Beziehungen, Sex … Was unseren Glauben HEUTE herausfordert (Teil 3)

Tim Keller erwähnte vor einiger Zeit, dass der große Gegner des christlichen Glaubens nicht mehr die Frage nach der Wahrheit oder der anderen Religionen ist, sondern die Frage der Beziehungsethik.

Das ist der Anlass dieser vierteiligen Artikelreihe, die zu den Grundsatzthemen auf dem Blog gehören und der eigenen Reflexion christlicher Leiter meiner Meinung nach bedarf.

Nachdem wir die Schöpfungsordnung im 1. Teil angeschaut haben und im 2. Teil den Wandel von Gottes Ordnung im Judentum unter dem Einfluss der umgebenden Kulturen gesehen haben konnten wir erahnen, welche Prägung der Pharisäer Paulus hatte. Ist diese Prägung die Grundlage für seine christliche Ethik geworden, oder hat er unter dem Einfluss des Evangeliums einen Wandel durchlaufen? Das ist eine wichtige Frage! Ihr gehen wir im vorletzten Teil der Reihe nach:

4      Der ethische Wandel des Paulus

4.1      Damaskus und seine Folgen

Die überwältigende Begegnung des eifrigen Pharisäers mit Christus auf dem Weg nach Damaskus ändert alles![1] An die Philipper schreibt er dazu: „… 7Aber was auch immer mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten; 8 ja wirklich, ich halte auch alles für Verlust um der unübertrefflichen Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, willen, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck halte, damit ich Christus gewinne…“[2]

4.2      Die christozentrische Dogmatik und Ethik

Diese christozentrische Sicht bestimmt jetzt das Denken und Handeln des Paulus.[3] Alle Fragen reflektiert er nun von Christus aus, wie er es den Kolossern eindrucksvoll darlegt.[4] Das ist der Generalschlüssel zur Dogmatik des Paulus, die jetzt seine Ethik prägt und bestimmt! Mit ihr begegnet er der interkulturellen Herausforderung in der Frage der Ehe. „Die »Theologie« der Ehe wurzelt für ihn im Mysterium Christus – Gemeinde, und die sein Denken beherrschende Ekklesiologie führt zu praktischen Konsequenzen für das Leben der christlichen Eheleute.“[5] Das ist auch der Zugang zu unserer Frage des Essays.

5      Interkulturelle Herausforderung

Wie begegnet Paulus der Ethik der Ehe in der griechisch-römischen Kultur mit der Perspektive seiner christozentrischen Ethik? Wo knüpft er an, wo sucht er die Konfrontation? Wie hilft er der jungen Kirche in dieser kritischen Situation?

5.1      Die Haustafeln

Paulus knüpft an die Haustafeln an, die er, und auch der Apostel Petrus, für diese Aufgabe in angepassten Varianten vorstellt.[6] Um die Tragweite dieser Strategie richtig einordnen zu können und ihre Bedeutung in der kollektivistischen griechisch-römischen Kultur richtig zu verstehen, müssen wir ihre Herkunft und Rolle begreifen. Nur so erfassen wir die interkulturelle Transferleistung des Apostels.

5.1.1      Die klassischen Haustafeln

Die Haustafeln waren keine Schöpfung der jungen Kirche. Wir finden sie in der griechischen Welt, dem Römischen Reich und auch im hellenistischen Judentum.[7] Aristoteles legt in seiner Politik den Grund für die klassische Haustafel, die das Verhalten der Stände regelt. Alles ordnet sich um den Mann und wird so zu einem festen Bestandteil der Polis. Der griechische Stadtstaat organisiert sich aus diesen Häusern (oikos).[8] Dennoch unterscheiden sich die Haustafeln der Antike von denen des Neuen Testamentes. Der Berner Theologieprofessor Ulrich Lutz schreibt: „Das leitende Interesse ist oft das nach dem Ertrag eines Landgutes …; deshalb fehlen in diesen Büchern oft Ermahnungen an die Kinder und die Eltern.“[9] Und noch ein wesentlicher Unterschied: „Vor allem ist der Adressat dieser Bücher ausnahmslos der lesende Hausvater und Herr, nicht, wie in unseren Tafeln, alle Gruppen eines Haushaltes.“[10] Die Haustafeln der Antike bilden sozusagen Vorläufer für die neutestamentlichen Haustafeln, weisen aber gleichzeitig auch wesentliche Unterschiede aus.

