Hier kommt der zweite Teil zur Frage, was Christen aus der Erfahrung bedrängter und verfolgter Christen für diese Zeit jetzt lernen können. Im ersten Teil gab uns der AVC einen guten Einblick, jetzt hat uns Ado Greve von Open Doors einen sehr wertvollen Bericht mit herausfordernden Einsichten für den Leiterblog zur Verfügung gestellt. Hier ist er:
Perspektiven in der Isolation – Lernen von verfolgten Christen für den Umgang mit Corona
Viele Christen in Deutschland erleben die weltweite Covid-19-Pandemie als enorme Herausforderung für das Gemeindeleben. Gemeinschaft war bislang physische Begegnung mit anderen Christen. Sie schenkt Halt und Trost und fördert unsere geistliche und emotionale Entwicklung. Nun fehlt sie in der gewohnten Form. Wie stark ist unsere Verbindung zueinander jetzt? Und worauf gründet sich Gemeinschaft letztendlich? Lässt sie sich auch per Telefon oder Videokonferenz herstellen? Pastoren und Gemeinden bieten vermehrt Gottesdienste per Livestream sowie Seelsorge per Telefon und Internet an. Neue Arbeitsweisen und Formen der Kommunikation müssen jedoch eingeübt werden und bedeuten neben der Freude über die Möglichkeiten teils erheblichen Zusatzaufwand.
Wie viele nehmen an der neuen Form des Gemeindelebens teil? Wie und wie stark erleben sie Gemeinschaft? Und eine gefährliche Frage: Wie würden Gemeindeleben und Gemeinschaft aussehen, sollten auch Internet und Telefon wegfallen? Die Isolation ist ja bereits jetzt spürbar.
Viele verfolgte Christen leben in erzwungener Isolation
Eine der ersten Auswirkungen von Verfolgung ist Isolation. Was für uns Ausnahme ist, erleben viele verfolgte Christen als den Normalfall. Nordkorea ist dafür ein Extrembeispiel aber beileibe kein Einzelfall. Weitgehend getrennt vom weltweiten Gemeindegeschehen, existiert in dem kleinen ostasiatischen Land eine Gemeinde im Untergrund. Das Regime zwingt sie in die Isolation: Weil der Glaube an Gott drakonische Strafen nach sich zieht, treffen Christen sich nur heimlich. Oft nur zu zweit oder zu dritt, manchmal bei einem gemeinsamen Spaziergang. Mitunter sitzen zwei Christen gemeinsam auf einer Bank, jeder mit einem kleinen Stück Brot in der Hand. Sie feiern Abendmahl. Bevor jeder wieder seines Weges geht, beten sie kurz füreinander. Sie sind bei dieser Begegnung völlig präsent. Sie zehren von dieser kurzen und stärkenden Gemeinschaft.
Auch in mehrheitlich islamischen, hinduistischen oder buddhistischen Ländern sind Christen oft isoliert von jeglicher christlichen Gemeinschaft. Sie sind zumeist doppelt isoliert, weil sie nach ihrer Hinwendung zu Jesus von der eigenen Familie ausgeschlossen wurden. Harte Verfolgung durch die eigene Familie und – falls verheiratet – sogar durch den andersgläubigen Ehepartner sind nichts Ungewöhnliches. Gemeinschaft mit anderen Christen ist für sie nicht möglich, wenn sie vor Ort die einzigen sind oder sie keine kennen. Oder wenn es wegen der intensiven Überwachung durch Regime und Familie zu gefährlich ist, sie zu treffen. Manche stehen zumindest über das Internet oder Telefon mit anderen Christen in Verbindung. Das Gebet am Telefon und der Austausch im Chat sind kostbar und eine wichtige Unterstützung.
Diese Form der Gemeinschaft sollten wir – jetzt während der Pandemie – gezielt nutzen und noch weiter ausbauen. Für Nawal (Name geändert) in Saudi-Arabien war sie quasi die Nabelschnur, die sie am Leben hielt. Hier ist ihre Geschichte.
