Macht Sinn, oder?! Denn was nutzt die schönste Planung der Route, wenn man seinen Ausgangspunkt nicht kennt?! Mit dem Bild bin ich in allen Prozessen der Gemeindeerneuerung unterwegs, seit 1988. Und so startet auch die Sache in Mannheim.

Ressourcen klären

Ein nächster Schritt ist die Klärung, wie wir reisen werden: zu Fuß, mit dem Auto, der Bahn, dem Fahrrad … Oder anders gefragt: Welche Ressourcen stehen uns zur Verfügung? Ich finds klasse, wie viele junge Kirchen mit ihren motivierten jungen Erwachsenen in kürzester Zeit richtig viel bewegen.  Oft in den Großstädten des Landes. Als ich in meinen 20er und 30er Jahren war, ein junger Pastor, war das ein Traum für uns. Zurück zur Ressourcenfrage:

Was ist, wenn uns diese Ressourcen in der Form nicht zur Verfügung stehen? Übertragen gesagt: wenn wir kein schnelles Auto vorfinden, mit dem wir die Reise antreten können. Und dann? Dann schaue wir eben, was zur Verfügung steht. Ein Fahrrad? Oder für den ersten Teilabschnitt ein Fußweg? Da hilft kein Jammern. Wer auf dem Land, vielleicht in „Meckpomm“, Kirche baut, oder im Ahrtal, der hat andere „Möglichkeiten“, als ein Team in Köln, München, Berlin oder Stuttgart!

Warum der Blick hinter die Kulisse?

Wenn ich jetzt konkret von der VM Mannheim berichte, dann solltet ihr lieben Leser noch einmal wissen, dass das mit der Leitung der Kirche so besprochen ist und wir unsere VM in diese Fakten mit hineingenommen haben.

Warum teilen wir das offen? Weil es viele Kollegen, Mitleiter, Mitarbeiter und Gemeindebauer gibt, die durch ähnliche Herausforderungen müssen wie wir. Ich höre, dass es immer mehr junge Leitende gibt die mit dem Gedanken spielen, hinzuwerfen. 1/3 der jungen hauptamtlichen Leiter in Kirchen, Freikirchen, Gemeinschaften … sollen diese Gedanken haben, berichten Studien. Keine Ahnung, ob das wirklich so ist. Egal! Wir wollen euch ermutigen den Weg zu gehen, auch wenn die Herausforderungen gerade groß sind.

Aber es bleibt dabei: Die Kirche von Jesus hat eine gute Zukunft. Gott gebraucht uns. Entmutigung ist eine „scharfe Waffe“ des Gegners. Lass nicht zu, dass sie bei Dir ihr Ziel erreicht! Übernimm Verantwortung. Und wenn ihr dann an uns in der Kurpfalz denkt könnt ihr sagen: „die in Mannheim müssen auch ganz heftig ran!“ Wenn euch das zur Ausdauer inspiriert, würde uns das mega freuen. Wir sind gemeinsam im gleichen Boot. Das Beste liegt noch vor uns. Ganz sicher!

VM Mannheim – Ein offener Einblick!

Im November / Dezember 2020 klärten wir in Besuchen, vielen Video-Calls und Gesprächen, wie ein gemeinsamer Weg aussehen könnte. Motivierte, engagierte, fleißige Mitarbeitende begegneten mir und meiner Frau. „Es wäre mega, wenn ihr kommen würdet!“ Tolle Ermutigungen. Andere meinten: „Wir ziehen voll mit. Ihr könnt auf uns zählen!“ Noch bei der Einführung wurde uns gesagt, dass das „Haus sehr gut bestellt sei und in Kürze eine große Entwicklung, auch und gerade in der Anzahl der Leute, zu erwarten sei.“

Ich muss sagen, dass wir über die Jahre eher zurückhaltend und skeptisch gegenüber dieser Art Aussagen geworden sind. Warum? Sie sind einerseits sehr ermutigend und positiv gemeint. Auf der anderen Seite sieht die Realität, auch die geistliche Realität, oft etwas anders aus. Wir waren gewappnet. Aber – ehrlich gesagt – das Ausmaß von dem, was wir de facto antrafen, war … hm, lest selbst:

Überraschung! 😬

Nachdem wir alles klar gemacht hatten und „im Anflug auf Mannheim“ waren, kündigte der Leiter des Lobpreisbereichs an, – der mich noch im November ermutigte hatte zu kommen -, dass er jetzt eine andere Berufung habe und mit seiner Frau in Kürze die Gemeinde verlassen werde. Ups.

