Kann ein Leiter noch etwas bewegen, wenn er oder sie über 60 Jahre alt ist? Oder sollte man sich nicht langsam zurückziehen, ein Wohnmobil kaufen, die Reiseroute zum Nordkap klären und es locker auslaufen lassen? Sind die Leiter, die in Deutschland etwas bewegen, nicht die jungen, hoffnungsvollen Leute? Typen, die auf der Bühne eine gute Figur machen: durchtrainiert, dynamisch, telegen, eloquent, kraftvoll, charismatisch …? Leute, wie sie uns die Werbung täglich zeigt? Oder kann man Leitern über 60 doch noch etwas zutrauen?
Bewegen die Alten noch was?
Mir ist bei dieser Frage zuerst Billy Graham im Sinn. Auch mit 96 Jahren findet er Wege um Einfluss zu nehmen. Ich denke an Mutter Teresa: 87 Jahre ist sie alt geworden. Mit 69 Jahren hat sie den Friedensnobelpreis bekommen. Oder an Sabine Ball, die in Dresden und weit darüber hinaus noch einen enormen Einfluss als Rentnerin entfaltete. Ich denke auch an den 61jährigen Brain Housten, Leiter der Hillsong Church. Oder den 63-jährigen Bill Hybels, Leiter von Willow Creek. Den 86-jährigen Horst Marquart, der die Führungskräftekongresse mit initiiert. Alles andere als eine müde Rentner-Gang, oder?! Erfolgreiche Führungskräfte sind das (und viele weitere Frauen und Männer), die als Ü60 tolle Dinge bewegen und in Bewegung bringen.
Das Geheimnis: Im Miteinander die Rolle finden
Sicher liegt ein Geheimnis erfolgreicher Führungsarbeit im Alter unter anderem darin, wie ältere Führungskräfte mit Verantwortlichen der mittleren und jüngeren Generation zusammenarbeiten. Der Gott der Bibel ist kein Gott der Jungen. Auch kein Gott der Alten. Er ist der Gott der Generationen. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs!
Geänderte Rollen im Alter!
Wie das Miteinander der Generationen aussieht, ist die wichtige Frage! Muss der Senior immer der Boss sein? Immer das letzte Wort haben? Die Entscheidung treffen? Oder ändert sich seine Rolle? Der Harvard Professor Bill George legt nach seinen Studien (True North) Führungskräften folgende Entwicklung ans Herz: Vom ICH zum WIR! Nach einer ersten Phase der Vorbereitung auf die Leitungsrolle kommt zunächst eine intensive Zeit, in der die Führungskraft leitet. In dieser Phase liegt dann oft die „Feuerprobe“ im „Schmelztiegel“. Das ist ein Bruch, eine Krise, eine Desillusionierung. Dann, wenn sie gereift und gestärkt aus der Krise hervorkommt, leitet sie reifer und qualitativer. Schließlich geht die Führungskraft in eine dritte Phase: „Zurückgeben“ nennt sie George. Es geht eben nicht um den „Ego-Typen“, der an „seinem Erfolg“, seiner Karriere baut. Die Grundlage der erfolgreichen Entwicklung geht vom ICH zum WIR.
Alle gewinnen, wenn die ältere Führungskraft vom ICH zum WIR reift. Und dabei ihre neue Rolle im Gefüge der Generationen finden. Das hat starke Auswirkungen: Junge Leiter fühlen sich nämlich von solchen reifen Leitern angezogen! Das sind dann Typen, reife Persönlichkeiten, Väter. Sie werden gesucht! Diese Persönlichkeiten sollen investieren, Räume öffnen, ermutigen, raten, begleiten. Das ist gewünscht. Für sie ist Platz! Diese reifen Leiter haben Zukunft. Sie bewegen – gemeinsam mit der jungen und mittleren Generation – Großartiges! Rick Warren zeigt uns aktuell ein Beispiel dazu:
Rick Warren startet mit 61 die größte Kampagne der Saddleback Church
Rick Warren (61): Er hat mit seiner Saddleback Church gerade einen ambitionierten Plan aufgelegt. In den nächsten drei Jahren hat die Gemeinde ein Spendenaufkommen von 71 Millionen $ zugesagt. Die größte Kampagne, die die Gemeinde in ihren 35 Jahren bislang angepackt hat. Für was?
- Zum 40ten Jubiläum will sie ihren Gottesdienstbesuch auf 40.000 Leute am Wochenende steigern. In vielen kleinen und großen Gottesdiensten trifft sie sich schon an unterschiedlichsten Orten in Südkalifornien.