Möglichkeiten in der Isolation – allein und doch verbunden
Die wenigen Christen unter den einheimischen Saudis müssen ihren Glauben streng geheim halten und sind dadurch häufig sehr isoliert. Nawal, etwa 30 Jahre alt und Mutter einer Tochter, wuchs wie viele saudische Frauen als Bürgerin zweiter Klasse auf. Bei ihrer Suche nach einem Sinn für ihr Leben hörte sie eines Tages im Internet Predigten einer ausländischen Christin. Die Botschaft von einem liebenden Gott, der Sünder annimmt und wie ein Vater für seine Kinder da ist, berührte Nawals Herz. Über ein von Open Doors unterstütztes Portal kam die junge Frau mit anderen Christen in Kontakt. Diese schickten ihr Schriften und empfahlen ihr eine Online-Bibel. Immer deutlicher spürte Nawal, wie Gott zu ihr sprach, und so beschloss sie Jesus zu folgen. Über das Internet kam sie mit ausländischen Christinnen in Kontakt, die in Saudi-Arabien leben. Sie wohnten aber zu weit weg, um sich persönlich mit ihr zu treffen. Außerdem wäre ein Besuch viel zu gefährlich gewesen. Aber über das Internet konnte Nawal von ihnen lernen.
Bald jedoch erfuhr Nawals Mutter von ihrem Glauben und stellte sie unter Hausarrest. Über Telefon und Laptop konnte sie zwar mit anderen Christen in Verbindung bleiben, dennoch wurde sie immer einsamer, weil sie vom sozialen Leben völlig abgeschnitten war.
Auf das Drängen ihrer Familie hin musste Nawal in eine Heirat einwilligen. Sie entschied sich für den dritten Kandidaten, einen weniger strenggläubigen Muslim als die beiden anderen. In der Folgezeit kämpfte Nawal mit Depressionen. Ihre christlichen Freunde beteten verstärkt für sie und hielten über Telefon und WhatsApp Kontakt.
Nach außen verhält sich Nawal wie eine Muslima. Sie lebt in ständiger Furcht davor, ihr Mann könnte herausfinden, dass sie Jesus nachfolgt. Deshalb hat sie aufgehört, die Bibel online auf ihrem Laptop zu lesen. Denn nach saudischem Recht wäre ihr Mann befugt, sie zu schlagen, sich scheiden zu lassen oder sie sogar zu töten. Wer den Islam verlässt, kann keine Gnade erwarten. Und der saudische Staat lässt den Familien die Freiheit, derartige Angelegenheiten „privat zu regeln“.
Nawal betet, dass Jesus ihr die Kraft gibt, weiter an ihn zu glauben. Angst und Depression bedrohen ihren Glauben. Aus Furcht verabschiedete sie sich an ihrem Hochzeitstag von ihren christlichen Kontakten. Sie schrieb: „Ich werde eure Kontaktdaten löschen und darf zu meiner eigenen Sicherheit nicht mehr antworten. Aber ich werde alles lesen, was ihr mir schickt.“
Ab und zu erhält sie eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. Es sind nur wenige Worte. Sie weiß, dass man noch immer für sie betet. Nawal schließt für eine Sekunde die Augen und flüstert: „Amen“. Wenn es möglich ist, antwortet sie kurz. Dann löscht sie die Nachrichten von ihrem Telefon. Es ist die einzige Art geistlicher Gemeinschaft mit anderen Christen.
Wir können nur ahnen, wie schwer es für sie ist, ihren Glauben zu bewahren. Doch wir wissen, wie wertvoll und wichtig jedes Wort der Ermutigung für sie ist und wie viel unsere Gebete für sie vermögen. So wie Jesus dies Petrus in seiner dunkelsten Stunde gesagt hat: „Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört.“
Die Isolation durchbrechen und Verbindung herstellen
Im Gebet treten wir an die Seite der vielen Nawals dieser Welt und stellen eine Verbindung her. Das hat die Pandemie deutlich gemacht: An vielen Orten können wir zwar nicht körperlich anwesend sein, aber wir können im Geist verbunden sein durch Gebet und durch Zuspruch. Das ist Gemeinschaft.