5.1.2      Die Haustafeln im Neuen Testament

Martin Dibelius vertritt die These, dass die Haustafeln Eingang in die christliche Gemeinde fanden, als die frühchristliche Naherwartung sich nicht erfüllte. Sie seien auf der Grundlage hellenistischer Popularphilosophie entstanden. Lutz meint, dass der Vorgang wohl in Wirklichkeit komplizierter war und sich das Grundschema von den neutestamentlichen Haustafeln deutlich unterscheidet. Tatsächlich fände man dort aber auch Gedanken der jüdischen Weisheitstradition, die indirekt über das hellenistische Judentum Eingang gefunden hätten.[11] Lohse, Martin, O’Brian, Schrage u. Schweizer schließen sich Lutz an und widersprechen Dibelius u. Weidinger. Die Haustafeln des Neuen Testamentes leben nicht von der moralischen Philosophie der Stoiker, sind auch kein Eigengewächs der jungen Kirche, sondern wurden vom hellenistischen Judentum der jungen Kirche vermittelt.[12] Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Paulus vom hellenistischen Judentum beeinflusst ist. Seine Biografie und Bildung legen es nahe. Aber sein grundlegender Wandel durch die Begegnung mit Christus und die weitreichenden Folgen, die wir schon besprochen haben, lassen mich zu einem anderen Schluss kommen: Paulus verfasst sie mit seinem christozentrischen Lehr- und Ethikansatz, der ihn auch zur Schöpfungsordnung zurückführt, wie etwa seine Interpretation der Haustafel erkennen lässt.

5.2      Die Haustafel des Paulus im Epheserbrief

5.2.1      Vorbemerkung: Die Bedeutung der Haustafel im öffentlichen Leben

Da die Haustafel in der griechisch-römischen Gesellschaft auch das öffentliche Miteinander der Stände ordnet, übernimmt sie neben der sozialen auch eine politische Rolle. Deshalb ist das Thema für die junge Gemeinde extrem wichtig! Die Öffentlichkeit will wissen, wie die christliche Gemeinde zum Staat steht. Sie wird beobachtet und beurteilt. Die neue Ordnung, die Paulus predigt[13], kann als ein Frontalangriff auf die griechisch-römische Gesellschaftsordnung verstanden werden. Einfache Leute, die bisher am unteren Ende der Hierarchie stehen, erreicht das Evangelium besonders.[14] Christen erfahren das Heil und die neue soziale Einordnung in der christlichen Gemeinde. Gerade diese soziale Aufwertung kann jetzt das Leben von Frauen und Sklaven im griechisch-römischen Haus um den pater familias gefährden. Der Konflikt ist unausweichlich. Paulus muss einen Weg zeigen, der die Gemeinde in der griechisch-römischen Gesellschaft bestehen lässt. Das ist die interkulturelle Herausforderung. Das Evangelium muss kontextualisiert werden. Paulus tut das, indem er also an der Haustafel anknüpft und sie christozentrisch reflektiert. Er geht damit auf die berechtigte Anfrage der Kultur an die christliche Gemeinde ein. Auch Petrus unterstreicht diese Berechtigung.[15] Die jungen Christen erhalten damit gleichzeitig eine wertvolle Hilfe für das Leben im Haushalt: „Kurze, prägnante Ermahnungen, welche die Hörerinnen und Hörer sich leicht merken konnten …“[16], schreibt Lutz.

