„Leiter brauchen eine gute psychologische Gesundheit. Pastoren mit selbst verherrlichenden Neigungen oder Größenwahn sind schreckliche Reformatoren. Wir brauchen wirklich gesunde Pastoren, die sich selbst verstehen.“ Steve Goodwin
„Auf eine saubere Exegese und eine solide Kenntnis der Kirchengeschichte wird in den meisten unserer theologischen Seminare immer noch mehr Wert gelegt als auf eine geordnete Vergangenheit, einen geistlichen Charakter und eine lebendige Spiritualität.“
Unser “Sommerblogger” THOMAS HÄRRY zitiert Steve Goodwin und legt den Finger in die Wunde, auch in die Wunde unserer Ausbildungssysteme. Als Bestsellerautor, Redakteur bei Aufatmen und Dozent am TDS Aarau begegnet er dieser Wirklichkeit in sich selbst, bei zukünftigen Leitern in der Ausbildung und bei Verantwortlichen mitten im Leben. Tauchen wir mit ihm in diese Hintergründe ein:
Unaufgearbeitete Familiengeschichten
Schmerzhafte Erfahrungen und Entbehrungen der Vergangenheit kommen in der DNA eines gefährdeten Leiters häufig vor. Ein Vater, der seine Familie vernachlässigte oder verließ; der emotional nicht zugänglich war; der wie ein Patriarch jeden Widerspruch und freien Willen machtvoll zum Schweigen brachte. Eine Mutter, die ihr Kind überbehütete; es zum Verbündeten gegen einen schwierigen Ehemann machte; die alles ausbügelt und jede Herausforderung fürsorglich aus dem Weg räumte; die ihre eigenen Unsicherheiten und Ängste solange in ihre Kind hinein projizierte, bis es diese selbst verinnerlicht hatte. Süchte, Gewohnheiten, Vermeidungsstrategien, festgefahrene kulturelle und familienbedingte Prägungen und Lehrsätze – sie alle prägen uns mehr oder weniger offensichtlich. Die wenigsten Leiter ahnen, wie sehr ihre Art zu leiten ein verlängerter Arm ihrer Kinderstube in die Gegenwart darstellt. Und nur selten gestehen sich Leiter ein, dass ein maßgeblicher Teil ihrer Probleme in ihrer Kindheit und Ursprungsfamilie ihren Ursprung haben. Steve Goodwin beschreibt diese Zusammenhänge:
„Leiter brauchen eine gute psychologische Gesundheit. Pastoren mit selbst verherrlichenden Neigungen oder Größenwahn sind schreckliche Reformatoren. Wir brauchen wirklich gesunde Pastoren, die sich selbst verstehen. Edwin Friedmann ist ein Rabbi der sich stark mit der Ordnung der Familie auseinandersetzte und dies auch auf die Gemeinde anwandte. Er sagt, dass wir unsere eigenen familiären Probleme meist auf das Leben in der Gemeinde übertragen. Friedmann stellt die These auf, dass wir diese ungesunden Muster immer und immer wieder wiederholen. Und ich sehe dies immer wieder auch bei Pastoren. Um ein gesunder Leiter einer Reform zu sein, muss man als Pastor selbst durch tiefe Veränderungen gehen. Man sollte zurück zu seinem Ursprung, zu seiner Familie, und diese Probleme klären. Je gesünder wir werden, desto fähiger sind wir auch die Gemeinde zu einer besseren Gesundheit zu führen.“ (Leadership Journal, Fall 2005: „A Controlled Burning“)
Mir sind einige Leiter bekannt, die sich nie kritisch mit ihrer persönlichen Geschichte auseinandergesetzt haben. Viele von ihnen haben sich durch Bibelschulen und Theologische Seminare gemogelt, ohne dass sie dort jemand mit ihren schwierigen Prägungen konfrontiert hat. Auf eine saubere Exegese und eine solide Kenntnis der Kirchengeschichte wird in den meisten unserer theologischen Seminare immer noch mehr Wert gelegt als auf eine geordnete Vergangenheit, einen geistlichen Charakter und eine lebendige Spiritualität.
Man spürt es bei einem Studenten, wie gefestigt und krisensicher seine Persönlichkeit wohl ist. Dennoch reagieren nur wenig Verantwortliche, wenn sie Anzeichen einer Gefährdung im Persönlichkeitsgefüge eines zukünftigen Vollzeiters erkennen. Man konzentriert sich stattdessen lieber auf das Potential, das diese Person hat – zum Beispiel auf seine besondern Fähigkeiten im Umgang mit Jugendlichen oder Außenstehenden und hofft, dass sich alles andere dann schon irgendwie ergibt. Tut es aber in der Regel nicht. Die Betroffenen schaffen es dann meistens, sich trotz ihrer Schwierigkeiten und destruktiven Gefühle durch die ersten Jahre ihrer Tätigkeit in einer Gemeinde hindurchzumogeln. Ihren inneren Mangel machen sie wett mit Engagement, Leidenschaft für Jesus und außerordentlichen Fähigkeiten, mit denen sie beeindruckende Dinge für Gott bewegen. Sobald sie sich aber ihrer Lebensmitte nähern, holt sie die unaufgearbeitete Vergangenheit ein.
