Social Distancing! Warum es Christen so herausfordert!

Wir leben zweifellos in einer Welt, die heute anders ist als noch vor wenigen Wochen. Shutdown, Lockdown. Deutschland abgeschaltet? Auch die Kirchen. Ich denke jetzt nicht an Gebäude. Ich denke an Menschen. Und ihrem Miteinander. Richtig: Wir haben Zugang zu mehr digitalen Ressourcen als je zuvor! Dennoch spüren wir weiterhin die physische Distanz zwischen uns. Das geforderte social distancing ist ja in Wahrheit eher ein physical distancing. Diese Art der Distanz trifft uns in den Kirchen ins Mark! Das ist hart! Warum?

Unser Wesen: zusammen sein!

Weil es dem Wesen des Glaubens entspricht, einander nahe zu sein. Auch physisch. Die 12 Jünger sind Tag und Nacht bei Jesus. Teil der Berufung ist es, dass sie „ständig bei ihm sein sollen“ (Markus 3,14). Er ist ein Gott zum Anfassen. Keine philosophische Idee. Oder religiöse Projektion. Er ist echt. Konkret. Eben anfassbar. Gleichzeitig unfassbar. Aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es um diese Seite von Gott: Er kommt uns ganz nah (Johannes 1,14). Die Apostel berichten ganz anschaulich.

»Von allem Anfang an war es da; wir haben es gehört und mit eigenen Augen gesehen, wir haben es angeschaut und mit unseren Händen berührt – das Wort des Lebens.« | 1. Johannes 1,1

Diese Nähe, die physische Gemeinschaft, ist Teil von dem, wer wir sind als Kirche. Als Gemeinschaft der Glaubenden. Sozusagen Bestandteil unserer DNA. So haben es Christen durch die Jahrhunderte gelebt. Dietrich Bonhoeffer spricht darüber in seinem sehr lesenswerten kleinen Buch Gemeinsames Leben:

»Die leibliche Gegenwart anderer Christen ist dem Gläubigen eine Quelle unvergleichlicher Freude und Stärkung. In großem Verlangen ruft der gefangene Apostel Paulus „seinen lieben Sohn im Glauben“ Timotheus in den letzten Tagen seines Lebens zu sich ins Gefängnis, er will ihn wiedersehen und bei sich haben. Die Tränen des Timotheus, die beim letzten Abschied geflossen waren, hat Paulus nicht vergessen (2. Tim. 1,4). Im Gedanken an die Gemeinde in Thessalonich betet Paulus „Tag und Nacht gar sehr darum, daß ich sehen möge euer Angesicht“ (1. Thess. 3,10), und der alte Johannes weiß, daß seine Freude an den Seinen erst vollkommen sein wird, wenn er zu ihnen kommen kann und mündlich mit ihnen reden statt mit Briefen und Tinte (2. Joh. 12).«

Es ist ein Geschenk, diese Gemeinschaft erfahren zu können. Nicht Teil sein zu können ist schmerzhaft. Deshalb tut mir das jetzt weh. Obwohl es ein Jammern auf hohem Niveau ist. Schon klar. Christen in der Verfolgung, im Gefängnis, in der Isolation, kennen das noch ganz anders. Bonhoeffer selbst hatte diese Erfahrung noch vor sich, (Zelle 92 in Berlin Tegel …, insgesamt gut 2 Jahre lang), als er diese Zeilen zu Papier bringt:

»Es wird leicht vergessen, daß die Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann, daß es nur eine kurze Zeit sein mag, die uns noch von der tiefsten Einsamkeit trennt. Darum, wer bis zur Stunde ein gemeinsames christliches Leben mit andern Christen führen darf, der preise Gottes Gnade aus tiefstem Herzen, der danke Gott auf Knieen und erkenne: es ist Gnade, nichts als Gnade, daß wir heute noch in der Gemeinschaft christlicher Brüder leben dürfen.«

Das gemeinsame christliche Leben ist jetzt – kurzzeitig – eingeschränkt. Digitale Ersatzleistungen sind vorhanden. Stimmt. Und doch: es fehlt etwas, was ganz klar zum Markenkern der Christen gehört. Und das tut weh, fordert heraus und manchmal ist es einfach nur schwierig. Kein – noch so gutes – Onlineangebot kann das ersetzen. Kein Zoom, Skype, Facetime … Gespräch an die Stelle dieses Miteinanders treten. Obwohl das alles wertvoll, wichtig, nötig ist.

Geistliche Leiter in der Kirche und Leute, die die Angebote nutzen, mögen es unterschiedlich intensiv erleben. Aber alle Seiten vermissen das persönliche Miteinander. Als Verantwortlicher wünsche ich mir deshalb, dass wir uns bald wieder einander schenken und zumuten können. Und ja, die Einschränkungen haben ihren Grund. Ich kann ihn verstehen, kann an den Verschwörungstheorien wenig finden. Dennoch:

Auf alle Fälle vermisse ich diese Gemeinschaft sehr. Deshalb sehne ich mich nach dem Ende des Lockdown. Echte Begegnungen mitten im Leben. Ich glaube, dass der Schöpfer diese Design für uns so gewollt hat.

Zitate: Bonhoeffer, D., 2015. Gemeinsames Leben; Das Gebetbuch der Bibel Sonderausgabe. G. L. Müller & A. Schönherr, hrsg., Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
Dieser Beitrag wurde unter Lothars Leiterpost abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

5 Antworten zu Social Distancing! Warum es Christen so herausfordert!

  1. Andreas Salzmann schreibt:

    Hallo Lothar, Du sprichst mir aus dem Herzen.

  2. luisestoll schreibt:

    Da bin ich absolut mit dir.
    Aus meiner Sicht haben wir als Kirchen nicht sehr rühmlich auf den Lockdown reagiert. Wir hätten uns gegen Isolation, Einsamkeit und außer Kraft setzen von Grundrechten stellen sollen. Alte Menschen sterben allein, Menschen sind häuslicher Gewalt schutzlos ausgeliefert und wir haben die Kirchen geschlossen und bleiben Zuhause. Selbst in Zeiten der Pest und Cholera haben Menschen sich aktiv umeinander gekümmert und wir haben uns zurückgezogen…

    • Lothar Krauss schreibt:

      Hey Lui, das ist ja nun nicht das, was mein Beitrag sagt. Ich sehe es auch etwas anders als Du, aber das ist ja das Schöne in unserem Land: wir dürfen unsere Sicht haben und vertreten. Was für ein Privileg.

  3. Ann-Miriam Vansovics schreibt:

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Gerade in den letzten Tagen ist mir dieses Thema in persönlichen Gesprächen, aber auch im Lesen immer wieder begegnet und das jetzt zu lesen tat gut!
    Ich sehe in gewissen Theorien die Gefahr des „Angst machens“ und der Spaltung.
    Das Fazit für mich:
    Die persönliche Begegnung mit meinem Gott, im Wort, im Gebet, in der Stille, im Lobpreis und Anbetung gibt Friedensspendende und Wegweisende Antworten.
    Wir freuen uns auch sehr auf die ersten „echten“ Begegnungen, wenn wieder Leben in unser Gemeindehaus kommt, wir uns umarmen und direkt in die Augen schauen können.
    Aber solange bin ich einfach dankbar, dass wir die digitalen Möglichkeiten haben und sogar der größte Teil unserer „älteren“ Geschwister sich da aktiv und treu beteiligen!

Kommentare sind geschlossen.