FOBO – “Fear of a better option”

Vom Kampf mit der Verbindlichkeit

Wer Führungsverantwortung übernimmt, begegnet diesem Thema unmittelbar: Verbindlichkeit! Wenn das Team, mit dem wir unterwegs sind, verbindlich ist, macht das Spaß und es bewegt sich richtig viel. Ich habe das in den letzten 45 Jahren oft erlebt. Das Geheimnis: Menschen, die zu ihren Zusagen stehen! Die den Preis bezahlen, auch wenn es sich für sie nicht immer gut anfühlt, vielleicht sogar Nachteile bringt.

Solche Leute gehören zum „Jackpot“ einer Gemeinschaft. Sie prägen die Kultur einer Organisation mit ihrer Zuverlässigkeit, Verbundenheit und Verbindlichkeit. Da geht was. Umgekehrt gilt das auch. Eine schwierige Kultur entsteht, wo es an diesen Menschen fehlt. Dort Verantwortung zu tragen, kann sehr herausfordernd sein.

Wir beobachten seit vielen Jahren einen Wandel. Nicht immer wollen Menschen sich so verbindlich machen. Wenn wir Führungsleute das dann kritisch hinterfragen, geraten wir durchaus immer wieder einmal in die Defensive: „Sei doch nicht so eng! Hab doch Verständnis. Der meint es doch nicht böse. So ist das eben …“

Manche Führungskraft hat das alles schon so an die Grenze gebracht, dass sie schließlich aufgegeben hat. Und wen sie dann keine Verantwortung mehr tragen muss, empfindet sie als eine Befreiung. Zumindest für eine Zeit. Ich kann das nachvollziehen. Dennoch ist das ein Verlust für alle Seiten.

Reflexion: was ist das los?

Der Deutsche-Knigge-Rat hat sich jüngst mit dem Thema eingehender beschäftigt und es reflektiert. Mein Freund Rainer Wälde, der Woche für Woche wertvolle Impulse auf seinem Blog postet, hat in seinem jüngsten Beitrag von den Gedanken des Treffens berichtet.

Ich fand das hilfreich, deshalb reposte ich seinen Beitrag hier. Vielleicht regt das einen Austausch bei euch vor Ort an um zu strategischen Überlegungen zu kommen, wie ihr diesem Trend begegnen wollt. Fragen könnten dann sein:

  • Was wollen wir miteinander bauen?
  • Welchen Preis darf es kosten?
  • Was wollen wir voneinander erwarten?
  • Welcher Strategie wollen wir folgen?

Nun wünsche ich euch eine gute Inspiration mit dem Beitrag von Rainer.


Wie viel Verbindlichkeit wollen wir leben?

von Rainer Wälde

Gestern haben wir im Deutschen Knigge Rat über Verbindlichkeit diskutiert. Wie gehe ich mit der Spontanität von Gästen um, die wenige Minuten vorher absagen? Was mache ich als Restaurantbesitzer, wenn Gruppen einfach nicht erscheinen? Wie geht es anderen Dienstleistern, wenn Patienten kurz vor der Behandlung ihren Termin canceln?

Wie Profis mit No-Show-Gästen umgehen

Christian Heller ist Hoteldirektor im Hotel Adler in Asperg. Mit kurzfristigen Absagen ist er vertraut. Im Deutschen Knigge Rat berichtet er von einer Gruppe von sechs Freunden, die für Samstagabend zeitgleich in drei Restaurants einen Tisch reserviert haben. Je nach Lust und Laune entscheidet die Clique spontan, in welches Lokal sie gehen.

Nur wenige Gäste machen sich Gedanken, wie es dem Restaurantbesitzer geht, wenn er kurzfristige Absagen erhält, erklärt Christian Heller. Was ist mit den Lebensmitteln, die aufgrund der Reservierung für den Abend eingekauft wurden? Was mit den Mitarbeitern, die für den Service eingeplant sind?

Manche Restaurants haben sich für eine “No-Show-Gebühr” entschieden, um den Ausfall zu kompensieren. In den USA ist es in manchen Städten bereits üblich, dass die Gäste bei der Buchung ein Ticket für das Essen kaufen müssen. Andere verlangen bei der Reservierung die Kreditkartennummer und weisen auf eine “Gebühr beim Nichterscheinen” hin. 

Früher galt der Handschlag und die Zusage

Im Deutschen Knigge Rat entsteht eine spannende Diskussion: Die Corona-Pandemie hat sehr viele Beziehungen weggenommen. Gleichzeitig führen die zahlreichen Optionen, aus denen jeder täglich wählen kann, bei manchen zu einer “Entscheidungsarmut”. 