5.2.2      Die neue inhaltliche Füllung der Haustafel

5.2.2.1     Kontext

Es ist wichtig, den engeren Kontext der Haustafel im Epheserbrief[17] zu sehen. Unmittelbar vor unserer Haustafel bespricht der Apostel mit seinen Lesern das Leben im Geist. Die Forderungen und Ermahnungen können nur gelebt werden, wenn der Christ geisterfüllt ist![18] Zu diesem Leben im Geist ist jeder Christ berufen.[19]

5.2.2.2     Struktur

Sie spricht alle Personen direkt an, nicht nur den pater familias. Paulus bildet in seiner Haustafel drei Zweierpaare, der „schwächere“ Teil wird dabei immer zuerst angesprochen! Während er das vertraute Denkmuster der Kultur aufgreift, füllt er es mit der neuen, christozentrischen Perspektive und ihren ethischen Konsequenzen. Ein wertvoller Hinweis für die Strategie der Gemeinde im 21. Jahrhundert!

Im letzten Teil kommt dann die spannende Erörterung, was das für Verständnis von Beziehungen in der Zeit des Paulus bedeutete mit der Frage im Hinterkopf, ob das eine zeitlose Position ist, die auch für unsere Zeit und Kultur gilt.


[1] Vgl. Apostelgeschichte 9,1-18.
[2] Philipper 3,7-8, Elberfelder Bibel 2006. Standardausgabe. R. Brockhaus, 2006.
[3] Philipper 1,21.
[4] Kolosser 1,15-17.
[5] Rudolf Schnackenburg, Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament, EKK, Bd.10, Der Brief an die Epheser: BD X, 1st ed. (Benziger Verlag GmbH, 1994), 246.
[6] Kolosser 3,18 – 4,1; Epheser 5,21 – 33; 1. Timotheus 6,1-2, Titus 2,1-10; 1. Petrus 2,18 – 3,7.
[7] Andrew Lincoln and Thomas Nelson Publishers, Ephesians, vol. 42, Word Biblical Commentary NT (Nelson/Word Pub Group, 1990), 356 – 357.
[8] Vgl. Burguiere, Klapisch-Zuber, and Segalen, Geschichte der Familie 1. Altertum, 239 – 240.
[9] “Bibliotheca Classica”, http://www.bibliotheca-classica.org, 303,                         http://www.bibliotheca-classica.org/sites/default/files/luz.pdf (eingesehen am 22.01.2013).
[10] “Bibliotheca Classica”, http://www.bibliotheca-classica.org, 303, (eingesehen am 22.01.2013).
[11] “Bibliotheca Classica,” http://www.bibliotheca-classica.org, 302, (eingesehen am 22.01.2013).
[12] Lincoln and Publishers, Ephesians, Bd. 42, 357.
[13] So schreibt er in Galater 3,28: „Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden.“ Zit. nach der Neue Genfer Übersetzung (NGÜ): Neues Testament. Genf: Deutsche Bibelgesellschaft/Genfer Bibelgesellschaft, 2009.
[14] Friedhelm Winkelmann, Geschichte des frühen Christentums, 4. aktualisierte Auflage, (C.H.Beck, 2007), 58.
[15] 1. Petrus 2,12; 3,15-16.
[16] “Bibliotheca Classica,” http://www.bibliotheca-classica.org, 305, (eingesehen am 22.01.2013).
[17] Epheser 5,21 – 6,9. Er konkretisiert die Haustafel im Epheserbrief, die er schon im Kolosserbrief eingebracht hat.
[18] Timothy Keller, The Meaning of Marriage (Dutton Books, 2011), 50 – 52.
[19] Galater 5,25.

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
Dieser Beitrag wurde unter Grundsatzthemen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Beziehungen, Sex … Was unseren Glauben HEUTE herausfordert (Teil 3)

  1. Pingback: Beziehungen, Sex … Was unseren Glauben HEUTE herausfordert (Teil 4) | Esslinger Leiterforum

Kommentare sind geschlossen.