Wie gelingt ein erfolgreicher „Leiterwechsel“?

Evi Rodemann ist ein CHEERLEADER für junge Leiterinnen und Leiter in ganz Europa. Mit Leidenschaft und Hingabe investiert sie sich in die nächste Generation von Führungskräften der christlichen Szene. Fast automatisch trifft sie dabei auf die Frage, wie ein erfolgreicher Wechsel an der Spitze einer Organisation gelingt. Eine Frage, die vielen Kirchen, Gemeinden und Organisationen in den kommenden Jahren ins Haus steht.

Was sollte man theoretisch wissen und praktisch bedenken? Wie gelingt der Wechsel wirklich? Evi hat ihre  Beobachtungen für den LEITERBLOG zusammengefasst und die Praxis am Beispiel der Wechsel von Ingolf Ellßel, ehemaliger Präses des BFP und leitender Pastor in Tostedt sowie den von Dr. Heiner Christian Rust in der Braunschweiger Friedenskirche reflektiert.

Wie gelingt der Wechsel an der Spitze?

„Wie gelingen Leiterwechsel in unseren Gemeinden und Organisationen erfolgreich und nachhaltig?“, ist eine Frage, die mich die letzten zwei Jahre immer wieder neu bewegt hat.

Vielleicht, weil mein eigener Abgang in einer von mir mitgegründeten Organisation vor einigen Jahren eher sehr unwürdig und schmerzhaft von statten ging, aber auch, weil ich etliche Kirchen und Gemeinden in Deutschland wahrnehme, wo Gründer scheinbar an ihrem Amt festkleben; wo Übergabe sich schwierig gestaltet, wo Übergabe vielleicht auch zu einer Spaltung führt. Es scheint, als ob es so wenig erfolgreiche Leiterwechsel in unserem deutschsprachigen Raum gibt. Vielleicht auch, weil das, was wir hören, öfter für Schlagzeilen sorgt.

Dem ging ich also auf die Spur. Um meinetwillen, aber auch, weil ich mit so vielen unterschiedlichen (besonders jüngeren) Leiterinnen und Leitern arbeite, sie fördere und ermutigen möchte, sich schon heute auf Wechsel und Übergaben vorzubereiten. Auch die junge Generation selbst stellt sich dieser Frage nach einer guten Staffelübergabe.

„Je größer die Kirche, umso länger die Dauer, und je detaillierter die Wachstumsstruktur, umso wichtiger ist eine Übergabe und umso schwieriger, diese gut auszuarbeiten“, sagte Lyle Schaller.

Während ich mir Gründer und die Art des Leiterwechsels anschaue, ist mir sehr bewusst geworden, dass es keine unkomplizierte Aufgabe ist. Viele Herausforderungen und Möglichkeiten erwachsen aus einem Leitungswechsel. Und wie Schaller sagte, je größer, je länger und je mehr Herausforderungen warten dann darauf, angegangen zu werden.

Wir sind erschüttert!

Einige der kürzlich stattfindenden Wechsel in Deutschland aber auch global, haben mich eher erschüttert. Dies sind Pastoren und Leiter, die von uns jüngeren Leitern bewundert werden, die als Vorbilder fungieren und uns inspirieren. Und diese Wechsel haben nicht gut funktioniert.

Kaum gab es einen Dank an den Leiter; wenig Möglichkeiten, das Erbe gut zu übergeben; keine Rückfragen an das Team; der Leiter wurde einfach ziehen gelassen oder gebeten zu gehen und von der neuen Leitung wurde erwartet, dass diese alles anders und besser tätigt. Oder aber der zurück getretene Leiter steht mit einem Mal wieder auf der Matte und übernimmt erneut das Ruder.

Wie also solch ein Stabwechsel gut und in Ehren passieren kann, ließ mir keine Ruhe. Umgeben von vielen guten Leitenden fragte ich etliche, wie sie es erlebt haben und was wir daraus lernen können.

Mit manchen eher negativen Geschichten im Gepäck, hatte ich das große Privileg, drei Menschen konkret meine Fragen zu stellen. Leiter, die ich bewundere und wo ich staune und dankbar bin, wie gut deren Staffelübergabe geklappt hat. Was war deren Geheimnis? Wieso funktionierte es bei ihnen?

