Von der Kunst, andere zu führen | Thomas Härry (2)

Härry, AndereThomas Härry ist mit seinem Buch „Von der Kunst, sich selbst zu führen“ ein großer Wurf gelungen. Im September 2015 erscheint der Folgeband „Von der Kunst, andere zu führen“, aus dem der LEITERBLOG exklusiv zwei längere Auszüge bringt. In der letzten Woche ist der erste Auszug gekommen, heute nun der nächste Teil des Buches: „Verstehen, was mich motiviert“:

Im Kapitel „Die Selbstwahrnehmung verbessern“ haben wir das Thema „Motivation“ kurz gestreift. Für Leitende ist es eines der großen Themen, denn sie befinden sich dabei in einer besonderen Situation: Es gehört zu ihren Kernaufgaben, ihre Mitarbeitenden zu motivieren. Doch wer motiviert sie selbst?

„Es gehört zu ihren Kernaufgaben, ihre Mitarbeitenden zu motivieren. Doch wer motiviert sie selbst?“

In Gewinn orientierten Unternehmen versucht man Chefs unter anderem durch materielle Anreize zu motivieren. Wer etwas Außerordentliches leistet, verdient entsprechend und bezieht Boni. Das Auto übernimmt die Firma und auf Flugreisen sitzt man in der Business Class. In Nonprofit-Organisationen, Vereinen und Kirchen sieht es meist anders aus. Es fehlen die finanziellen Mittel, um Leitende mit materiellen Anreizen motivieren und bei der Stange halten zu können. Daher verbleiben Möglichkeiten wie: Motivation durch Macht, Einfluss und soziale Anerkennung. Doch das sind selten gute, förderliche Formen. Wie bei hohen Gehältern und Boni können auch diese Anreize das Ego eines Menschen auf eine Weise bedienen, dass es seiner Führungsaufgabe mehr schadet, als nützt. Es muss deshalb andere Wege geben, Leitende auf ihrem Leitungsmarathon nachhaltig zu motivieren, sodass ihnen Freude und Kraft erhalten bleiben. Dabei spielen äußere und innere Faktoren eine Rolle.

Äußere Faktoren, die die Motivation beeinflussen

Niemand ist dauerhaft auf dem Höchststand seiner Motivation – es gibt Berg- und Talfahrten. Wenn eine Person, egal auf welcher Ebene einer Organisation, in ihren Aufgaben dauerhaft unmotiviert ist, dann lohnt es sich, zunächst die äußeren Bedingungen unter die Lupe zu nehmen. Einige davon wirken sich maßgeblich auf Motivation und Arbeitsfreude aus.

Wie groß ist der Graben zwischen Anforderungen und Ressourcen?

Viele Motivationsschwierigkeiten haben hier ihren Grund: Der Graben zwischen dem, was gefordert wird, und den dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen ist zu groß. Dieser Graben kann verschieden aussehen:

  • Es gibt einen Graben zwischen den sachlichen Anforderungen, die meine Organisation an mich stellt (Stellenprofil, Zielsetzungen …), und der Infrastruktur, die sie mir dafür zur Verfügung stellt.

Ich kann nicht melken, wo es keine Kühe gibt. Es ist nicht realistisch, mit meinem Team ein PR-Konzept umzusetzen, wenn dafür kein Geld ausgegeben wird.

  • Es gibt einen zu großen Graben zwischen den sachlichen Anforderungen meiner Organisation und meinen eigenen Fähigkeiten.

Hier ist das richtige Verhältnis entscheidend. Gibt es gar keinen Spannungsbogen, wird mich die Aufgabe bald langweilen. Es ist grundsätzlich gut, wenn das Geforderte gefühlsmäßig mehr von mir verlangt, als ich mir sowieso zutraue. Das hält mich lebendig und als Christ auch abhängig von Gott. Der Graben darf aber nicht zu groß sein, sonst entmutigt er mich. Wenn es keine Erfolgserlebnisse gibt, weil diese Tätigkeit zu weit von dem entfernt ist, was ich wirklich gut kann, ist die Motivation dahin.

  • Es gibt einen Graben zwischen meiner momentanen Arbeitslast und meinen persönlichen Kraftreserven.