Für dieses Phänomen gibt es bereits einen schönen Begriff: “Fear of a better option” – kurz FOBO genannt. Damit bin ich wieder beim Thema Verbindlichkeit. Früher galt der Handschlag. Juristisch ist das heute noch so, dass geschäftliche Vereinbarungen, die mündlich getroffen werden, gültig sind. Auch eine telefonische Zusage war verbindlich. 

Doch der Drang nach Freiheit dominiert häufig auch die Entscheidungskultur: Ich will kurzfristig entscheiden können. Manche Menschen zögern bis zuletzt mit der Zusage: Andere sagen langfristig vorab Ja und kommen dann doch nicht. “Ist halt was dazwischen gekommen.”

Lässiges Schulterzucken statt Verbindlichkeit

Auch bei Seminaren haben meine Frau Ilona und ich das schon wiederholt erlebt: Teilnehmer buchen verbindlich ein Seminar, schreiben sonntagabends, wenn niemand im Büro ist, lapidar: “Kann morgen nicht kommen.” 

Ob der Referent wartet oder das Essen vorbereitet ist: Lockeres Schulterzucken. Als Veranstalter bitte ich die Person um einen kurzen Perspektivwechsel, erkläre welche Vorbereitungen im Hintergrund notwendig sind, um eine Veranstaltung durchzuführen. 

Mitunter ziehe auch einen Vergleich: Wenn Sie ein Flugticket kaufen und nicht einsteigen, fliegt das Flugzeug trotzdem, das Ticket ist verloren. “Ist mir egal”, höre ich mitunter. Doch wenn ich freundlich um Verständnis werbe, dass auch wir bei “No Show” die Seminargebühr erheben, ernte ich massiv Ärger. “Warum soll ich Strafe zahlen, das sehe ich nicht ein. Dann komme ich nie wieder!”

Drohender Beziehungsabruch 

Im Deutschen Knigge-Rat sprechen wir über die Angst vor Beziehungsabbruch, die bei etlichen Profis dazu führt, auf eine Gebühr zu verzichten. Doch wirtschaftlich ist dies ein schwieriger Diskurs. Das gilt auch im medizinischen Bereich. 

Während es in Praxen für Physiotherapie schon seit längerem üblich ist, dass die Behandlung auch bei Nichterscheinen abgerechnet wird, begegnen nun auch Ärzte der mangelnden Verbindlichkeit. Erst kürzlich musste ich beim Zahnarzt unterschreiben, dass ich bei Nichterscheinen eine Gebühr zahlen muss.

“Verbindlichkeit ist immer zweiseitig”, so der Tenor im Deutschen Knigge Rat. Ein Kollege erzählt, dass in seinem Unternehmen bei Mitarbeitertreffen um 16 Uhr die Tür abgeschlossen wird. “Wenn ich zu spät komme, habe ich nur die Chance nachher das Protokoll zu lesen.” Diese Regelung führe zu einer erhöhten Pünktlichkeit und einer größeren Verbindlichkeit.

Halte ich mich selbst an Zusagen?

Lassen Sie mich zum Schluss noch ein aktuelles Beispiel erzählen: Kürzlich wurde ich von einem befreundeten Ehepaar zum 60. Geburtstag in Kassel eingeladen. Eine sehr stilvolle Einladung zu einer Feier in einem ehemaligen Hallenbad. 

Meine Frau und ich freuten uns sehr über die Gunst, bei diesem besonderen Event eingeladen zu sein. Unser Problem: Wir hatten bereits Wochen zuvor bei einer anderen Einladung verbindlich zugesagt. Kurz darauf wurden wir am selben Tag ein drittes Mal eingeladen.

Dieses Wochenende brachte uns beide in die Bredouille. Doch unsere Entscheidung war klar: Unsere erste verbindliche Zusage galt. Trotz der weiteren Optionen wollten wir unser Wort halten. Unser Ja gilt.

Uns war bewußt, dass wir damit zwei weitere Gastgeber enttäuschen mussten. Trotzdem sagten wir ab. 

Sie merken wie schwer es manchmal sein kann, Verbindlichkeit im Alltag zu leben. Zum Schluss unserer Sitzung, sagte ein Kollege im Knigge Rat noch einen klugen Satz: “Grenzen setzen führt zu Wertschätzung.” Das gilt für beide Seiten.

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