Wie wirksam sind Freikirchen in Deutschland?

ACHTUNG: Das Lesen dieses Beitrages könnte dein „Gemeindeleben“ verändern! | Wie wirksam sind Freikirchen in Deutschland? Dieser Frage geht Dr. Philipp Bartholomä zur Zeit in seiner Forschungsarbeit nach. Er ist Pastor in Landau und Institutsleiter des Europäischen Instituts für Gemeindegründung und Gemeindewachstum. Als Wissenschaftler mit Lehraufträgen an Hochschulen geht er der Frage nach der »missionarischen Wirksamkeit« klassischer Freikirchen nach. Hier ein erstes Fazit:

Gibt es eine Krise der Mission?

Es ist wahr: viele junge Kirchen sind im Aufwind und voller Energie. Jeden Sonntag melden sich Menschen, die einen Weg mit Gott durch Jesus beginnen wollen. Das ist phantastisch. Sind diese guten Berichte repräsentativ? Halten sie qualitativen Nachfragen stand? Wie sieht es mit der missionarischen Kraft der (Frei-)Kirchen in unserem Land aus?

Warum ist diese Frage relevant für Leiter in der Kirche?

Bill Hybels schreibt in seinem Vorwort zu This Invitational Life seines Kollegen Steve Carter, dass die Kirche tolle Fortschritte in den Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Barmherzigkeit genommen hat. Dass sie mit Begeisterung Anbetung neu entdeckt hat und lebt. Was ihm aber schlaflose Nächte bereitet sei der Verlust der evangelistischen Energie der Ortsgemeinde. Außer dem Alpha-Kurs sei wenig in Sicht das hilft, die Gute Nachricht weiterzutragen.

»In the last decade, as I have engaged with pastors all across the world, I have noticed a marked decline in evangelistic energy in local churches that has caused me many a sleepless night. While I celebrate the rise in compassion and justice activities in churches and the unquestioned excitement around worship, aside from the Alpha Course I have not sensed many new conversations happening about spreading the good news to those who live unaware of it.«

Eine ernüchternde Diagnose die Leiter in der Kirche hellhörig machen müsste, wenn die Aufträge aus Matthäus 28,19, Markus 16,15, Apostelgeschichte 1,8 … zum Kern der Kirche gehören. Das Motiv der »missio Dei« ist in Johannes 3,16 dargelegt: der Liebe von Gott zu einer Welt, die ohne IHN auf dem Weg ist verloren zu gehen. Sie soll gerettet werden! Diese Priorität Gottes ist die erste Herzenspriorität einer lebendigen Kirche, die vielfältige Ausdrucksformen findet. Im unmittelbaren Stil (missional, attraktional) und im Ansatzpunkt (Verkündigung, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit …). Leiter in der Kirche sollten „nervös“ werden, wenn der „Markenkern“ bedroht ist. Ist er bedroht? Macht uns das nervös? Nun zum Fazit von Philipp:

Das vorläufige Fazit von Dr. Philipp Bartholomä

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat allein zwischen 2002 und 2012 fast 3 Millionen Mitglieder verloren. Großzügig gerechnet sind die vier hier behandelten freikirchlichen Bünde (Evangelisch-methodistischen Kirche, Bund Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden), Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden und Freien evangelischen Gemeinden. Anmerkung LEITERBLOG) zusammen genommen in diesem Zeitraum um insgesamt nicht mehr als 20.000 Mitglieder gewachsen.

Vor diesem Hintergrund scheint die Rede von einer freikirchlichen Krise der Mission gerechtfertigt.

Damit ist deutlich, dass selbst aus dem bisher noch nominell kirchlich gebundenen, aber der Kirche und dem christlichen Glauben immer mehr entfremdeten Milieu kaum Menschen den Weg in diese Freikirchen gefunden haben. Das gibt in der Folge wenig Anlass zur Euphorie im Blick auf die missionarische Kompetenz gegenüber den wachsenden säkularisierten Gesellschaftsschichten, denen zunehmend jegliche religiöse Sozialisierung abhanden kommt. Darüber können auch die (relativ gesehen) erfreulichen Bekehrungszahlen der Freien evangelischen Gemeinden kaum hinwegtäuschen, auch wenn diese die Zugangsraten der evangelischen Landeskirchen um ein Vielfaches übertreffen.[1] Bedenkt man außerdem, dass es sich

  1. beim moderaten freikirchlichen Zuwachs dennoch sicher zu einem gewissen Teil um (evangelikal geprägte) volkskirchliche Christen handelt, die ihrer Kirche enttäuscht den Rücken kehren, dass
  2. der Erfolg wachsender Freikirchen in der Regel immer auch das Resultat von Transfers aus weniger „attraktiven“ Freikirchen ist und dass
  3. Immigration und die Aufnahme bereits bestehender, unabhängiger Gemeinden weitere wichtige Erklärungsgründe für Mitgliederzunahmen in freikirchlichen Bünden darstellen, dann ist offensichtlich, dass der Anteil derer, die sich in Freikirchen tatsächlich neu zum christlichen Glauben bekehren, insgesamt als recht überschaubar betrachtet werden muss.

