Auf dieses Buch habe ich schon eine ganze Zeit gewartet. Mit Vorfreude und auch mit einer gewissen Anspannung. Einer „aus meinem Camp“ (ich gehöre aber eher zur gemäßigten Fraktion) hat sich „von uns“ verabschiedet. Und das jetzt mit einem Buch begründet. Arne Kopfermann. Der bekannte Songwriter und Lobpreisleiter. Sein Artikel in Aufatmen, den wir hier in Teilen auch gepostet haben, hat die Spannung steigen lassen. Und nun wurde es konkret. Sein neues Buch gehörte auch zu meiner Sommer-Lese-Liste. Hier meine Eindrücke:
Auf zu neuen Ufern
Kopfermann hat einen Titel gewählt, der es klar macht: »Auf zu neuen Ufern – Befreit zu einem ehrlichen Glauben« Er ist aufgebrochen! Oder doch ausgebrochen? Der Untertitel legt das nahe: Befreit zu einem ehrlichen Glauben, der trägt. Heißt das, dass seine letzten 35 Jahre ein Gefängnis waren, aus dem er befreit werden musste? War der Glaube unehrlich? Fake? Der Weg, den er über drei Jahrzehnte ging, nicht tragfähig? So plakativ, wie es der Titel nahelegt, hört man ihn in seinen Zeilen nicht. Differenziert, ausgewogen, nachdenklich und auch herausfordernd. Das schon. Aber immer wertschätzend den Menschen gegenüber, die im Camp geblieben sind.
Kind der charismatischen Bewegung
In der Tat. Er hat das „Land“ verlassen, in dem er einst seine Heimat hatte. Gelandet ist er bei Freunden, die sehr von Tim Keller inspiriert werden. Der Frankfurt City Church. Sein Vater, Wolfram Kopfermann, war einer der bekanntesten Köpfe der charismatischen Erneuerung in der Evangelischen Kirche in Deutschland. 1000 und mehr Leute trafen sich in „seiner“ Hamburger St. Petri Kirche. Ich war auch einmal dabei. Bewegend! Dann aber verließ er spektakulär die Evangelische Kirche und gründete 1988 die Anskar-Kirche. Mit großen Hoffnungen. Sie erfüllten sich so nicht!
Er war für viele meiner Generation eine Leitfigur. Seine Predigten zum Römerbrief sind unvergessen. Der Glaubenskurs Farbwechsel half vielen, mit Gott in Kontakt zu kommen. Arne Kopfermann hat zu seinem Vater kein unproblematisches Verhältnis. 1995 empfindet er die Notwendigkeit, aus dem (geistlichen) Schatten seines Vaters herauszutreten und auf eigenen Beinen zu stehen. Er zieht mit seiner Familie ins Rhein-Main-Gebiet.
Bis zum Schluss ringt Arne mit ihm. Als Kind der charismatischen Bewegung. Er hat unfassbar viele Erfahrungen aller Art mit dieser Bewegung. Über drei Jahrzehnte. Aus erster Hand, auch durch seinen Vater. In unzähligen Veranstaltungen. Hier schreibt einer, der ein wirklicher Insider ist! Und ehrlich bringt er auch die Spannungen zu seinem Vater zur Sprache. Sehr respektvoll. Am Ende steht ein deutlicher Dank: „An meinem Vater, der mich bis zu seinem Tod stark geprägt hat und dem ich viel verdanke. Wir mussten in einigen Dingen auch ringen und uns darauf verständigen, uns nicht in allem einig zu werden.“ Wolfram Kopfermann verstarb 2018.
Der Einschnitt
2014 gerät Arne Kopfermanns Welt aus den Fugen. Bei einem Autounfall stirbt seine 10-jährige Tochter Sara. Er sitzt am Steuer. Danach ist nichts mehr wie zuvor. Die Fragen, die Kopfermann in der Folge dieses Verlustes quälen, lassen ihn nicht mehr los. Auch über Jahre nicht. Seine Theologie, die charismatischen Erfahrungen und Abläufe in charismatischen Gottesdiensten helfen jetzt nicht. Erreichen ihn nicht mehr. Bieten nicht das, was jetzt dringend für ihn nötig ist. Das – und noch viel mehr – reflektiert er in Auf zu neuen Ufern.
Ein wichtiges Signal für „mein Camp“
Herausgekommen ist dabei ein starkes und wichtiges Signal für Leiter in meinem Camp. Unser Glaube bietet so viel, wenn es gut läuft. Haben wir aber auch Raum und Trost, wenn Erfahrungen unseren Weg kreuzen, die nicht ins Schema passen? Wenn sie sich nicht „wegbeten“, „weggebieten“ und auch nicht „wegglauben“ lassen? Die Klagepsalmen, die bislang noch wenig Eingang in unsere Worshipkultur gefunden haben, könnten ein Ansatzpunkt sein. Aushalten, wenn Menschen nicht mehr „funktionieren“ – eine Herausforderung für „mein Camp“?