Je älter wir werden, umso schwerer gelingt es uns, unsere wirklichen Gefühle zu verbergen. Dann werden unsere Mankos, Fehlziele und verletzten Gefühle immer mehr beginnen, unsere Arbeit zu prägen und unserem Umfeld zur Last zu werden. Manchmal so sehr, dass es dabei zu einem schmerzhaften Crash kommt.
Dominante Persönlichkeitsstruktur
Ein großer Teil der Literatur, die sich mit den Kennzeichen einer guten Leitungspersönlichkeit beschäftigt, betont die Notwendigkeit, dass ein Leiter eine starke, selbstbewusste Persönlichkeit sein muss. Er soll nicht nur Ziele vorgeben können, sondern auch das Rückgrat haben, sie durchzuziehen und umzusetzen. Er muss gelassen auf Angriffe reagieren können. Er darf sich nicht von einem Vorhaben abbringen lassen, sondern muss unbeirrt auf sein Ziel hinarbeiten. Kurz: Viele Bücher über Führung (besonders christliche) favorisieren die dominante Führungspersönlichkeit.
Nun ist es zweifellos richtig, dass Leiter über eine gewisse innere und äußere Stärke verfügen müssen. Menschen brauchen Leiter, denen sie vertrauen können, dass sie tatsächlich über das Potential verfügen, andere Menschen zu führen. Vielfach wird dabei aber übersehen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einer dominanten Führungspersönlichkeit und der Wahrscheinlichkeit, dass sie gerade aufgrund dieser Eigenschaft einige schwerwiegende Fehler begeht.
Anders gesagt: Je dominanter eine Führungsperson aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihrem Führungsstil einige Menschen zum Opfer fallen. Eine dominante Führungsperson hat den Vorteil, dass es ihr besser gelingt, Ziele zu erreichen und unter schwierigsten Umständen erstaunliche Resultate zu erzielen. Viele Pionierbewegungen hätten nie überlebt, wenn nicht starke, dominante Persönlichkeiten sie aufgebaut und geführt hätten. Am Rand der Wege von solch leitungsstarken Menschen aber liegen erstaunlich viele Opfer. Menschen, die einmal dazugehörten, diesem Leiter dienten und ihm vertrauten. Als sie aber eines Tages kritische Fragen stellten oder seine Meinung nicht teilten, wurden sie zurück gesetzt oder fallen gelassen.
Das ist die andere Seite dominanter Führungspersonen. Es fällt ihnen nicht sonderlich schwer, Menschen preiszugeben. Ihren hohen Zielen fallen all jene zum Opfer, die diesen Zielen nicht loyal und vorbehaltlos ergeben sind. Das bedeutet nun nicht, dass Leiter mit einer dominanten Persönlichkeit keine Leiter sein sollten. Gerade sie sollten das positive Potential ihrer Persönlichkeitsstruktur voll ausschöpfen. Dominante Leiter müssen aber wissen, dass zu ihnen auch Mängel gehören, die für sie selbst und für die Menschen, die ihnen anvertraut, destruktive Folgen haben können. Weil sie eher sach- als menschen-orientiert sind, können sie sich z. B. oft nur schwer in die Gefühle und die Situation der Menschen hineinfühlen, die sie führen. Ohne dass sie es wollen, riskieren sie damit, über einige „Leichen“ hinweg Ziele zu erreichen.
Wenn ein von Natur aus dominanter Leiter sich nicht darum bemüht, an solchen Schwächen zu arbeiten und sich darüber hinaus mit anderen Leitern zu umgeben, die seinen Führungsstil an diesem Punkt ausgleichen, dann wird er zum Risikofaktor. Er wird dann zwar Großes erreichen, dabei aber viele Opfer hinterlassen. (Beachte den Unterschied zu einer starken Führungspersönlichkeit, den dieser Beitrag auf dem Blog beschreibt!)
Im nächsten Teil beginnt sich Thomas Härry mit der Frage zu beschäftigen, wie eine gesunde Leiter-DNA kultiviert werden kann.Teil 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6
Weitere Beiträge von Thomas Härry sind in AUFATMEN zu finden!