- Sie will 250.000 Menschen in Not helfen.
- Ein viertel ihrer Besucher sollen ein Leitungstraining erhalten.
- 3000 unerreichte Volksgruppen will sie mit ihrem PEACE Plan erreichen.
- Ihre Kommunikationstechnologie soll ein gründliches Update erfahren.
Es ist nicht meine Aufgabe einzuschätzen, ob diese Pläne sinnvoll sind. Beeindruckend finde ich aber, dass ein 61jähriger Pastor seinen Dienst nicht langsam auf die Zielgerade bringt sondern immer noch – wie der Apostel Paulus (z.B. Philipper 3,12) – mit Leidenschaft verfolgt.
Bill Hybels (63) hat noch Pläne nach seiner Berentung und Tim Keller (64), legendärer Pastor in New York City und „C.S. Lewis des 21. Jh.“ hat eine der produktivsten Phasen seines Lebens, die Hunderttausenden nutzt. Wir könnten noch von John Piper (69), Yonggi Cho (79), N.T. Wright (67), Tony Campolo (80), Gordon MacDonald (76) sprechen … aber auch in unserem Land gibt es agile Leiter über 60! 🙂
Auch in Deutschland gibt es starke Beispiele
Ich denke an Jürgen Mette (63), der von einer Krankheit gezeichnet „Alles außer Mikado“ noch bewegt. Beeindruckend, wie vielen Einladungen er nachkommt und damit Zugang zu Leuten gewinnt, die zuvor „verschlossen“ waren. Er verbreitet mit entwaffnender Offenheit und Ehrlichkeit so viel Hoffnung und Mut. Stark. Jürgen ist mir ein Vorbild! Er bewegt etwas!
Ich denke an Ulrich Parzany (74), der mit ProChrist eine Bewegung auch in seinen 60ern nach vorn gebracht hat. Der mutig und konkret Stellung nimmt, Kontroversen nicht aus dem Weg geht und – obschon er jetzt langsam machen muss – sich immer noch engagiert einbringt.
Viele weitere könnten erwähnt werden: Horst Marquadt (86), Karl Schock (80), Jörg Knoblauch (66) oder Eberhard Mühlan (67) sind nur einige dieser nicht perfekten, aber doch so wertvollen Leiter und Visionäre, die Einfluss genommen haben und nehmen.
Die unbekannten Edelsteine
Und ich denke an die vielen älteren Menschen in den Kirchen und Gemeinden. Sie sind unverzichtbar, wenn sie ihre Rolle gefunden haben und sich in diesem Sinne einbringen. In jeder meiner Stationen (Alzey, Altensteig, Oldenburg, Schorndorf, Regensburg, Esslingen und jetzt Gifhorn) traf ich auf diese Schätze. Edelsteine, deren Namen es vielleicht nie in die Presse schaffen und die kein Bundesverdienstkreuz erhalten. Sie sind aber dennoch unverzichtbar, weil sie ihre Vision und Leitung nicht aufgegeben haben. Weil sie mit Leidenschaft als Vorbilder leben und sich selbstlos und bescheiden investieren. Hoffentlich gehören wir alle einmal zu ihnen.
Mal wieder eine absolut ermutigende Perspektive – vielen Dank, Lothar !!
Spontan ist mir als ein gutes Beispiel auch sofort Maria Prean eingefallen!
Danke Lothar für den ermutigenden Beitrag – das ist auch gerade was wir mit „55-aufwärts, Initiative im BFP“ auf dem Herzen haben.
Wenn „wir Alte“ echte Teamplayer sind und up to date bleiben in jeglicher Hinsicht, dann sind wir auch gefragt. Mütterlichkeit und Väterlichkeit sind auch Charismen, die wir weitergeben können (z.B. beim Segnen). Ich erinnere mich an einen Pfarrer, der noch hochbetagt jede Woche einen Jugendgebetskreis um Jesus versammeln konnte. Mein persönliches „3rd Life“ startet auch gerade, und ausgerechnet jetzt kommt das Thema „Leitung“ ins Spiel…
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RS
Bin selbst eine Leiterin und 76 Jahre alt, habe tolle Mitarbeiter.
Bin überzeugt, dass ich – mit JESUS IM TEAM- noch allerhand bewegen kann – trotz mancher
gesundheitlichen Einschränkung!
Wir wollen auch unter den Senioren noch Menschen auf den Weg mit Jesus bringen.
Das haben wir uns als Gemeinde als Ziel gesetzt .