Ein bunter Blumenstrauß
Die Themen, die ihn beschäftigen, wirken wie ein bunter Blumenstrauß. Die einzelnen Gedanken passen gut zusammen und sind aus seiner speziellen Perspektive reflektiert. Als studierter Soziologe arbeitet Kopfermann gründlich, mit Quellen, und vielen – manchmal auch längeren – Zitaten. Sein Denken ist präzise und konkret. Es wirkt, als ob er von seinem neuen Standpunkt aus in die unterschiedlichen Richtungen schaut. Seine Themen im Buch (Auswahl):
- Wie findet man in die zweite Naivität?
- Wie wird der Glaube mündig?
- Wie wandelt sich der Glaube im Kurs des Lebens?
- Wie ist die Lebensäußerung einer Kirche im gesellschaftlichen Wandel?
- Und wenn Gott unverfügbar ist?
- Wie ist Gottes Wort zu verstehen und zu nehmen, auch wenn meine Realität anders ist?
- Was ist authentische Anbetung?
- Wenn Vorbilder unvollkommen sind!
- Wie mit Leid umgehen?
- Raus aus dem Elfenbeinturm der Frömmigkeit!
Neben viele Liedtexten seiner Songs, die sich durch den Band ziehen, finden sich wunderschöne Zitate in den Texten, die er gesammelt hat. Hier eine Kostprobe:
»Wir kommen zwar nicht durch die Vernunft zum Glauben, aber durch den Glauben zur Vernunft.« | Hans-Joachim Eckstein
»Mündiges, als erwachsen gewordenes, Christsein schließt in gleichem Maße Urteilsfähigkeit, Liebesfähigkeit und Veränderungsfähigkeit mit ein!« | Arne Kopfermann
»Der Weg zu Gott führt vielmehr über Irrwege und Umwege, über das Scheitern und über die Enttäuschung von sich selbst.« | Anselm Grün
Er plädiert für einen Glauben und eine Kirche, die nicht nur triumphalistisch und vollmundig unterwegs ist, sondern Raum für Klage, Leid und Niederlage hat. Dabei ein liebevoller Ort ist und bleibt. Ein Ort, in dem beide Erfahrungen Platz haben und – gerade auch jüngere, aus dem charismatischen Aufbruch kommende – Kirchen so zu einer Tiefe finden, die der Marathonlauf des Glaubens einfach braucht.
Mein Fazit
Ich lese gerne Bücher, die mich »quer bürsten«. Ich verstehe, dass es definitiv eine Gefahr ist, immer nur in »seiner Blase« unterwegs zu sein. Allein nach Bestätigung der eigenen Position zu suchen verhindert auf Dauer eine gesunde Entwicklung. Das wird durch das Leben eingeholt, definitiv. Manchmal auch sehr schmerzlich.
Die Kritikpunkte von Kopfermann an »meinem Camp« kann ich gut nachvollziehen. Sie sind mir nicht neu, würde sie an vielen Stellen selbst so vertreten. Und viele meiner Wegbegleiter haben in den letzten 15 Jahren einen Prozess durchlaufen, der sie dicht an die Impulse herangeführt hat, die Kopfermann in seinem Buch setzt. Seine soziologische Kompetenz, die im Buch aufblitzt, die klaren und präzisen Beobachtungen und Gedanken machen Auf zu neuen Ufern tatsächlich zu einem großen Lesegewinn für Leiter meines Camps, die sich selbst aus einer anderen Perspektive reflektieren wollen. Für sie gilt: Unbedingt lesen!
Das hätte ich mir gewünscht …
Die Wahl des Titels mag für Arne Kopfermann stimmig sein, aber spätestens beim Untertitel hätte ich mir mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. Vermisst habe ich durchaus auch noch weitere biografische Einblicke, die mir seinen Weg noch nachvollziehbarer gemacht hätten. Da ist es doch mehr Sachbuch geblieben.
Verwundert habe ich mich über den Umstand, dass die Leute, die er ausführlich zitiert auch die sind, die das Buch auf dem Umschlag empfehlen. Ein Schelm der vermutet, dass da „eine Blase“ sich selbst feiert 😉. Ein paar Stimmen von Leuten, die das Buch sozusagen „von außen“ reflektieren, hätte dem Buch gut getan. Jürgen Mette hat das mit seinem Buch »Die Evangelikalen: Weder einzig noch artig.« vorgemacht.
Eine Leseprobe steht hier zur Verfügung.
Auf zu neuen Ufern
Befreit zu einem ehrlichen Glauben, der trägt
Arne Kopfermann
Gerth Medien, 336 Seiten, 17.00 €