Kurz darauf kündigte der Hausmeister an, seinen Mini-Job zum 31.8. zu beenden (unser Gemeindezentrum hat ca. 2.500 m2 !). Für das Protokoll: Es gab über den Hausmeister hinaus kein Team für das Thema! Keinen, der sich „natürlicherweise“ um die Fragen rund um Haus- und Hof kümmert. Kein Renovierungsteam, kein Bauteam … Ups 2!

Schließlich: die angestellte Mitarbeiterin im Büro, die mich in die Verwaltungsabläufe einführen und im Prozess des Onboardings unterstützen sollte, fiel ca. 3 Wochen nach meinem Start aus und ist seither krankgeschrieben. Perspektive: irgendwann 2022. Vielleicht.

Einen Verantwortlichen für die Kleingruppenarbeit, die für eine stabile Kirche unverzichtbar ist, fand ich nicht vor. Der Stellvertreter in dem Bereich informierte mich, dass das eigentlich nicht so „sein Ding“ ist und er gerne aus dieser Rolle aussteigen würde. Da wir Berufungen verwirklichen und nicht Positionen einfach besetzen wollen war klar, dass ich das verstehen und unterstützen wollte. Obwohl es die Situation verschärfte.

Die Leiter der Royal Rangers (Pfadfinderarbeit) kamen dann noch auf mich zu um mir zu sagen, dass der Stammwart (stellvertretende Leiter der Arbeit) ausscheiden würde, aktuell nur noch wenige Mitarbeitende da wären und man über Corona auch noch sehr viele Kinder verloren habe. Es gäbe jetzt de facto keine wirkliche Grundlage, auf der die Arbeit weiterzuführen wäre. Ein Neuaufbau sei nötig. Zu erwähnen ist noch, dass die Gemeinde für die Pfadfinderarbeit ein Gelände von ca. 3000 m2 nahe Mannheim zur Verfügung hat, das natürlich versorgt werden muss.

Was kommt noch, fragte ich mich. Sollte ich das Buch Hiob noch einmal zur Hand nehmen? 🙈 Spoiler Alert: das war leider noch nicht das Ende der Fahnenstange!

Und weiter?

Das war also der Empfang! Jetzt wollte ich es genau wissen. Mit der Gemeindeleitung erarbeiteten wir eine Übersicht im Raster:

Pflicht – Kür

Pflicht – Kür! Was braucht es unbedingt, damit die Gemeinde „funktioniert“ (Pflicht)? Was wäre wertvoll zu haben, ist aber für die VM momentan „nicht überlebensnotwendig“ (Kür)?

Zunächst schauten wir auf die Grundstruktur. In etwa 6 Bereiche konnten wir die Gemeinde gliedern, die selbstverständlich ineinander greifen und zusammenwirken:

  • Junge Gemeinde (Kids, Teenies, Jugend …)
  • Kleingruppen (Angebote für Erwachsene, Jüngerschaft, Schulung …)
  • Gottesdienste (Events aller Art mit allen unterstützenden Diensten)
  • Öffentlichkeitsarbeit (Vom Flyer, über die Infomails bis hin zu den sozialen Medien, der Homepage, Fototeam, Videoteam, Werbung, Presse usw.)
  • Haus u. Hof (Hab ich schon erwähnt, dass das Gemeindezentrum 2.500 m2 umfasst mit unzähligen praktischen Themen und Fragen … Ach ja, hatte ich 😁)
  • Verwaltung (Büro, Finanzen, Versicherung …)

Von diesen sechs Bereichen haben nur die Hälfte eine verantwortliche Leitung. Das ist schon mal gut. Eigentlich. Denn genau genommen mussten wir feststellen, dass ein Ehepaar zwei Bereiche verantwortet. Daneben stehen diese engagierten Leute in weiteren Rollen in der VM und tragen auch beruflich viel Verantwortung. Der dritte Bereich ist bei mir als neuem Pastor gelandet. Für die drei weiteren Bereiche gibt es zur Zeit keine Köpfe. Kleinere Kirchen kennen diese Situation sicher sehr gut.

