Führung im interkulturellen Kontext | 2

together-235128_1280Kommunikation ist schon im gleichen kulturellen Kontext eine Herausforderung. Man kann ja nicht nicht kommunizieren, hat uns der österreichische Psychotherapeut und Philosoph Paul Watzlawick gelehrt. Thomas Härry, Autor und Dozent für Führungsfragen stellt die These auf, nach der das „Missverständnis der Normalfall ist.“ Wie steht es dann mit der Kommunikation im interkulturellen Kontext? Teams, Gremien, Gruppen, Schulklassen …? Dr. Eberhard Mühlan geht im zweiten Teil der Reihe dieser Frage nach.

Direktes, offenes versus indirektes verschlüsseltes Kommunikationsverhalten

In Teil 1 haben wir Begriffe wie Individual- bzw. Ich-Kulturen versus Kollektiv- bzw. Wir-Kulturen kennengelernt. Sie kennen jetzt Begriffe wie das „verflochtene Selbst“ und das „autonomen Selbst“.

Zur Führungsqualität gehört auch gute Kommunikation! Eine Führungskraft muss die kulturell unterschiedlichen Kommunikationsstile kennen und in den Entscheidungsprozessen berücksichtigen lernen.

„Das Zusammenleben – und die Kommunikation – mit einem Menschen aus einer anderen Kultur ist wie ein Spiel, dessen Regeln man noch nicht kennt.“[1]

Direkt oder indirekt?

In einer Individualgesellschaft sind Menschen stark von einem Ich-Bewusstsein geprägt. Typisch für eine Ich-Kultur ist ein stark analytisches Denken – systematisch und geordnet und auch eher kritisch hinterfragend und schnell auf den Punkt kommend. Das bedeutet, so, wie ich denke, rede ich auch: nämlich direkt. Man nennt es demnach auch „Direkte Kommunikation“. Eine Kollektivgesellschaft unterscheidet sich im Vergleich dazu sehr stark. Typisch für die Menschen aus einer Wir-Kultur ist ein eher synthetisches Denken und Sprechen, das meint, ein stark bildhaftes, mit vielen Begriffen beschreibendes, intuitives Denken. Auch hier gilt, so wie ich denke, rede ich auch. Man spricht dann auch von einer „Indirekten Kommunikation“.

Direkte Kommunikation versus indirekte Kommunikation[2]

individual kollektiv

Wie das Schaubild zeigt, sprechen Menschen aus einer Ich-Kultur in der Regel Dinge und auch Konflikte direkt an, und jemand aus einer Wir-Kultur kann dem Vertreter aus einer Ich-Kultur wie ein Mensch erscheinen, der um den „heißen Brei“ herumredet. Die direkte Art des Vertreters einer Ich-Kultur kann dagegen jemandem aus einer Wir-Kultur durchaus schmerzhaft peinlich und plump erscheinen.

Korrekt und wahrheitsgemäß

Bei Menschen in einer Ich-Kultur müssen Dinge korrekt, wahrheitsgemäß und genau angesprochen werden, auch wenn dabei die Gefühle des anderen bloßgestellt werden. Unwahrheiten können nicht toleriert werden, sie müssen klargestellt werden. Dahinter steht die Überzeugung: Gerechtigkeit muss sein! Bereits Kinder werden angeleitet, sich selbst zu behaupten und ihren Standpunkt klar zu äußern; auch wie sie sich wehren können, wenn ihnen eine Ungerechtigkeit geschieht. In einer Wir-Kultur liegen die Dinge anders: Hier werden Sachverhalte eher umschreibend dargestellt mit vielen Worten und bildhaften Geschichten und vielen Gesten und symbolhaften Handlungen.

Deutsche fragen beim Kennenlernen schnell und ohne Umschweife nach dem Beruf des anderen, um sich ein Bild über den anderen machen zu können. Menschen aus einer Wir-Kultur fragen als erstes nach dem Wohlergehen und der Familie und verbleiben eine Weile bei diesem Thema, ehe sie sich anderem zuwenden. Dahinter steht die Überzeugung: Die Beziehungen sind wichtig und Harmonie steht vor allem! Der andere darf sich niemals bedrängt, beschämt, bloßgestellt oder herausgefordert fühlen. Sein „Gesicht“ muss gewahrt bleiben.

Konfrontation ist hilfreich

Menschen in einer Ich-Kultur gehen in der Regel davon aus, dass Konfrontation gut und nützlich sei. Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden. Das Austauschen unterschiedlicher Meinungen wird eher als bereichernd angesehen denn als störend. Man kann ja voneinander lernen. Wenn jemand einen Fehler macht, steht er dafür ein und entschuldigt sich in der Regel. Konflikte werden also offen angesprochen und man sucht nach logischen Lösungen. Das Gute daran ist, dass jeder weiß, woran er ist, auch wenn die Wahrheit schmerzhaft sein kann.