Vor diesem Hintergrund scheint die Rede von einer freikirchlichen Krise der Mission gerechtfertigt. Alle statistischen Indizien weisen darauf hin, dass derzeit bestenfalls von einer gewissen Resistenz, wohl eher von einer allgemeinen Stagnation und sicher höchstens punktuell von einer nachhaltigen, missionarischen Wirksamkeit im Raum der Freikirchen gesprochen werden kann. Daraus ergibt sich für missionarisch gesinnte Verantwortungsträger innerhalb der freikirchlichen Bünde die dringende Notwendigkeit, nach spezifischen Gründen für diese missionarische Krise zu fragen. Im Anschluss wäre dann mit Nachdruck nach theologisch belastbaren, kontextsensiblen Wegen, Methoden und Ausdrucksmöglichen zu suchen, um die gegenwärtige missionarische Orientierungs- und Sprachlosigkeit zu überwinden.

[1] Zu den Zugangszahlen der EKD vgl. Kap. 3.5.5. in Stefan Paas, Church Planting in Secular Europe: A Critical View from Europe, Grand Rapids [im Erscheinen], der ein jährliches Wachstum von 0,16 % bzw. einem Neudazugekommenen pro 700 Mitgliedern errechnet hat (aufgrund der Daten der EKD-Broschüre: Schön, dass Sie (wieder) da sind! Eintritt und Wiedereintritt in die evangelische Kirche, EKD-Texte 107, Hannover 2009, 11-12, sowie Michael Wohlers, Kircheneintritte: Motive, Anlässe, Auswirkungen, in: Jan Hermelink und Thorsten Latzel (Hg.), Kirche empirisch: Ein Werkbuch, Gütersloh 2008, 117-132).
Der ganze Artikel wird Mitte 2017 in der Zeitschrift Freikirchenforschung unter dem Titel „Gibt es eine freikirchliche `Krise der Mission`? Eine kritische Bestandsaufnahme“ erschienen.
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Über Lothar Krauss

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5 Antworten zu Wie wirksam sind Freikirchen in Deutschland?

  1. Harry schreibt:

    Danke für diese Einsichten! Gibt es eine zeitliches Diagramm über das zarte Wachstum und Austritte der Freikirchen über die letzten 20 Jahre?

    • lotharkrauss schreibt:

      Gib es. Die Studie von Dr. Philipp Bartholomä bringt sie. Da sie aber noch nicht veröffentlicht ist, kann ich die Zahlen noch nicht bringen sondern musste mich auf das Fazit beschränken. Das gehört zu den Spielregeln wissenschaftlicher Veröffentlichungen … Ich freue mich, wenn bald weitere Fakten auf den Tisch kommen. Das alles soll eine Diskussion bereichern. Einerseits ist das nichts Neues, wie alle – die mit offenen Augen Freikirchen erleben – wissen. Aber es „stört“ nur ganz wenige. Wir brauchen dringend eine neue Auseinandersetzung darüber! Ich würde es gut finden, wenn Leitende etwas „nervöser“ im Blick auf diese Situation würden … Das wäre echt gute Leitungsarbeit!

  2. Inga Haase schreibt:

    Sehr guter Artikel – er spricht mir aus der Seele! ABER wir dürfen es nicht beim „Diskutieren und auseinandersetzen“ belassen – es ist ein HANDELN gefragt, und zwar ein sehr stringentes und hartnäckiges Handeln. Ich bin dabei, hierfür einen Plan zu entwickeln, und zwar mit ganz frische bekehrten Christen und „noch-nicht-bekehrten“ Christen. Denn wir brauchen Innovation und Pragmatik – kombiniert mit Gottes Geist!

  3. Pingback: Was hat »LEAN CHURCH« mit der Wirksamkeit der Kirche zu tun? | DER LEITERBLOG

  4. T.Schmitt schreibt:

    Vor allem aber ist ein Beten gefragt. Keine große Erweckung hat mit Handeln begonnen, sondern i.d.R. mit anhaltendem Beten, manchmal über Jahrzehnte. Sind wir dazu noch bereit ?

Kommentare sind geschlossen.