Im April veröffentlichte Open Doors eine Stellungnahme zur Coronakrise von Markus Rode, Leiter des deutschen Büros. Darin schreibt er vom „Blutkreislauf zwischen den Gliedern des Leibes Christi“ und davon, wie wichtig es ist, diesen wieder- oder auch neu herzustellen. Hier einige Auszüge:
Mir wurde bei meinen Reisen zu verfolgten Christen klar, dass ihre dringende Bitte um Gebet in vielen unserer Gemeinden noch nicht angekommen war. […] Von verfolgten Christen habe ich im Laufe der Jahre gelernt, dass man sich auf gefährliche Missionen rechtzeitig vorbereiten muss. Sie haben lernen müssen, dass nichts sicher ist, außer den Zusagen, die Jesus uns gegeben hat. Aus diesem Grund führt Open Doors auf Bitten verfolgter Christen seit vielen Jahren in verschiedenen Ländern Seminare mit dem Titel »Fest stehen im Sturm« zur Vorbereitung auf Verfolgung durch. Auch in Syrien konnten wir dies noch kurz vor dem Krieg tun. Dabei lehren wir besonders die Leiter von Gemeinden, wie sie die Taktiken des Feindes erkennen können, um mit göttlicher Strategie, geistlicher Autorität und der Kraft des Heiligen Geistes den kommenden Stürmen zu trotzen.
In Matthäus 24,6−8 sagt Jesus zu seinen Jüngern: »IHR WERDET ABER VON KRIEGEN UND KRIEGSGERÜCHTEN HÖREN; HABT ACHT, ERSCHRECKT NICHT; DENN DIES ALLES MUSS GESCHEHEN; ABER ES IST NOCH NICHT DAS ENDE. […] UND ES WERDEN HIER UND DORT HUNGERSNÖTE, SEUCHEN UND ERDBEBEN GESCHEHEN. DIES ALLES IST DER ANFANG DER WEHEN.«
Wenn die Corona-Pandemie erst eine der Plagen am Anfang der Wehen ist, dann ist die gute Nachricht, dass wir als Leib Christi noch Zeit haben, uns auf das vorzubereiten, was bis zur Wiederkunft Christi nach Matthäus 24 und der Offenbarung noch vor uns steht.
Nutzen wir diese Zeit? Was es heißt, unvorbereitet zu sein, erleben wir gerade angesichts der Dimension und den Folgen des Kampfes gegen die Pandemie. Seit über 15 Jahren gibt Open Doors den Weltverfolgungsindex heraus, die Liste der 50 Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Und seit Jahren berichten wir, dass Ausmaß und Umfang der Christenverfolgung jedes Jahr zunehmen. Für mich ist das ebenfalls ein Zeichen der Zeit. Es ist ein Indikator, der uns wachrütteln soll. Denn in Matthäus 24,9 sagt Jesus: »DANN WIRD MAN EUCH BEDRÄNGEN, MISSHANDELN UND TÖTEN. DIE GANZE WELT WIRD EUCH HASSEN, WEIL IHR ZU MIR GEHÖRT.«
Ich frage mich, wie stark die Gemeinde Jesu in dieser Zeit sein wird, wenn die ganze Welt uns hassen wird. Wie stark werden wir mit unseren jetzt schon verfolgten Geschwistern dann verbunden sein, die uns lehren können, wie man in Verfolgung bestehen kann? Wieviel Zeit haben wir noch, diese Verbindung zu stärken?
Jesus möchte, dass wir uns auf die schweren Zeiten der Verfolgung vor seiner Wiederkunft vorbereiten. Dazu gehört, dass wir uns als Glieder des Leibes Christi zusammenschließen. Ich glaube, es ist höchste Zeit, den Blutkreislauf zwischen den Gliedern des Leibes Christi gerade jetzt zu verstärken.