Harmonie über alles

In einer Wir-Kultur sind direkte Konfrontationen im Allgemeinen nicht üblich, denn Harmonie soll erhalten bleiben und das „Gesicht“ darf nicht verloren gehen. Bei kritischen Konflikten wird sogar ein Vermittler eingeschaltet. Das Gegenüber soll halt nicht beschämt oder verletzt werden. Deswegen fällt auch eine direkte Entschuldigung bei einem Fehlverhalten äußerst schwer; die erfolgt vielfach indirekt oder durch eine Geste.

Ein klares „Ja“ oder „Nein“ wird selten direkt ausgesprochen. Wenn Sie Ihrem Gast aus einer Kollektivkultur eine Tasse Tee anbieten, wird er niemals ein klares Ja aussprechen, sondern erwidern: „Nein, das ist doch nicht nötig.“ Sie werden zwei bis drei Mal fragen müssen, bis er höflich zustimmen wird.

Low-context-Communication

Einen weiteren bedeutsamen Unterschied zwischen den beiden Kommunikationsstilen machen die folgenden zwei englischen Fachbegriffe deutlich: „Low-context[3]-Communication“ und „High-context-Communication“. Den Ich-Kulturen ordnet man eine „Low-context-Communication“ zu, das heißt, die Botschaft steckt in den Worten selbst. Man redet nicht in „Rätseln“. Die Informationen werden direkt, präzise und strukturiert weitergegeben. Da ist das gesprochene Wort wichtig, denn die Botschaft steckt hauptsächlich in den Worten, natürlich spielen auch der Tonfall sowie Gestik und Mimik eine Rolle.

High-context-Communication

In einer Wir-Kultur wird wesentlich vielschichtiger kommuniziert. Deswegen spricht man dort auch von einer „High-context-Communication“. Die Botschaft steckt eher außerhalb der Worte. Das gesprochene Wort muss im Kontext verstanden werden und hat eine Art Code, den man zu knacken verstehen muss. Wenn man jemanden aus dieser Kultur tatsächlich verstehen möchte, dann darf man nicht nur auf die Worte achten, die gesprochen werden, sondern vor allem auch auf das, was nicht gesagt wird: auf die Gestik, den Tonfall, die Pausen, auf den sozialen Stand des Gesprächspartners, auf die Umstände der Begegnung usw.

kontext

An dem Schaubild kann man erkennen, wie vielschichtig sich Kommunikation in einer Wir-Gesellschaft abspielt. Das macht die Sache sehr spannend und herausfordernd. All das, was in den Wir-Kulturen non-verbal, indirekt oder mit Gesten ausgedrückt wird, ist in einer Ich-Kultur eher unbekannt und erscheint oft rätselhaft. Aber nicht für jemanden, der so aufgewachsen ist.

Impulse für Führungskräfte

Wenn Sie in der Ältestenschaft oder in Ihrem Arbeitsteam Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturen haben, wie werden Sie die unterschiedlichen Kommunikationsstile in den Besprechungen berücksichtigen?

Als Führungskraft aus einer Individualkultur vielleicht:

  • Nicht gleich zur Sache kommen, sondern erst einmal nach dem persönlichen Befinden fragen?
  • Niemals das „Gesicht“ eines Mitarbeiters schädigen, z.B. durch Zurechtweisung vor der Gruppe?
  • Ein höfliches „Nein“ kulturangemessen auffangen?
  • Die indirekte, verschlüsselte Botschaft eines Mitarbeiters decodieren bzw. direkt nachfragen?

Als Führungskraft aus einer Kollektivkultur vielleicht:

  • Eine straffere Führung vornehmen und schneller zur Sache kommen?
  • Eine direkte Konfrontation nicht als persönlichen Angriff werten?
  • Ein deutsches „Ja“ bzw. „Nein“ kulturgemäß akzeptieren?
  • Die direkte Art eines deutschen Mitarbeiters positiv sehen? Immerhin wissen Sie, woran Sie sind!
Teil 1
4219Dr. Eberhard Mühlan ist Pädagoge und Religionswissenschaftler sowie Autor zahlreicher Bücher zu Erziehung und interkulturellen Beziehungen. Er ist Mitbegründer der Familienorganisation Team.F und der Team.F Akademie sowie Dozent an verschiedenen theologischen Einrichtungen zur Rolle von Mann und Frau, zu Familienleben und Religionen in fremden Kulturen.
Bücher und weitere Medien von Dr. Mühlan sind unter MühlanMedien zu finden.

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[1] Kumbier, D., Schulz von Thun, F., (Hg), Interkulturelle Kommunikation: Methoden, Modelle, Beispiele, rororo, Hamburg, 2006, S. 77.
[2] Petry, Eva-Sabine, MigrantInnen als Führungskräfte. Impulse für interkulturelles Coaching indonesischer Fach- und Führungskräfte, S. 97.
[3] Unter „Kontext“ versteht man die Verknüpfung, den Sinnzusammenhang.

Über Lothar Krauss

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