Ernüchternd!

Etwa 36 einzelne Themen, Gruppen u. Initiativen konnten wir dem Stichwort „Pflicht“ zuschlagen. Das braucht es, damit die VM rund läuft.

  • Nur zu etwa 1/3 + der Themen konnten wir eine verantwortliche Leitungsperson identifizieren,
  • noch seltener war eine Person zu benennen, die die Aufgabe der Stellvertretung wahrnimmt.
  • Wir sahen: Vieles hängt an Wenigen! Gar nicht gesund im Gemeindeaufbau!
  • Fast 2/3 der Themen, Gruppen, Anliegen, die wir unbedingt am Start haben müss(t)en, hatten und haben keine verantwortliche Leitungsperson! Darunter solche großen Themen wie „Haus und Hof“, Verwaltung, Kleingruppen

Echt herausfordernd! Für uns alle, nicht nur für das neue Pastorenehepaar! Wie bearbeitet man so eine Baustelle in Zeiten von Corona?

Spoiler Alert: Systeme und Strukturen sind nicht die Hilfen, die es jetzt braucht! Was dann? Menschen! Berufene Persönlichkeiten, die ein Thema verantwortlich nehmen und ein Team bauen. Sie bewirken den Unterschied, der jetzt nötig ist. Die „Regel“ lautet: Zuerst die richtigen Personen, dann Prozesse, Strukturen und Systeme.

Bittere Konsequenzen

Den Livestream mussten wir kurzfristig einstellen, da wir auch dafür keinen Kopf finden konnten. Es ist immer ein Unterschied, ob Leute etwas unterstützen, oder ob sie die Verantwortung übernehmen und das Thema „treiben“. (So schade für die Kranken, Älteren und VIP’s, die sonst reinschnuppern könnten.)

Alternativ haben wir den Audiopodcast gestartet, um wenigstens die Predigten zu teilen. SoundCloud, Spotify, Apple Podcast, Google Podcast und auf unserer Homepage.

Wenige, die viel tun!

Andere Themen hängen am seidenen Faden. Unsere Edelsteine, die Schätze der Gemeinde, investieren zum Teil viel zu viel Zeit und Kraft, damit es läuft. Das kann immer nur eine Lösung auf Zeit sein. Sonst wird es sehr ungesund! Auf den Schultern von Vielen baut eine gesunde Kirche auf, die Dynamik, Momentum und Einfluss entwickelt!

Auf den Schultern von Vielen baut eine gesunde Kirche auf!

Berufene entdecken: während Corona! Es ist recht mühsam, überhaupt Leute kennen zu lernen. Dann Beziehungen bauen und Leitungsbegabungen in der Breite zu entdecken, die es jetzt so dringend bräuchte, ist noch einmal eine ganz andere Sache.

Die Perspektive?

„Was machst Du jetzt?“ fragen mich meine Wegbegleiter! Gar nicht so einfach eine Antwort zu darauf zu finden. Ich klärte für mich, was ich nicht machen würde:

  • Schuldige suchen und ärgerlich sein! (Mein Satz, den ich unzählige Male nun schon sagte, lautet: Wir suchen nicht Schuldige, sondern Lösungen!)
  • Nicht in Selbstmitleid verfallen!
  • Nicht in Aktionismus verfallen!
  • Nicht die Kraft des Gebetes unterschätzen!
  • Mich nicht überarbeiten!

Wen es jetzt braucht!

Wir beten um Menschen! Menschen sind Gottes Methode! Bei uns sind Leute richtig, die Verantwortung übernehmen, beitragen und gestalten wollen. Leute, die sich nicht abschrecken und entmutigen lassen. Die bereit sind, den Langstreckenlauf zu laufen. Die träumen und glauben können, dass sich das alles lohnt. Solche selbstlose, fleißige „Hero Maker“ braucht die VM Mannheim, braucht jede Gemeinde. Sie werden zu „Spielentscheidern“.

