Viele Kirchen- und Gemeindeverbände kämpfen mit der Frage, wie sie ihre Zukunft gestalten sollen. Eine klasse Führungsfrage. Bleiben wir ein Bund oder ein Verband? Gibt es Alternativen? Sind Netzwerke die bessere Lösung? Werden klassische Kirchen, Bünde, Verbände … überleben, oder sind sie ein Auslaufmodell? Netzwerk oder Bund? Netzwerk und Bund?
Ein Verband hat sich nun nach 178 Jahren erfolgreicher Geschichte zu einem mutigen Schritt entschlossen und sich in seiner bisherigen Form aufgelöst! Sie haben den Posten des Direktors abgeschafft und die Weichen für eine andere Zukunft gestellt. Was ist passiert? Wird das »Schule« machen?
CHRISCHONA INTERNATIONAL hat sich aufgelöst!
Das ist schon ungewöhnlich, was Chrischona International zu Beginn des Jahres 2019 umgesetzt hat, nachdem sie lange – auch schmerzhaft – nach Wegen für die Zukunft gesucht haben. Ende 2018 wurde René Winkler als achter und gleichzeitig letzter Chrischona-Direktor verabschiedet. Seit dem 1. Januar 2019 gibt es den Dachverband Chrischona International nicht mehr. Anstelle eines Verbandes, Bundes, einer Freikirche ist das Netzwerk getreten. Die Fakten fasst dieses informative Video kurz zusammen:
Netzwerke?
Ein Schritt, den auch immer mehr Gemeinden aus Verbänden wählen. Obschon sie (noch) Mitglieder in einem Bund bleiben, vernetzen sich Ortsgemeinden national und international in Netzwerken. Was versprechen sie sich davon? Mehr Beziehungen, gegenseitige Unterstützung, Ermutigung und konkrete Begleitung. Die Angebote kommen oft aus einem internationalen Background und treffen den Nerv vieler jüngerer Leiter und Kirchen. Ihre Namen? Hillsong, ICF, Church of the Highlands, Gateway, City to City, Equippers … und viele weitere sind als Netzwerkanbieter am Start. Und nun auch Chrischona.
Netzwerke in anderen beruflichen Kontexten sind schon längst an der Tagesordnung. Teil eines Netzwerkes zu sein, vernetzt zu arbeiten und in Verbindungen zu stehen, ist ein wesentlicher Faktor erfolgreicher Berufsarbeit. Diese Welt hat ein Maß an Komplexität und eine Geschwindigkeit des Wandels erreicht, der Netzwerken offenbar einen »Standortvorteil« verschafft!
Muss man das kritisch sehen?
Mindestens decken die Erfolge dieser Angebote Defizite in bestehenden Strukturen auf. Beziehungen, eine bestimmte Kultur und auch Ermutigung und Qualifizierung wird nicht in dem Umfang in den Bünden, Kirchen u. Freikirchen erlebt, wie sich das die nächste Generation Verantwortlicher in Kirchen wünschen. Ob klassische Angebote diese Elemente authentisch und dynamisch integrieren können, bleibt abzuwarten.
Die bestehenden Angebote haben neben ihren »Strukturen« vor allem »Kulturen« (die Summe aller Haltungen und Handlungen) ausgebildet, die diesen Wandel schwer machen. Das Beharrungsvermögen bei »Kirchens« ist schon recht hoch. Nicht wenige wünschen sich einen geschützten Rückzugsort, der – gute – vergangene Erfahrungen konserviert. Doch das wird keine Zukunft haben können. Solange klassische Angebote finanziell machbar sind, wird Veränderung und Entwicklung eher schleppend voranschreiten. Und das wird dazu führen, dass sich eine jüngere Generation von diesen Angeboten eher abwenden wird und in Netzwerken findet.
Freikirchen auf dem Prüfstand …
Prof. Dr. Philipp Bartholomä untersucht die Entwicklungen der Freikirchen als Akademiker genau. Seine Einsichten sind nicht so populär, aber notwendig und bedenkenswert. Seine Forschungsarbeit wird Mitte August als Buch erscheinen. Hier gibt es mehr Infos dazu. Da »Fakten Freunde sind«, können Führungskräfte nicht die Augen vor diesen Fragen verschließen.
René Winklers Perspektiven
In einem Interview mit idea hat René Winkler, der letzte Direktor von Chrischona einen – persönlichen – Blick hinter die Kulissen des Prozesses gegeben:
Sie haben einen langen Prozess hinter sich, der das Ziel hat, den weitverzweigten, international vernetzten Verband Chrischona International erfolgreich in die Zukunft zu führen. Gefällt Ihnen das Ergebnis?
René Winkler: Ja und nein. Das Ergebnis ist das Resultat eines längeren Entscheidungsprozesses, bei dem wir verschiedene Lösungen und Wege diskutiert und abgewogen haben. Das Resultat ist der grösstmögliche gemeinsame Nenner. Die Entscheidungen, die wir gefällt haben, sind in erster Linie struktureller Art. Strukturen fördern oder behindern das Wachstum und die Gesundheit des Lebens. Wir sind mehrheitlich der Meinung, dass wir den Lebensraum, den Entwicklungsraum mit den Veränderungen erweitern. Das Ergebnis werden die Früchte sein, die aus, durch und trotz dieser Veränderung wachsen. In fünf Jahren sehen wir, was gewachsen ist.
Tatsache ist: Nach 178 Jahren Chrischona-Geschichte hat sich der Direktor wegstrukturiert.
Wir – nicht nur ich – haben die Strukturen verändert. Eine Konsequenz ist, dass es die Funktion des Direktors nicht mehr geben wird. Eine Bewegung ist aber viel mehr als nur Strukturen. Für St. Chrischona ist es die Berufung, die C. F. Spittler erhalten hat, und die mit der Bildungsarbeit begann. Chrischona besteht aus Menschen, Beziehungen, einer Geschichte, der Verwurzelung an diesem Ort und dem Auftrag, Menschen zu berufen, sie zu begleiten und zu entwickeln. Dass ich der letzte Direktor bin, ist die augenfälligste, aber nicht die entscheidendste Veränderung.
Wie ist Ihre Gefühlslage?
Vielfarbig – jede Farbe, die man sich denken kann. Das geht von grün (Hoffnung) über rot (Eifer, Hitze, Engagement) bis hin zu blau (Ärger). Es ist eine Achterbahn und echt herausfordernd. Es gilt, den Schmerz auszuhalten, manchmal zu hoffen und auch zu kämpfen. Doch mir ist etwas klar geworden – und diese Erkenntnis erinnerte mich an ein Gedicht von William Ernest Henley, das Nelson Mandela im Film «Invictus» zitiert: «Ich bin der Meister meines Los‘. Ich bin der Käpt’n meiner Seel.»