Solche Zeiten gibt es immer wieder – sie gehören zum Alltag. Aufgaben türmen sich über das normale Maß hinaus. Oder es gibt persönliche Gründe: Private oder gesundheitliche Probleme rauben mir die Kraft und vermindern meine Leistungsfähigkeit. Ist dieser Graben zeitlich beschränkt, stehe ich das in der Regel gut durch. Wird er zum Dauerzustand, geht die Motivation langfristig verloren. Wer beständig am Limit lebt, gefährdet sich selbst und seine Aufgaben.

Wie groß ist der Graben zwischen Vorstellung und Realität?

Motivation geht auch verloren, wenn eine Person bestimmte Vorstellungen einer Tätigkeit hatte, die sich als Illusion erweisen. Jetzt, wo sie den entsprechenden Job hat, sieht manches anders aus. Das Ideal bröckelt. Es gibt Probleme, an die man nicht gedacht hat. Es gehören Tätigkeiten und Umstände zur Arbeit, mit denen man nicht gerechnet hat. Je stärker sich das Bild der Tätigkeit von der Realität unterscheidet, die man vorfindet, umso rascher verfliegt die Motivation. Entweder findet man ein Ja zur Realität oder eine andere Tätigkeit, bei der der Graben weniger breit ist.

Sind die Rahmenbedingungen geklärt und sind sie unterstützend?

Um motiviert leiten zu können, brauche ich einen sicheren Rahmen. Dieser sieht nicht für jede Person gleich aus, in der Regel spielen dabei aber folgende Faktoren eine Rolle:

  • Sind meine Kompetenzen geklärt und gesichert? Oder mischen sich immer wieder unvermittelt andere Personen in meinen Kompetenzbereich ein?
  • Ist ein gutes Maß an Freiheit und Verantwortlichkeit vorhanden, von Eigenständigkeit und begleitender Unterstützung? Weiß ich, an wen ich mich wenden kann, wenn ich Rat oder Hilfe brauche? Sind diese Personen auch tatsächlich kompetent und im entscheidenden Moment verfügbar? Werde ich selbst weder zu straff noch zu gleichgültig geführt und begleitet?
  • Arbeite ich in einem Umfeld, in dem Ermutigung und Wertschätzung durch Vorgesetzte und Kollegen ein Teil der Organisationskultur sind?
  • Weiß ich, was man von mir erwartet, und sagt man mir, wann ich meine Ziele erreicht habe und wann nicht?
  • Verfüge ich über genügend finanzielle und personelle Ressourcen, um meine Aufgaben erfüllen zu können?
  • Gibt es eine Regelung bezüglich der Kompensation von (überdurchschnittlichen) Überstunden und wird sie eingehalten?

Äußere Faktoren sind wichtig, innere sind wichtiger

So wichtig die genannten Faktoren sind, sie sollten im Blick auf die Frage der eigenen Motivation nicht das letzte Wort haben. Natürlich kann es sein, dass gravierend schlechte äußere Faktoren mich veranlassen, mich neu zu orientieren. Gleichzeitig muss ich lernen, meine Motivation als Leitungsperson nicht allein von äußeren Faktoren und vom Verhalten meiner Mitmenschen (Vorgesetzten, Kollegen) abhängig zu machen. Dann würde mein Motiviertsein primär durch äußerliche Umstände genährt. Es gäbe wenig Eigenmotivation. Der Führungsexperte Fredmund Malik drückt es so aus:

„Ich schlage vor, sich von der Vorstellung zu trennen, dass es immer jemand anderen, jemand Dritten, einen Chef, oder sonst jemanden, geben werde, der einen motiviert. Wer Führungskraft sein will … muss einen Schritt weiter machen: von der Motivation zur Selbstmotivation. Wer darauf wartet, von anderen motiviert zu werden, wird es nie zu etwas bringen. Er ist abgängig … Im Grund ist er ein Dienstbote, auch wenn er durch Zufall, glückliche Umstände oder falsche Personalentscheide in höhere Positionen kommen sollte. Wer auf die Motivation durch Dritte wartet, wird immer wieder herbe Enttäuschungen erleben, denn es wird nicht ständig jemand anderen geben, der ihn motiviert. Mein Vorschlag ist daher ..: „Mach dich innerlich unabhängig von der Motivation durch andere! Lerne, dich selbst zu motivieren!“[i]

Man bezeichnet einen Menschen, der in hohem Maß Eigenmotivation mitbringt, als „intrinsisch“ (= von innen her) motiviert. Dies ist die wirkungsvollste Form der Motivation. Sie bewegt wie nichts anderes Menschen dazu, sich mit Leidenschaft, Kreativität und Leistungsbereitschaft einzubringen. Doch wie motiviert man sich selbst? Diese Frage bleibt oft (auch bei Malik) unbeantwortet.