Ich befragte Pastor Andreas Timm, der von Pastor und ehemaligen Präses des BFP, Ingolf Ellßel, die Gemeinde übernommen hatte. Ebenso Dr. Michael Bendorf, der die Baptistengemeinde Friedenskirche in Braunschweig von Dr. Heiner Rust übernommen hatte sowie Matthias Spiess, der bis April 2020 mit Marc Jost als Co- Generalsekretäre der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA innerhalb der deutschsprachigen Schweiz war und an Andi-Bachmann-Roth übergab, der vorher verantwortlich für den Jugendbereich der SEA war.

Also zwei Leiter, die die Arbeit von großartigen und prägenden Pastoren übernahmen und darauf aufbauten. Ein großartiger und prägender Leiter eines Netzwerks, der seine Arbeit übergab.

Drei Männer und etliche Antworten, die ich gerne hier gebündelt darstelle.

„Einen guten Leiter erkennst du auch an seinem Abgang.“ | Matthias Spiess

Was ist für einen guten Leiterwechsel hilfreich?

Was ich bei allen Antworten am meisten vorgefunden habe, ist der Fokus auf die inneren Überzeugungen und Einstellungen. Eine gut gelingende Übergabe hat mit Respekt, Achtung und einem guten Miteinander zu tun.

  • Beide Leiter (der, der geht und der, der kommt) schätzen den pastoralen Dienst des anderen als eine Berufung Gottes
  • Beiden Leitern ist bewusst, dass sie eine große Verantwortung für die Gemeinde/Organisation tragen und wollen dieser Verantwortung gerecht werden
  • Beide schätzen aneinander die Komplementierung der Gaben, die Persönlichkeit etc. und nehmen den Nachfolger nicht als eine Bedrohung war, wenn dieser abschließend übernehmen wird
  • Beide Leiter stehen einander zur Verfügung, den anderen in dem Prozess des Übergangs zu bestärken und zur Seite zu stehen
  • Der gehende Leiter wird zu keiner Zeit aus dem Dienst gedrängt, noch wird er selbst zum Flaschenhals. Der ältere oder gehende Leiter kann loslassen und der jüngere Leiter kann warten, bis die Staffelübergabe vollzogen ist
  • Beide Leiter mögen und vertrauen sich und bis zur Übergabe arbeiten sie gerne miteinander. Wo es gut funktioniert, kann der ältere Leiter sogar in der Nähe bleiben, predigt immer mal wieder und fungiert als Mentor für den nachfolgenden Leiter.
  • Es gibt vorhandenen Respekt vor dieser Übergabe und der Wunsch, diese so friedlich, einvernehmlich und längerfristig wie möglich durchzuziehen.

1. Die Haltung des scheidenden Leiters

„Einen guten Leiter erkennst du auch an seinem Abgang“, schrieb Matthias.

Dafür ist entscheidend, dass der scheidende Leiter einen guten Selbstwert und einen gesunden Realismus hat („es ist an der Zeit zu gehen“ (Joh 13,1-3), „Ich kann nicht mehr geben“, „eine andere Person sollte diese Kirche oder Dienst in die nächste Phase führen“, „ich denke, etwas Anderes ist jetzt für mich dran“.

Innere Sicherheit und in sich ruhen können ist eine weitere wichtige Haltung.

Zu wissen, wer man ist, sich und seine eigenen Grenzen kennen und akzeptieren; nicht klammern, sondern loslassen zu können hat viel mit einem gesunden Selbstwert zu tun. Dann bestimmt weder eine Notwendigkeit für Vergleiche noch besteht eine Bedrohung durch Position oder Leistung. Auch nicht, wie viele Menschen mir nach einer Predigt auf die Schulter klopfen.

In einem Fall zog nach Eintritt der Rente der scheidende Pastor für zwei Jahre woanders hin. Wann immer er konsultiert wurde, verwies er auf den neuen leitenden Pastor. Auch George Verwer, Gründer von OM, macht es genauso. Er verweist bis heute immer wieder auf den neuen internationalen Direktor und verantwortet nur für sich selbst spezielle Projekte, in Abstimmung mit dem neuen Chef.

2. Die Haltung des kommenden/neuen Leiters

Der neue Leiter sollte dem scheidenden Leiter eine dienende Haltung zeigen und bewahren. Ihm mit Achtung und Respekt begegnen; d.h. in einer David-Haltung und nicht mit einer Absalom-Gesinnung (Buch: Gene Edwards, Der Stoff, aus dem Könige sind – über Macht, Ohnmacht und Vollmacht).

