Autoritätshörig? O.k., auch in der Kirche läuft nicht alles glatt! Auch und gerade in der Rolle, die Leiter in der Kirche spielen. Spontan mag man da jetzt an Willow Creek denken, da gerade der große Leitungskongress in Karlsruhe mit über 10.000 Leuten stattfand. Aber es wäre naiv zu denken, dass damit die Sache erledigt sei.
Arne Kopfermann, der bekannte Songwriter, Musikproduzent und Buchautor hat sich vor kurzem mit dem Thema eingehender beschäftigt. Sein Vater war der bekannte Leiter der geistlichen Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche und spätere Leiter der Anskar Kirche. Nun hat Arne jahrzehntelange Erfahrungen kritisch ausgewertet und seine Gedanken »zu Papier« gebracht. Ich fand seinen Text durchaus reflexionswürdig! Deshalb hier nun ein Auszug:
Autoritätshörigkeit
»Die Einforderung einer Autoritätshörigkeit ohne offenen Umgang mit den eigenen Unzulänglichkeiten
Ein Verbund von charismatischen Gemeinden plant in einer großen Stadt eine Evangelisation an einem öffentlichen Ort, die Zehntausende Euro und ungezählte Stunden ehrenamtlicher Mitarbeit kostet. Aufgrund einer Vielzahl von Faktoren (Wetter, Zeitpunkt, konkurrierende Veranstaltungen, Art der Einladung, Modell der Evangelisationsmethode, Insidersprache, polarisierende Wahl des Predigers etc.) kommen jedoch viel weniger Besucher als erwartet, und die sind zumeist schon fromm („Preaching to the Choir“) – in den Wochen nach der Großveranstaltung tauchen folgerichtig nur eine Handvoll Kirchendistanzierte als Gäste in Gottesdiensten der beteiligten Gemeinden auf.
Anstatt nun eine ehrliche Auswertung vorzunehmen und Für und Wider abzuwägen, wird die Veranstaltung zumindest in der Außendarstellung jedoch als großer Erfolg gefeiert. Dann kursieren Sätze wie „Halleluja! Wenn nur einer dem Reich Gottes hinzugetan wird, dann hat sich die Aktion schon gelohnt“ (ehrlich?) oder „die Evangelisation war so wichtig für die Einheit der Christen in der Stadt“ (wäre man nicht anders günstiger und besser zu dem Ziel gekommen?) oder „die Auswirkungen für die unsichtbare Welt über unserer Stadt waren gewaltig, und erst im Himmel werden wir erfahren, was in dieser Zeit alles passiert ist“. Wenn sich aber unsere Arbeit hier auf Erden nicht an konkreten quantitativen und qualitativen Zielen messen lässt und hinterfragt werden darf, gibt es keine objektiven Kriterien mehr. Dann kann jede Entscheidung der Gemeindeleitung als Plan Gottes ausgerufen und zur „selbsterfüllenden Prophetie“ werden.
Einige charismatische Pastoren sind nicht nur Alpha-Männchen, sondern haben einen mitunter recht gebieterischen Umgangsstil mit ihren Gemeindegliedern. Geboren aus einem apostolischen Selbstverständnis (Gott hat mich als Hirte mit besonderer Erkenntnis eingesetzt, um meinen Schäfchen den Weg zu weisen), wird Teamwork nicht sonderlich groß geschrieben, wohl aber Loyalität eingefordert. Ein fragwürdiges Konzept in einem demokratischen Land, das freie Wahlen, das Mehrheits- oder Konsensprinzip, Minderheitenschutz, die Akzeptanz einer politischen Opposition, Gewaltenteilung und Rede- und Meinungsfreiheit zu seinen Grundrechten zählt.
Wenn hierarchische Autoritäts-Strukturen auf radikale Glaubenskonzepte treffen, wie das ja im Falle einer vorbehaltlosen Christusnachfolge systemimmanent ist, dann entsteht leicht eine Elfenbeinturm-Mentalität, in der die eigene Lehransicht aus der Bibel abzuleitender Wahrheit absolut gesetzt wird. Wenn nicht sein kann, was nicht sein darf, und Dinge, die in der sichtbaren Welt nicht zu sehen sind, in der unsichtbaren Welt beansprucht werden können, dann gibt es kein gemeinschaftliches Korrektiv mehr. Geistliche Leiter isolieren sich dann leicht, weil sie sich nur noch mit ihren „linientreuen Offizieren“ umgeben. Kritik und Hinterfragen von gemeindlichen Leitsätzen wird als Rebellion und mangelnde Unterordnung gebrandmarkt. Eigene Leitungsfehler einzugestehen und Ungereimtheiten zwischen Lehre und Alltagsrealität als solche zu benennen, bleibt dann aus, weil es die eigene Position der Stärke schwächen würde.
Solche bestehenden Autoritätsstrukturen zu sprengen, geht oft nur in Form einer stillen oder öffentlichen Palastrevolution. In Falle von Gemeinden also durch stille Abwanderung Einzelner, Abspaltung ganzer Gruppen oder ausgewachsene Krisen mit Absetzung des Leiters. Dass sich in den letzten 30 Jahren so viele charismatische Gruppierungen oder Gemeinden gespalten haben, ist aus meiner Sicht eine fast logische Konsequenz der oben genannten Faktoren. Dies ist kein flammendes Plädoyer für Basisdemokratie in der Gemeinde. Aber für eine Dialogfähigkeit zwischen geistlicher Leiterschaft und Gemeindebasis, die nur dann gegeben ist, wenn das eigene Schrift- und Glaubensverständnis und die subjektiv als konkretes Reden Gottes empfundenen Leitsätze nicht so absolut gesetzt werden, dass sie nicht zumindest hinterfragt werden dürfen.«
Viel Zuspruch!
Arne Kopfermann steigt noch grundsätzlicher in die Auseinandersetzung mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der charismatischen Szene ein. Nachzulesen in seinem Text: »Warum ich kein Charismatiker mehr bin.« Hier geht es zum ganzen Text. In der aktuellen Ausgabe von AUFATMEN ist der Text auch zu finden. Sein Buch, in dem er sich eingehend mit diesen Fragen beschäftigt, erscheint im September bei Gerth Medien. Dafür hat er in den letzten Monaten viel Zuspruch erhalten. Grund genug, sich damit auseinanderzusetzen.
Ringen um ein gutes Leiten
Wir bleiben in der Spannung: ein Beweger zu sein, Voranzugehen und Menschen zu inspirieren, ist für die Führungskraft unverzichtbar. Gut zu leiten ist die einzige Alternative zu allem Missbrauch, jeder Entgleisung und aller Einseitigkeit. Manchmal „jagt die Herde auch den Hirten“, eine andere Wirklichkeit die Verantwortungsträger kennen.
Hallo Lothar, der Beitrag von Arne war sehr interessant. Was für Gemeinde früher in Rhein-Main Gebiet war seine Zuhause. Hoffentlich bist du ganz zur Kräften gekommen? Gottes Segen Paul
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Ich habe nur Vermutungen, weiß es aber nicht wirklich. Denke, Arne hat es bewusst nicht erwähnt, er will ja niemanden „in die Pfanne hauen“ sondern grundsätzlichere Beobachtungen und Gedanken als Anregung, aber auch als Herausforderung teilen.