Innere Faktoren, die meine Motivation beeinflussen

Als Christ begegne ich der Forderung nach von innen kommender Motivation mit Vorsicht. Ich gehe davon aus, dass die Kraft, die man in sich selbst findet, ihre Grenzen hat. Im Alten Testament wird vom Menschen als „basar“ – „Fleisch“ gesprochen. Wir sind begrenzte, vergängliche Wesen. Unser Inneres ist „näphäsch“ – eine durstige, bedürftige, nie gänzlich gestillte Seele. Wie kann ein Mensch in all dieser Bedürftigkeit, Gebrechlichkeit und nicht zuletzt auch Schuldhaftigkeit aus sich selbst Lebenskraft und Motivation hervorbringen? Wir sollten deshalb bei der Antwort auf die Frage, wie innere Motivation entsteht, nicht bei uns selbst beginnen, sondern bei Gott.

  • Innere Motivation kommt von Gott.

Die größte Kraft- und Motivationsquelle findet ein Leiter dort, wo er im Blick auf seine Eigenmotivation nicht auf sich selbst zurückgeworfen ist. Er kann sich auf den Boden der Gewissheiten stellen: Mein Leben ist mir von Gott geschenkt. Ebenso meine Schaffenskraft. Meine Aufgaben. Meine Gaben und Stärken. Gott vertraut sie mir an, damit ich damit tue, was ihn ehrt. Er ist die nicht versiegende Kraftquelle von allem, was ich bin und was ich tue. Seine Nähe, Liebe und Annahme bilden die Grundmotivation meines Lebens, inklusive meiner Aufgaben als Leitungsperson.

  • Innere Motivation fließt aus der geklärten Sinnfrage.

Solange die Frage nach dem Sinn seines Lebens ungeklärt bleibt, kann ein Mensch nur ein begrenztes Maß an Motivation zum Einbringen seiner Lebenskraft in bestimmte Aufgaben aufbringen. Wo kein Sinn ist, ist Lähmung oder hedonistischer Genuss: Geld, Macht, Sex, aber nur begrenzte Kraft zur wirksamen, verändernden Tat. Motivation lebt von erkanntem, verinnerlichtem Sinn. Von der Überzeugung, dass das Leben als solches einen Sinn hat; dass mein Leben einen Sinn hat und dass meine Aufgaben einen Sinn haben und zu Sinnvollem beitragen.

  • Innere Motivation fließt aus einer gut versorgten Seele.

Viele unterschätzen diesen Zusammenhang: Dauerhaft motiviert bleibe ich als Leitungsperson, wenn ich mit einer gut versorgten Seele durch den Alltag gehe. Ich habe an anderer Stelle mehr dazu geschrieben[ii], deshalb hier nur so viel: Wer nicht dafür sorgt, dass seine Christusbeziehung, seine physischen und psychische Kräfte und seine wichtigsten Beziehungen vital bleiben, fährt früher oder später mit leerem Tank. In diesen Bereichen findet die wichtigste Grundversorgung für eine Leitungsperson statt; hier tanke ich Kraft, Liebe, Gnade und Zuwendung von Gott und Menschen.

  • Innere Motivation fließt aus einer geklärten Lebensperspektive.

Ich kenne Leute, die alle paar Jahre ihre Stelle wechseln. Sie machen unterschiedliche Ausbildungen und schlagen immer wieder völlig neue Wege ein. Im Gespräch mit ihnen bekomme ich den Eindruck, dass sie in ständiger Schwebe leben und nirgends angekommen sind. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Fast immer aber sind es Menschen, die einige wichtige Lebensfragen noch nicht beantworten konnten oder wollten. Fragen wie:

  • Wer bin ich? Nicht: Wer möchte ich sein oder was meine ich, tun oder können zu müssen, um meinen Platz zu finden? Sondern: Was kann und bin ich wirklich?
  • Sehe ich den Wert, der im Erkennen und Annehmen dessen liegt, wer ich bin und wer ich nicht bin?
  • Welchen Platz und welche Möglichkeiten hat Gott mir in dieser Welt gegeben?
  • Was strebe ich an?
  • In welchen Aufgaben finde ich ein Stück Heimat, weil hier mein Bestes gefragt ist und sich daraus eine besondere Form der Zugehörigkeit ergibt – die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lebens- und Aufgabenfeld?