Ebenso sollte der neue Leiter eine gesunde und demütige Selbsteinschätzung haben. Zu wissen, dass das Reich Gottes nicht erst mit mir anfängt, sondern dass ich Teil einer Gemeinde- oder Organisationsentwicklung bin, die ich weiterführen darf. Ich baue auf das gelegte Fundament, woran andere vor mir gebaut haben.

Einen Plan erstellen

Kein Übergang ist problemlos, aber man kann Übergänge planen und begleiten. Und dafür sind ein Plan und eine Strategie unumgänglich. Für solch einen Stabswechsel muss genügend Zeit eingeräumt werden. Generell spricht man von 2-5 Jahren, inklusive Durchführung.

Zusammen mit einem Zeitplan muss Klarheit darüber erstellt werden, wie die zukünftigen Rollen aussehen werden, wie und wann die Übertragung von Verantwortung stattfinden wird. Hier darf es kein Gemauschel geben, kein „wir schauen mal“ etc.

Mit der Planerstellung geht eine gute Kommunikation einher. Es besteht Verschwiegenheit im Kernteam, bis Einheit über den Zeitplan, die Rollen etc. bestehen.

Im Schweizer Team gab es bis zum Stabswechsel jeden Mittwoch eine Teamsitzung, wo folgende Fragen besprochen wurden: „Wie geht es mir persönlich? Wie geht es mir in Bezug aufs Team? Wie geht es mir in Bezug auf meine Arbeit?“

Hier finde ich die Story von Heiner Rust und Michael Bendorf so ermutigend.

Michael schreibt:

„Ich bin im August 2015 nach Braunschweig gekommen. Es war vereinbart, dass Heiner mich einarbeitet und Ende 2016 die Gesamtleitung an mich übergibt. Für mich war diese Einarbeitungszeit sehr hilfreich. So hatte ich genügend Zeit, die Menschen und die Strukturen kennenzulernen. Ich habe die Zeit genutzt, um gut zuzuhören und genau hinzuschauen. In dieser Zeit habe ich vor Ort viel von Heiner gelernt. Im Frühjahr 2016 fragte Heiner mich an, ob wir die Stabübergabe nicht schon im Sommer 2016 vollziehen wollen. Ich war bereits gut eingearbeitet und in der gesamten Leitung waren wir als Team herzlich und vertrauensvoll – eigentlich freundschaftlich – miteinander unterwegs. So haben wir die Leitungsübergabe im Sommer 2016 vollzogen und Heiner war noch bis zu seiner Entpflichtung im März 2019 unter meiner Leitung im Leitungsteam (Ältestenkreis) dabei. Diese Zeit unter meiner Leitung war für ihn wertvoll. Er betonte mehrfach, dass nun er wiederum eine Menge durch meine Art des Leitens gelernt habe. Sicherlich hat sehr viel zu diesem Miteinander beigetragen, dass wir beide einfach gerne Zeit miteinander verbracht haben (verbringen), wir beide Gemeinde lieben, unsere Macht zum Dienen nutzen wollen und zugleich einfach gerne dazulernen. Dass ich zu seiner Verabschiedung die Festschrift im Neufeld-Verlag herausgebracht habe, war eigentlich so der goldene Abschluss unserer gemeinsamen Zeit.“

Matthias beschrieb ebenso sehr praktisch die Phasen des Übergangs in seinem Team:

Übergänge sind Prozesse. Wir haben bereits letzten Sommer die Retraite mit einer externen Person begleiten lassen, um Bedenken, Fragen und praktische Dinge des Wechsels aufzuschreiben und konkret anzugehen. Wir haben jeweils mittwochs eine Austausch- und Gebetszeit, die verbindend ist. Pro Semester wird diese Stunde je nach Bedarf auf einen halben oder ganzen Tag ausgeweitet. Vor zwei Monaten (Mai 2020) haben wir entschieden, dass wir den Leitungswechsel im Leitungsteam mit einer externen Beratungsperson anschauen wollen. Wir haben alle den Birkman©-Test gemacht und anhand dieser Analyse haben wir betrachtet, was mein Nachfolger für Qualitäten hat und in welchen Bereichen evtl. Spannungen entstehen könnten. Auch die Frage der Kommunikation, Zeitpunkte etc. waren sehr wichtig, da aufgrund von Corona die offizielle Delegiertenversammlung erst im August stattfindet, der Leitungswechsel aber Ende Mai stattfand. Trotzdem hat es noch zweimal Situationen gegeben, wo größere Spannungen entstanden, die wir ansprechen und lösen mussten.

