Leiter in der Falle: Übertragungen | Teil 2

(c) Nadine Jung

(c) Nadine Jung

Unrealistische Sehnsüchte treffen auf Führungskräfte, wenn sie Opfer einer Übertragung werden. Im ersten Teil hat Dr. Christl R. Vonholdt gezeigt, was Übertragungen sind und wie sie entstehen. Im zweiten Teil blickt sie auf die Auswirkungen für Verantwortliche. Im dritten Teil wird es abschließend darum gehen, wie Heilung geschehen kann. Jetzt zu den unangenehmen Auswirkungen einer Übertragung auf Leiter:

UNREALISTISCHE SEHNSÜCHTE

Konkret beginnt eine Übertragungsbeziehung oft sehr „positiv“: Auf das Gegenüber werden unrealistische Sehnsüchte und übergroße Erwartungen nach Geborgenheit, nach Wahrgenommen- und Verstandenwerden projiziert. Der andere wird idealisiert, ja geradezu ,vergöttert“. Unweigerlich kommt dann die Enttäuschung: Der andere hat nicht nur positive Seiten. Es liegt zudem in der Natur der Übertragung, dass der andere nicht heilen kann, was man unbewusst von ihm erwartet. Heilung der Seele setzt voraus, dass der Betroffene mit sich selbst, seinen Schmerzen in Kontakt kommt. Übertragung ist aber gerade der Versuch, solchen Kontakt zu vermeiden.

Unweigerlich kommt es dann zur „negativen“ Übertragung: Unerklärlich heftige Wutgefühle tauchen im Übertragenden auf, Wünsche, den anderen abzuwerten. Das „Objekt“ der Übertragung wird zur Zielscheibe lange aufgestauter Rache- und Wutgefühle sowie weiterer feindseliger Gefühle wie Neid und Eifersucht. Unter der Wut aber liegt der Schmerz des Übertragenden verborgen, der Schmerz über die tiefen, ungestillten, wirklichen Bedürfnisse nach Annahme und Wertschätzung.

Wenn sich die Vergangenheitsbeziehung, aus der heraus auf die Gegenwart übertragen wird, auf die frühe Kindheit bezieht, dann war das Kind wirklich Opfer von verletzenden Umständen oder dem (meist unbeabsichtigten) Versagen seiner Umwelt. Die Vergangenheitsbeziehung, aus der heraus übertragen wird, kann aber auch eine spätere Beziehung betreffen, in der der Übertragende schon älter war und damit selbst aktiv an der Situation beteiligt.

Im Alltag heute fügt der Übertragende seinem „Objekt“ immer ein Unrecht zu: Zu Unrecht wird der andere zuerst idealisiert und dann zu Unrecht abgewertet und „schlechtgemacht“.

Übertragung kann sich als offene Streitsucht äußern, die in keinem Verhältnis zum Anlass steht, oder häufiger in versteckter Form als beständiges Misstrauen oder als Zwang, Zwietracht und Zweifel zu säen. Solch unterschwelliges Agieren ist meist kaum wahrnehmbar; es kann lange dauern, bis die Wahrheit ans Licht kommt. Oft beginnt es damit, dass der Übertragende anfängt, vermeintliche oder wirkliche Fehler beim Gegenüber „festzustellen“. Diese werden dann aufgebauscht. Er sucht sich Komplizen, andere Menschen, die ebenfalls anfällig für Übertragungen sind (weil auch sie unverarbeitete Wut und Schmerz in sich tragen), und verbringt Stunden damit, mit verschiedenen Leuten über die „Unfähigkeiten“ und „Probleme“ desjenigen, auf den übertragen wird, zu reden. Ziel ist aber nicht die ehrliche Klärung tatsächlicher oder vermeintlicher Probleme, sondern die Abwertung des anderen. Im Extremfall ist der Übertragende erst zufrieden, wenn der andere, etwa die Kollegin, den Arbeitsplatz räumen muss oder der Leiter resigniert seinen Posten aufgibt.

In ihrem Buch „Wie Schafe im Wolfspelz“beschreibt Valerie Mclntyre, wie kleine Cliquen in christlichen Gemeinden es immer wieder schaffen, dass Pastoren die Gemeinde verlassen müssen. Ursache ist die chronische Unzufriedenheit einiger, die sich in ständiger aufgebauschter Kritik, im Intrigieren, im Verbreiten von Gerüchten und im Säen von Zwietracht äußert. Dahinter, so Mclntyre, steht nicht einfach ein Machttrieb dieser Menschen, sondern der komplexere Vorgang der Übertragung. Mclntyre warnt davor, in solchen Fällen auf „Konfliktmanagement“ und den Einsatz von Mediatoren zu setzen. Beides führt zu nichts, weil die Übertragung unentdeckt bleibt. Die einzige Lösung kann unter Umständen darin bestehen, sich von den Initiatoren der Übertragung zu trennen.

Wie kann Heilung geschehen?

Antwort auf diese Frage folgt im Teil 3 .
Teil 1 | 2 | 3
vonholdt
Dr. Christl Ruth Vonholdt ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin. Sie leitet das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft in Reichelsheim

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: „Besser streiten“, Dr. Dominik Klenk (Hg.), Brunnen Verlag Gießen, S. 99 – 107. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

Über Lothar Krauss

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