Mein Eindruck: Manche Menschen können diese Fragen nicht beantworten, weil sie sie nicht beantworten wollen. Um sich nicht festlegen zu müssen, verfangen sie sich in diffusen und oft widersprüchlichen Vorstellungen und Bildern von sich selbst. Können nicht wertschätzen, was ihnen offensichtlich anvertraut ist und womit sie sich motiviert einbringen könnten.

  • Innere Motivation fließt aus dem Motivieren anderer.

Ich erinnere mich an die Anfänge meines Leitens. Ich war Teil einer Organisation, in der kaum Wertschätzung vermittelt wurde. Ich litt darunter und fühlte mich entmutigt. Im Gespräch mit Freunden sagte ich: „Es frustriert mich, dass mein Chef das Wort ‚Danke‘ nicht zu kennen scheint.“ Ich spielte mit dem Gedanken, diese Stelle zu verlassen. Dann kam der Tag, an dem ich den inneren Impuls (für mich war es Gottes Reden) spürte: „Wie lange wartest du noch darauf, dass man dich motiviert? Fange du selber damit an! Motiviere, wertschätze und ermutige die anderen – inklusive deinem Chef. Warte nicht darauf, dass sie es tun. Tu es nicht, damit sie es tun. Tu es einfach! Mach den ersten Schritt!“

Selten hat mich ein Impuls so beflügelt. Ich begann sofort und schwor mir, nicht mehr damit aufzuhören. Mit welchen Folgen? Ich fühlte mich motiviert – alleine schon dadurch, dass ich erlebte, wie sehr mein Motivieren andere aufblühen ließ.

Sorgen Sie dafür, dass die inneren Faktoren Ihrer Motivation eine größere Rolle spielen als die äußeren. Dass Sie motiviert sind – das ist in erster Linie Ihre eigene Verantwortung. Nehmen Sie sie wahr, verlieren Sie auch in Stürmen nicht umgehend das Ja zu Ihren Aufgaben. Bleiben nicht abhängig davon, dass Ihre Vorgesetzten Motivationsexperten sind. Wenn Sie dank Ihres Glaubens und einer guten inneren Einstellung motiviert bleiben, dann geben Sie Ihren Beitrag nicht für einen Sonderstatus oder eine Extrazahlung. Sie geben Ihr Bestes, weil Sie davon überzeugt sind, dass Ihre Aufgabe sinnvoll und notwendig ist. Dass sich der Einsatz dafür lohnt – für Sie selbst und für andere. Und dass es Gott Freude macht, wenn Sie sich einsetzen.

Zur Vertiefung

  • Für wie motiviert halte ich mich in meinen derzeitigen Aufgaben? Was trägt aktuell zu meiner vorhandenen oder fehlenden Motivation bei?
  • Wie sehr ist meine vorhandene oder fehlende Motivation von äußeren und wie sehr von inneren Faktoren bestimmt? Halte ich das Verhältnis für ausgeglichen?
  • Welche der genannten äußeren Faktoren verlangen in meinem Fall besondere Aufmerksamkeit? Was sollte ich unternehmen, für welche Änderung aktiv werden?
  • Welche der genannten inneren Motivationsfaktoren sind bei mir nicht oder nur schwach vorhanden? Welche Möglichkeiten habe ich, sie aufzubauen und zu stärken?
[i] Fredmund Malik (2005): Gefährliche Managementwörter – und warum man sie vermeiden sollte, 3.Aufl., Frankfurt am Main: F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH, Seiten 101-102.
[ii] Von der Kunst, sich selbst zu führen (Witten: SCM R.Brockhaus), ab Seite 112.

haerry_thomas_01_150x150pxThomas Härry arbeitet als Fachdozent für Theologie, Gemeindearbeit und Leiterschaft am Theologisch-Diakonischen Seminar Aarau sowie als Autor und Geistlicher Begleiter von Führungskräften.


Von der Kunst, andere zu führen wird im September bei SCM R.Brockhaus erscheinen und ist für 17,95 € bereits vorbestellbar.


Like us on facebook

Über Lothar Krauss

Ehemann | Vater | Pastor | Blogger | Netzwerker
Dieser Beitrag wurde unter Buchtipps, Die Person des Leiters, Fitness für Leiter abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.