Was ich von allen drei Leitern hier mitbekommen habe, ist ihre Bereitschaft, erneut abgeben zu können. Zwei von ihnen folgten auf prominenten Leitern und sind sich selbst sehr klar, dass sie wiederum Nachfolger heranziehen werden, ohne genau zu wissen, was für sie selbst als nächster Schritt kommen könnte.

Andreas hat seinen Nachfolger schon an Bord. Vielleicht gibt es irgendwann einen Rollentausch (er wird zweiter und der Nachfolger erster oder er geht woanders hin). Diese Leichtigkeit in dem Ganzen, das Beste für die Arbeit und Gemeinde zu wollen und zu suchen, fordert mich heraus.

Natürlich läuft die Stabsübergabe nicht ohne Herausforderungen ab. Selbst wenn wir das Beste wollen. Ein Pastor erzählte mir, dass es wirklich immer ein Geschenk Gottes ist, wenn Übergaben gut klappen und zeitgleich muss hart daran gearbeitet werden.

Matthias hat dazu einen schönen Spruch auf seinem Schreibtisch: «Everything will be okay in the end. If it’s not okay, it’s not the end.» (Alles wird am Ende OK sein. Wenn es nicht OK ist, ist es noch nicht das Ende).

Typische Herausforderungen in der Übergabe:

  • Das eigene Ego, ein ungesundes Selbstbewusstsein und eine Selbstüberschätzung können einer guten Übergabe im Wege stehen. Dies wird besonders in einer Übergangsphase deutlich.
  • Etwas loslassen und gleichzeitig die Kontrolle über die Situation haben zu wollen
  • Hinter dem Rücken Gerede wahrzunehmen oder sich selbst mit einzuklinken, denn generell wünschen Menschen nie, dass ein Leiter sich verabschiedet.
  • Sachen für sich behalten, um Macht zu behalten, anstelle all sein Wissen zu teilen und großzügig zu sein.
  • Bis zum Ende so arbeiten, als ob man nicht gekündigt hat oder gekündigt wurde.
  • Intern und extern positiv über die Chancen eines Wechsels reden.

Wie man es seinem Nachfolger leichter machen kann, habe ich bei Matthias entdeckt. Marc war mit ihm schon länger im Amt und nun rückte Andi nach.

Matthias: „Ich habe Leitungspersonen gefragt, ob sie sich in einen Doodle eintragen, so dass er (Andi) die ersten 100 Amtstage jeden Tag eine Ermutigung, ein Geschenk oder was auch immer erhält. Damit denken die externen LeiterInnen wenigstens einmal an Andi und umgekehrt wird er so das Netzwerk erweitern und pflegen können. Die 100 habe ich nicht ganz erreicht, aber fast …“ Eine geniale Idee, so praktisch jemanden in das Netzwerk einzuführen, den Blick von sich selbst auf den Neuen zu wenden.

Wie man erkennt, dass ein Leiterschaftswechsel dran ist, fragte ich Matthias.

„Ich will eine Stelle wechseln, solange ich noch Spaß an der Arbeit habe und ich gerne noch zwei Jahre länger bleiben würde“, schrieb er. Dazu gehört das Hören auf den Heiligen Geist und erkennen, wann es Zeit ist zu gehen. Für einen selbst wie für die Arbeit.

Ich persönlich bin ermutigt und herausgefordert, einen besseren Leiterwechsel in der Zukunft hinzubekommen, als ich diesen bisher erlebt oder praktiziert habe. Und es verleiht mir praktische Hoffnung, dass so etwas möglich ist. Michael, Andreas und Matthias sind großartige lebendige Beweise dafür. Danke euch!

Geht es doch so wenig um uns selbst, sondern darum, gemeinsam Gottes Reich zu bauen und der nächsten Generation auch hierin ein gutes Vorbild zu sein.

Packen wir es erneut an!

Für weitere Reflektionen einige Links:

https://www.mckinsey.com/business-functions/organization/our-insights/successfully-transitioning-to-new-leadership-roles
https://real-leaders.com/4-keys-successful-leadership-transitions/
https://der-leiterblog.de/2013/03/15/pastorenwechsel-leiterwechsel-buchtip/
https://der-leiterblog.de/tag/pastorenwechsel/

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
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