Was wir glauben!

Sicher haben wir viele Berufene schon in unseren Reihen sitzen! Und andere wird der Himmel bringen. Christen, die in die Stadt ziehen und einen Auftrag mit uns bekommen. Und Menschen, die Jesus bei uns kennenlernen und von IHM eine starke Berufung erhalten. Es wird genial! So wird eine Grundlage wachsen, damit wir anderen großzügig und liebevoll in unserer Stadt dienen können. Das Reich Gottes wird „gewinnen“!

Ich fand die Sätze von Smith Wigglesworth, einem englischen Original der Erweckung, so ermutigend:

  • Großer Glaube ist ein Produkt großer Kämpfe.
  • Große Zeugnisse sind das Ergebnis großer Prüfungen.
  • Große Triumphe können nur aus großen Problemen entstehen.

Soweit der ehrliche Einblick. Wir wären gerne an einem anderen Punkt, sind es aber nicht. Fakten sind Freunde. Auch wenn sie nicht immer freundlich sind.

Unser „Standort“ ist uns in den ersten Monaten recht klar geworden. Auch als Leitung der Gemeinde. Wir stehen zusammen und halten gemeinsam daran fest, dass Jesus mit uns SEINE Gemeinde baut. Er hat eine ganz spezifische Berufung für die VM Mannheim. Wie auch für die anderen Gemeinden der Stadt.

Geführte Route!

So „tippen“ wir mit unseren Gottesdiensten und in vielen Begegnungen zwischen „Tür und Angel“ das Ziel in das „VM-Navi“ ein. Gott berechnet für uns unsere Route und leitet uns: „In 100 Metern im Kreisverkehr die dritte Ausfahrt nehmen …“ usw 😂. Mehr müssen wir heute nicht wissen. Wenn wir die Hinweise „von oben“ hören und uns danach richten, dann geht es weiter. Ganz sicher!

Wir haben einen Plan zusammen erbeten und verabredet, den wir gerade umsetzen. Dabei machen wir erste sehr ermutigende Erfahrungen. Im nächsten Teil berichte ich davon. Stay tuned! Bleib dran!

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Bildnachweis: Unsplash, Envato Elements

Über Lothar Krauss

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5 Antworten zu Update Mannheim: Ein dickes Brett bohren! (2)

  1. Bernd Krebs schreibt:

    „Wir schauen der Wahrheit ins Auge, stellen uns in dein Licht! Wir halten dort aus durch Gnade, denn du verdammst uns nicht!“

  2. Matthias Czepl schreibt:

    Vielen Dank für Deinen / Euren ehrlichen Einblick. Als Leiter einer kleinen Gemeinde hat mich Eure Ehrlichkeit aufgebaut und mich ermutigt. Gerade in dieser verrückten Coronazeit hat das Engagement sehr nachgelassen und es tut gut zu wissen, das man damit nicht allein steht und wie Du / Ihr damit umgeht.

  3. Jürg Wüthrich schreibt:

    Ich bin selber seit über 30 Jahren in Gemeindegründung und -aufbau beschäftigt und unterstütze in diesem Bereich viele Pastoren. Mich begeistert deine ehrliche, bodenständige Analyse. Leider habe ich so etwas in all diesen Jahren kaum angetroffen. Das ist so hilfreich und wohltuend!

  4. Alex Fischer schreibt:

    Vielen Dank lieber Lothar und liebes VM Mannheim Team! So viele Kirchen und ihre Leiter können, ja wir werden ernüchtert und reflektiert, aber auf so eine ermutigende und inspirierende Art, dass man gerne und dankbar aus dem Rausch der fruchtlosen Selbstverliebtheit erwacht, oder vom kopfverdrehendem Jammer-Karussell absteigt:) Eure offene, ehrliche und demütige Haltung verbunden mit mutigem, klugem und feinfühligem Gottvertrauen sind einfach heilsam und ansteckend. Danke noch einmal!

  5. Alex Zudsewitsch schreibt:

    Guten Morgen Lohtar.
    Vielen Dank für die Ehrlichkeit!

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